Vater oder Mutter? - BGH - 06.09.2017

1. Ein Frau-zu-Mann-Transsexueller, der nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit ein Kind geboren hat, ist im Rechtssinne Mutter des Kindes.

2. Er ist sowohl im Geburtenregister des Kindes als auch in den aus dem Geburtenregister erstellten Geburtsurkunde – sofern dort Angaben zu den Eltern aufzunehmen sind – als „Mutter“ mit seinen früher geführten weiblichen Vornamen einzutragen.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 06.09.2017
Aktenzeichen: XII ZB 660/14
Leitparagraph: BGB, § 1591, 1592
Quelle: www.bundesgerichtshof.de

Kommentierung:

Sowohl die moderne Fortpflanzungsmedizin als auch andere medizinische Eingriffe führen zu Schwierigkeiten bei der Einordnung, wer die Eltern eines Kindes sind, wer Mutter, wer Vater ist. Nach § 1591 BGB ist die Frau, die ein Kind geboren hat, Mutter. Der Vater eines Kindes ist ausschließlich rechtlich „festzustellen“. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde.

Da im vorliegenden Fall der Elternteil zwischenzeitlich „männlich“ ist, stellte sich die Frage, ob diese Person dann der Vater ist oder die Mutter. Dies hat der BGH in die Richtung entschieden, dass es dabei verbleibt, dass diese Person die Mutter ist, da sie das Kind geboren hat, unabhängig davon, ob diese Geburt vor oder nach Rechtskraft über die Entscheidung der Geschlechtszugehörigkeit gewesen ist.

Im vorliegenden Fall war die Person rechtskräftig „Mann“ obwohl sie körperlich wohl noch „Frau“ war, sonst hätte sie kein Kind gebären können. Dass dies ein wenig „abstrus“ ist, liegt auf der Hand. Es wird auch nicht allzu viele Fälle geben, trotzdem soll diese Entscheidung auch darauf hinweisen, welch juristische Probleme unsere „heutige Zeit“ aufwirft, denn letztlich haben solche Fragen auf faktische Auswirkungen auf Erbrecht, Unterhaltsrecht etc.

In die gleiche Richtung geht letztendlich auch der Schnellschuss der „Ehe für Alle“, welche letztendlich dazu führt, dass gleichgeschlechtliche Eheleute Kinder adoptieren können. Wer soll hier Vater, wer Mutter sein. Die Standesämter können derzeit eine solche Problematik der „Ehe für Alle“ noch gar nicht bewältigen, da die Softwareprogramme hierzu noch nicht umgestellt sind. Es bleibt jedoch die Frage, wer ist Vater, wer ist Mutter. Die oben zitierten §§ 1591, 1592 BGB sind im Gegensatz zur Abänderung des § 1353 BGB („Was ist eine Ehe“) nicht geändert worden. Im Verfahren des AG Berlin, Az. 166A F 8790/16, welches bereits im Jahr 2016 eingeleitet wurde, hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am 04.10.2017 Deutschlands erste Kindesadoption durch gleichgeschlechtliches Paar (männlich) per Beschluss ausgesprochen. Dies war möglich, weil seit 01.10.2017 auch gleichgeschlechtliche Personen eine Ehe begründen können und dann gemeinsam ein Kind adoptieren können (die Beteiligten waren schon vor dem 01.10.2017 eingetragene Lebenspartner, haben sofort nach dem 01.10.2017 die Umwandlung zur Ehe durchgeführt und konnten somit gemeinschaftlich ein Kind adoptieren). Auch hier stellt sich natürlich die Frage, wer ist Vater, wer ist Mutter? Für verschiedenste rechtliche Konstellationen, die hier nicht näher dargelegt werden sollen, kann diese Unterscheidung von Bedeutung sein (nach dem Wortlaut der Gesetze), es ist davon auszugehen, dass diese dann unter Berücksichtigung des neuen § 1353 BGB angewandt werden.

Durch Adoption (auch bei gleichgeschlechtlichen Ehen) kann ein Kind mehrere Väter erhalten. Denkbar ist sowohl die zeitlich gestaffelte Mehrvaterschaft, beispielsweise infolge einer Stiefkindadoption durch den neuen Ehemann der Mutter, als auch die gleichzeitige Mehrvaterschaft, beispielsweise infolge einer Adoption eines Kindes durch einen Co-Vater oder infolge einer Erwachsenenadoption. Zwei männliche Eheleute, die ein Kind adoptieren, sind dann wohl ebenso rechtlich zwei Väter. Wollen zwei Männer gemeinsam Väter eines Kindes werden, steht ihnen neben der Adoption bei Eingehung der Ehe oder bei Alleinadoption eines fremden Kindes die Möglichkeit offen – wenn auch nicht nach deutschem Recht, aber nach teilweise ausländischem Recht – die Dienste einer Leihmutter in Anspruch zu nehmen. Die Anerkennung solcher „Leihmütterkinder“ im Rahmen einer gemeinsamen Elternschaft wird wohl anzuerkennen sein (Löhnig, NZFam 2017, Seite 546). Ist hingegen nur einer der beiden Männer rechtlicher Vater des Kindes, so kann die rechtliche Elternstellung des Ehepartners nur im Wege der Stiefkindadoption begründet werden.

Wer soll sich da noch auskennen? Sowohl aus medizinischer Sicht werden immer wieder neue Wege gefunden, Abkömmlinge „zu schaffen“, dann hinken zumeist die Juristen mit der rechtlichen Bewältigung und Einordnung hinterher, zumal in den verschiedensten Ländern – egal, ob EU oder nicht – unterschiedlichste Gesetze gelten, welche medizinischen Möglichkeiten erlaubt sind, welche nicht und wie dann in den einzelnen Ländern damit umzugehen ist. So haben nach der derzeitigen Rechtslage homosexuelle Ehepaare gegenüber heterosexuellen Ehepaaren eine weitgehende Wahlmöglichkeit, welches Recht auf ihre Ehe anwendbar sein soll. Entscheidend ist bei homosexuellen Ehen nämlich stets das Recht des Staates, in dem sie geschlossen werden. Bei heterosexuellen Ehen muss für die Anwendbarkeit des Rechts eines bestimmten Staates ein hinreichender Bezug zu diesem Staat bestehen, etwa die Staatsangehörigkeit eines Ehepartners oder der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Also doch nicht „Gleiches Recht für Alle“?

Diese Urteilsbesprechung soll dem Leser vor Augen führen, wie vielschichtig in unserer Gesellschaft die juristische Einordnung von „Kindern“ oder „Eltern“ ist. Die Liste der „Problemfelder“ könnte fortgesetzt werden, wie die rechtliche Einordnung der Zustimmung des leiblichen Vaters zur Kindesadoption, das Recht des Kindes auf Kenntnis des leiblichen Vaters (Stichwort: Samenspende – Auskunft der Reproduktionsklinik), die gesamte Problematik des Scheinvaterregresses gegen denjenigen, der tatsächlich (welcher?) Vater ist, das Auskunftsrecht/Umgangsrecht des biologischen Vaters, Leimutterschaft, Ersatzmutterschaft, um nur einige Problemstellungen in diesem Themenbereich anzusprechen. Durch die internationale Vielfalt wird die Bewältigung dieser rechtlichen und tatsächlichen Problemkreise nicht einfacher.

Das ganze stellt keine juristische „Spinnerei“ dar, sondern hat neben den emotionalen Themen auch finanzielle Auswirkungen, inwieweit „Verwandtschaftsverhältnisse“ entstehen oder begründet werden, die – wie schon oben erwähnt – auf unterhaltsrechtliche oder erbrechtliche Fragen sich auswirken.