Vermögensrecht - BGH - 16.11.2022

  1. Der Schutz des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe und der grundsätzlich bis zur Rechtskraft der Scheidung fortbestehende Charakter der ehelichen Immobilie als Ehewohnung gebieten es nicht, eine Teilungsversteigerung der Ehegattenimmobilie in der Trennungszeit ohne eine Abwägung der beiderseitigen Interessen, generell als unzulässig anzusehen.
  2. Die schutzwürdigen Belange des teilungsunwilligen Ehegatten werden durch ein Schrankensystem aus materiell-rechtlichen Einwendungen nach §§ 1365, 1353 Abs. 1 Satz 2, 242 BGB, die im Drittwiderspruchsverfahren geltend zu machen sind, und vollstreckungsschützenden Vorschriften im Teilungsversteigerungsverfahren nach § 180 Abs. 2 und 3 ZVG, § 765 a ZPO gewahrt.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 16.11.2022
Aktenzeichen: XII ZB 100/22
Leitparagraph: §§ 749, 1353, 1365 BGB; § 180 ZVG; § 771 ZPO
Quelle: FamRZ 2023, Heft Nr. 5

Kommentierung:

Ein getrenntlebendes Ehepaar stritt sich um die Zulässigkeit der Teilungsversteigerung einer in ihrem jeweils hälftigen Miteigentum stehenden Immobilie nach bereits 3-jähriger Trennungszeit. Das Haus bestand aus zwei Wohnungseigentumseinheiten. Die eine Einheit wurde von den Eheleuten mit ihren beiden Töchtern bewohnt. Die andere Einheit wurde in zwei Mietwohnungen unterteilt und vermietet. Die Immobilie war kreditfinanziert. Beiden Eheleuten gehörte noch ein Ferienhaus in der Türkei. Der Ehemann und Vater ist mit der Trennung ausgezogen, Mutter und Kinder blieben in der Wohnung. Die Mutter bezog eine Erwerbsminderungsrente (ca. 1100 €) und hat die Mieten eingenommen, auf der anderen Seite aber auch die Kreditraten, die in etwa den Mieteinnahmen entsprachen, getragen. Der Ehemann und Vater bezog Sozialleistungen, leistete keinen Kindes- bzw. Getrenntlebendunterhalt und hat die Teilungsversteigerung beantragt. Die Ehefrau wehrte sich hiergegen mit der sogenannten Drittwiderspruchsklage und hat insbesondere eingewandt, dass aufgrund des Rücksichtnahmegebots gemäß § 1353 BGB bis zur Rechtskraft einer Scheidung der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe vorrangigen Schutz genieße und daher in der Trennungszeit eine Teilungsversteigerung stets ausgeschlossen sei.

Eine Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO ist dann erfolgreich, wenn eine Teilungsversteigerung hinderndes Recht vorliegt. Sowohl Amtsgericht als auch OLG hatten derartige hindernde Rechte verneint. Weder aus § 1365 BGB (Verfügung über Vermögen im Ganzen) noch aus § 1353 BGB (Verpflichtung zur ehelichen Rücksichtnahme) könne ein solches Recht hergeleitet werden. Da beide Eheleute neben dem streitgegenständlichen Haus noch werthaltige Ferienwohnungen hatten, stellt das streitgegenständliche Haus nicht „das Vermögen im Ganzen“ dar, sodass mit diesem Argument die Ehefrau nicht durchdringt. Auch das in § 1353 BGB normierte Rücksichtnahmegebot begründet kein allgemeines Verbot einer Teilungsversteigerung. Insoweit ist eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. Nach Auffassung des BGH ist keinesfalls einzelnen Entscheidungen von Oberlandesgerichten zuzustimmen, die einen grundsätzlichen Ausschluss während der Trennungszeit geurteilt haben (OLG Hamburg, FamRZ 2017, Seite 1829). Vielmehr verweist der BGH auf die herrschende Rechtsprechung, wonach die Belange des anderen Ehegatten zunächst durch § 1365 BGB (Verfügung über Vermögen im Ganzen) oder im Vollstreckungsschutz nach § 180 ZVG (Abwägung widerstreitender Interessen und Einstellung der Teilungsversteigerung bei Gefährdung des Kindeswohls) bzw. im Teilungsversteigerungsverfahren gemäß § 765 a ZPO (Gefährdung des teilungsunwilligen Ehegatten) ausreichend geschützt sind und maßgebend sind.

Der BGH macht dann eine umfangreiche Interessenabwägung. Er führt aus, dass das über 3 Jahre hinausgehende Getrenntleben nahelegt, dass dem räumlich-geschützten Bereich der offensichtlich gescheiterten Ehe und der „nachehelichen“ Solidarität keine durchgreifende Bedeutung mehr beizumessen sind. In die Interessenabwägung ist auch eingeflossen, dass der Mann in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und daher der Erzielung eines Versteigerungserlöses der Vorzug zu geben ist. Hinzu kam, dass die Immobilie erst im Jahr 2017 bezogen wurde und das gemeinsame Zusammenleben bis zur räumlichen Trennung kaum ein Jahr andauerte. Der BGH hat dem OLG bestätigt, dass es eine ausreichende Interessenabwägung vorgenommen hat. Auch Kindsbelange (eine Tochter war noch minderjährig) wurden ausreichend bedacht, Insbesondere hat das Beschwerdegericht nach Auffassung des BGH auch keinen Sachvortrag der Beschwerdeführerin übergangen.

Mit dieser Entscheidung hat der BGH dem Rechtsstreit ein Ende gesetzt, wonach immer wieder vorgetragen wurde, dass während der Trennungszeit ein Teilungsversteigerungsverfahren grundsätzlich unzulässig sei. Dem hat der BGH eine Absage erteilt (so schon OLG Thüringen, FamRZ 2019, Seite 515; OLG Stuttgart, FamRZ 2021, Seite 663 mit Anmerkung Wever; OLG Dresden, FamRZ 2022, Seite 1724; Kogel, FamRZ 2022, Seite 1661 u.v.a.; andere Ansicht: OLG Hamburg, FamRZ 2017, Seite 1829; Erbarth, NZFam 2018, Seite 34). Näheres zur Zwangs- und Teilungsversteigerung in Merkblatt Nr. 72 des Verbandes ISUV.