Vaterschaftsfeststellung- BVerfG - 13.02.2007

Urteil 111d

Vaterschaftsfeststellung

BVerfG, Urteil von 13.02.2007, Az. 1 BvR 421/05 - §§ 1600 ff. BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG

(Suchworte: Vaterschaftsfeststellung, Vaterschaftsanfechtung, Vaterschaftstest)

mitgeteilt von RA Simon Heinzel, Fachanwalt für Familienrecht

www.bundesgerichtshof.de, Pressemitteilung Nr. 131/2006

::Leitsätze::

Der Gesetzgeber hat zur Verwirklichung des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes von ihm (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG) ein geeignetes Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitzustellen.
Es entspricht dem Grundgesetz, wenn die Gerichte Verwertung heimlich eingeholter genetischer Abstammungsgutachten wegen Verletzung des von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung als Beweismittel ablehnen.

I. Folgender Sachverhalt lag zu Grunde:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verwertbarkeit eines heimlich, ohne Zustimmung des betroffenen Kindes oder seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin zur Klärung der Vaterschaft eingeholten DNA-Gutachtens im Rahmen eines gerichtlichen Vaterschaftsanfechtungsverfahrens und damit auch die Frage, ob das geltende Recht dem rechtlichen Vater eines Kindes eine hinreichende Möglichkeit zur Kenntniserlangung und Feststellung der Abstammung des Kindes von ihm einräumt.

Der Gesetzgeber sieht Vaterschaftsanfechtungsmöglichkeiten vor, in einem solchen Anfechtungsverfahren müssen die Zweifel an der Vaterschaft dargelegt werden. Hierzu sind Umstände notwendig, die objektiv geeignet sind, Zweifel an der Abstammung des Kindes zu wecken (BGH, NJW 2003, Seite 585). Dies wird als erforderlich gesehen, um das Kind vor Klagen €žins Blaue hinein€œ zu bewahren (BGH, NJW 1998, Seite 2976). Im zugrunde liegenden Fall hat der Vater 1994, kurz nach der Geburt des Kindes die Vaterschaft anerkannt. Bereits im Jahr 2001 hat der Vater Vaterschaftsanfechtungsklage erhoben, mit einem Gutachten, dass ihm eine auf 10 % verminderte Zeugungsfähigkeit attestiert hatte. Mit dieser Klage blieb er ohne Erfolg. Danach holte sich der Vater ohne Kenntnis der Mutter des Kindes bei einem privaten Labor ein gendiagnostisches Gutachten ein, das ihn zu 100 % als Vater ausschloss. Sowohl Amtsgericht, Oberlandesgericht und BGH (Urteil vom 12.01.2005, NJW 2005, Seite 497 ff.) haben die Klage abgewiesen, da der heimlich veranlasste Vaterschaftstest gravierend gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes verstößt und wegen des Eingriffs in das Sorgerecht der Mutter rechtswidrig sei und deshalb ein solchen Gutachten nicht verwertbar sei. Das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung des Kindes könne gegenüber dem Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung nicht als höherrangig angesehen werden. Die verminderte Zeugungsfähigkeit ist nicht zu beachten, da hierüber bereits rechtskräftig entschieden ist.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Vater eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Das Bundesverfassungsgericht erklärt die zulässige Verfassungsbeschwerde als insoweit begründet, als es der Gesetzgeber unter Verletzung von Art. 2. Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG unterlassen hat ein Verfahren bereitzustellen, in dem die Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater geklärt und die Tatsache ihres Bestehens oder Nichtbestehens festgestellt werden kann, ohne daran zugleich Folgen für den rechtlichen Status des Kindes zu knüpfen, denn das Vaterschaftsanfechtungsverfahren in seiner jetzigen Ausgestaltung führt dann zwangsläufig zur Feststellung der Nichtvaterschaft, wenn z. B. ein Gutachten die Vaterschaft ausschließt. Das derzeitige Anfechtungsverfahren gemäß §§ 1600 ff. BGB ist kein Verfahren, das dem Recht des Vaters allein auf Kenntnis der Abstammung des Kindes von ihm in verfassungsgemäßer Weise Rechnung trägt, mit der Folge, dass dem Gesetzgeber aufgegeben wird, bis 31.03.2008 eine derartige Regelung oder ein derartiges Verfahren zur Feststellung der Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater, losgelöst von einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren zu treffen. Darüber hinaus hat das BVerfG die Beschwerde zurückgewiesen, mit dem Inhalt des Leitsatzes Nr. 2, dass die Ablehnung eines heimlich eingeholten Abstammungsgutachtens als Beweismittel dem Grundgesetz entspricht, dies wegen Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes des Kindes. Daneben hat das BVerfG der Bundesrepublik Deutschland die Kosten des Vaters für die Verfassungsbeschwerde auferlegt.


II. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Entscheidung wie folgt:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht nur das Recht eines Mannes auf Kenntnis der Abstammung des Kindes, sondern auch die Verwirklichung dieses Rechtes. Der Gesetzgeber hat es bislang unterlassen, dem Vater einen Verfahrensweg zu eröffnen, auf dem dieses Recht in angemessener Weise geltend gemacht und durchgesetzt werden kann. Zwar besteht die Möglichkeit, auf privatem Wege mit Einwilligung des Kindes/Mutter einen Vaterschaftstest durchzuführen, dieser Weg ist jedoch versperrt, wenn die Einwilligung der Mutter fehlt. Das Recht eines Mannes auf Kenntnis der Abstammung verlangt aber für Fälle, in denen Zweifel an der Vaterschaft bestehen, eine Möglichkeit, dies zu überprüfen, ohne dass hieran weitergehende zwingende rechtliche Folgen (Vaterschaftsanfechtung) geknüpft werden. Mit Eröffnung eines solchen Verfahrens wird zwar das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt, da es sich jedoch um Daten handelt, die in Beziehung zu denen des Mannes stehen können, der rechtlicher Vater des Kindes ist, ist das Recht des Kindes, diese Daten nicht preiszugeben, dem Mann gegenüber weniger schützenswert. Auch Grundrechte der Mutter stehen dem nicht entgegen. Ein solcher Eingriff dient dem vorrangigen Ziel der Klärung, ob das Kind aus der Beziehung der Frau mit dem rechtlichen Vater hervorgegangen ist, der wiederum ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Kenntnis hat, ob das Kind von ihm abstammt.

Das bisherige Vaterschaftsanfechtungsverfahren ist kein Verfahren, dass dem Recht des Vaters allein auf Kenntnis der Abstammung des Kindes von ihm in verfassungsgemäßer Weise Rechnung trägt. Durch eine Vaterschaftsanfechtung wird eine rechtliche Trennung vom Kind bewirkt, mit einem vom Gesetzgeber zur Verfügung zu stellenden Verfahren soll lediglich die Abstammung des Kindes geklärt werden. Geht es ausschließlich um das Ziel, die Abstammung zu wissen, sind keine entsprechend gewichtige, schützenswerte Interessen von Kind und Mutter gegenüberstehend. Es ist daher nicht gerechtfertigt, ein Verfahren auf Klärung der Abstammung an dieselben Darlegungslasten und Fristen zu binden, die für die Anfechtungsklage maßgeblich sind. Zur Verfahrenseröffnung im neu zu schaffenden Verfahren muss ausreichen, wenn der rechtliche Vater Zweifel an der Abstammung des Kindes von ihm vorträgt.

Auf welche Weise der Gesetzgeber dieser Verpflichtung zur Bereitstellung eines Verfahrens allein auf Feststellung der Vaterschaft nachkommt, liegt in seiner Gestaltungsfreiheit. Allerdings ist er gehalten, Sorge dafür zu tragen, dass im Vaterschaftsanfechtungsverfahren das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Kindes, ggf. seine rechtliche und soziale familiäre Zuordnung zu behalten, auch weiterhin Berücksichtigung findet. So etwa kann der Gesetzgeber sicherstellen, dass die nun leichter zu erwerbende Kenntnis des rechtlichen Vaters, nicht biologischer Vater zu sein, im Anfechtungsverfahren in bestimmten Fällen nicht sogleich zur Beendigung der rechtlichen Vaterschaft führt.

Das BVerfG hat darüber hinaus jedoch weiterhin festgehalten, dass die bisherige Rechtslage, wonach heimlich eingeholte Abstammungsgutachten als Beweismittel im bisherigen Anfechtungsverfahren abzulehnen sind, dem Grundgesetz entspricht.


III. Fazit

Die Entscheidung des BVerfG kann man als Erfolg des Vaters (Beschwerdeführers) werten, was auch dadurch dokumentiert wird, dass die Kosten der Bundesrepublik Deutschland auferlegt wurden, ob es dem Vater in seinem Fall viel helfen wird, bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber die Aufforderung des BVerfG zur Schaffung eines neuen €žAbstammungsverfahrens€œ umsetzt und dies letztendlich im zukünftigen Anfechtungsverfahren verankert. Es ist schwer vorstellbar, dass auf der einen Seite €žeinfacheren€œ Abstammungsverfahren festgestellt wird, dass der Mann nicht der Vater eines Kindes ist, auf der anderen Seite jedoch die rechtlichen Bindungen, die mit einer Vaterschaft grundsätzlich zusammenhängen (Erb-/Pflichtteilsrecht, Unterhaltsrecht, Sorgerecht, Umgangsrecht etc.) nicht angegriffen werden sollen (so das BVerfG mit dem Hinweis darauf, dass in €žbestimmten Fällen€œ (?) die negative Abstammungsfeststellung nicht sogleich zur Beendigung der rechtlichen Vaterschaft führt.

Der Verband ISUV/VDU war in dem zugrunde liegenden Verfahren des BVerfG zusammen mit dem Bundesjustizministerium, dem Justizministerium Baden-Württemberg, der Bayerischen Staatsregierung, dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, dem Deutschen Familiengerichtstag, dem Deutschen Juristinnenbund, dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter, dem Väteraufbruch für Kinder sowie dem Verein Väter für Kinder beteiligt.
Es erfolgten Stellungnahmen im Vorfeld der Entscheidung, der Verband ISUV/VDU hat in seiner Stellungnahme letztendlich in Einklang mit der jetzigen Entscheidung des BVerfG gerügt, dass der Gesetzgeber es bislang versäumt hat, den tatsächlich bestehenden Interessenkonflikt durch Gesetzgebung zu entkräften. Der Verband befürwortete insoweit die Gesetzesinitiative Bayerns, dem Anfechtungsberechtigten einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf gendiagnostische Abstammungsuntersuchung einzuräumen, mit dem Argument der hiermit verbundene Eingriff in das Grundrecht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung sei im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Mannes auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstamme oder nicht, verhältnismäßig.

Mit dieser Rechtsposition befand und befindet sich der Verband ISUV/VDU im Einklang mit der des BVerfG, wie nunmehr der Gesetzgeber die Vorgaben des BVerfG bis 31.03.2008 umsetzt, bleibt abzuwarten. Es steht jedoch zu erwarten, dass der Gesetzgeber einen doch recht großen €žSpagat€œ zwischen €žAbstammungsverfahren€œ und €žAnfechtungsverfahren€œ vollführen muss, um allen Interessen gerecht zu werden, insbesondere wie die vom BVerfG angesprochenen €žbestimmten Fälle€œ im neuen Anfechtungsverfahren Berücksichtigung finden, insbesondere wie es auf Dauer €žrechtmäßig€œ sein soll, wenn ggf. die biologische Vaterschaft und die rechtliche Vaterschaft nicht einheitlich ist.