Volljährigenunterhalt - BGH - 17.01.2007

Volljährigenunterhalt
BGH, Urteil vom 17.01.2007, Az. XII ZR 166/04 - §§ 1602, 1610, 1612 b BGB
(Suchworte: Unterhalt, Kindesunterhalt, Volljährigenunterhalt, privilegiert volljährige Kinder, Kindergeldanrechnung)
mitgeteilt von RA Simon Heinzel, Fachanwalt für Familienrecht
www.bundesgerichtshof.de, Pressemitteilung Nr. 10/2007
::Leitsatz::
Das staatliche Kindergeld ist auch bei privilegiert volljährigen Kindern auf den Unterhaltsbedarf in voller Höhe (derzeit 154 Euro) anzurechnen.


I. Folgender Sachverhalt lag zu Grunde:

Der 1985 geborene Kläger ist im Entscheidungszeitraum Schüler an einer allgemeinbildenden Schule, erzielt keine eigenen Einkünfte und lebt im Haushalt seiner Mutter (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB = volljährige Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, die noch im Haushalt eines Elternteils leben und sich in allgemeiner Schulausbildung befinden). Der Beklagte, sein Vater, lebt von der Mutter getrennt und erzielt unterhaltsrelevante Einkünfte in Höhe von 1487 Euro, die Mutter in Höhe von 1178 Euro. Der Vater hat einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 350 Euro monatlich, abzüglich des hälftigen Kindergeldes in Höhe von 77 Euro anerkannt und zahlt diesen Betrag auch regelmäßig. Der Kläger begehrt weiteren Unterhalt in Höhe weiterer 77 Euro, mit dem Argument, bei minderjährigen Kindern wird bis zu 135 % des Regelbetrages nur ein anteiliges Kindergeld angerechnet und der Vater bezahle nach der Tabelle für 18jährige Kinder einen Betrag (Bedarf), der unter Berücksichtigung von § 1612 b Abs. 5 BGB nicht dazu berechtigen würde, das hälftige Kindergeld abzuziehen. Sowohl das Amtsgericht Nürnberg als auch das OLG Nürnberg haben die Klage abgewiesen, hiergegen richtet sich die vom OLG Nürnberg zugelassene Revision des Sohnes.
Die Revision hat keinen Erfolg.


II. Der BGH begründet seine Entscheidung wie folgt:

Nach der neueren Rechtsprechung des BGH-Senats ist das Kindergeld auf den Unterhaltsanspruch der Kinder anzurechnen, und zwar bei minderjährigen Kindern jeweils hälftig auf den Bar- und den Betreuungsunterhalt, bei volljährigen Kindern in voller Höhe auf den allein ab dem 18. Lebensjahr verbleibenden Barunterhalt (BGHZ 164, Seite 375 = BGH-Urteil v. 26.10.2005, Az. XII ZR 34/03 = FamRZ 2006, Seite 99 ff. = ISUV-Report März 2006, Nr. 107, Seite 14 ff.), welcher von den beiden Elternteilen entsprechend ihrer Einkommensverhältnisse quotal zu bezahlen ist. Nach § 1612 b Abs. 5 BGB, auf den sich der Kläger beruft, unterbleibt eine Anrechnung des (hälftigen) Kindergeldes, soweit der Unterhaltsverpflichtete nicht in der Lage ist, wenigstens 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu bezahlen. Insoweit ist das Kindergeld zunächst zur Sicherung des Existenzminimums des Kindes einzusetzen, bevor es ein Elternteil (durch Anrechnung des hälftigen Kindergeldes) entlastet. Streitig war, ob dies auch für sog. privilegiert volljährige Kinder bis zum 21. Lebensjahr gilt, die sich in allgemeiner Schulausbildung befinden und bei einem Elternteil leben. In konsequenter Fortführung des Urteils des BGH, Az. XII ZR 34/03 (siehe oben, und auch BGH-Urteil v. 01.03.1006, Az. XII ZR 230/04 = ISUV-Report Juni 2006, Nr. 108, Seite 12 ff.) ist der BGH auch hier der Auffassung, dass § 1612 b Abs. 5 BGB, nur auf minderjährige Kinder anzuwenden ist und auch nicht auf privilegiert volljährige Kinder entsprechend anzuwenden ist. Nach Auffassung des BGH stellt § 1612 b Abs. 5 BGB für die Bemessung des Existenzminimums auf 135 % des Regelbetrages der Regelbetrag-Verordnung ab, die jedoch nur für minderjährige Kinder gilt. Für den Unterhaltsanspruch privilegiert volljähriger Kinder haften beide Elternteile im Verhältnis ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit (unter Berücksichtigung eines Selbstbehalts gegenüber volljährigen Kindern) sodass das sog. Existenzminimum nicht schon durch den Unterhaltsanspruch gegen ein Elternteil gesichert wird, zudem ist die Vorschrift des § 1612 b BGB eine Vorschrift, die dem Grundsatz der Klarheit von Gesetzen immer weniger gerecht geworden ist.
Die Sicherung des Existenzminimums ist beim Unterhaltsanspruch privilegiert volljähriger Kinder schon jetzt dadurch möglich, dass der Unterhaltsbedarf nach der 4. Altersstufe der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle €“ ohne Bindung an die Regelbetrag-VO entsprechend erhöht werden kann und wird (Unterhaltsbedarf nach dem zusammengezählten Einkommen beider Elternteile). Die Düsseldorfer Tabelle sieht zwar in den ersten Einkommensgruppen Unterhaltsbeträge vor, die unter dem Existenzminimum liegen, diese können jedoch erhöht werden, ohne dass es einer Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB bedarf. In der für den 1. Juli 2007 zu erwartenden Fassung werden die Gerichte diese Unterhaltsbeträge der 4. Alterstufe der DT anheben und dem mit der anstehenden Unterhaltsrechtsreform vorgesehenen Mindestunterhalt minderjähriger Kinder anpassen.
Aus den genannten Gründen hat die Revision derzeit keinen Erfolg, selbst wenn man von einer Erhöhung des Unterhaltsbedarfs aufgrund des Existenzminimums ausgehen wollte, da das OLG Nürnberg dem Sohn aufgrund anderer Rechtsfehler einen Unterhalt zugesprochen hat, der €“ gemeinsam mit dem von der Mutter geschuldeten weiteren Barunterhalt €“ jedenfalls das Existenzminimum abdeckt.


III. Fazit

Mit diesem Urteil wird eine weitere Facette des Volljährigenunterhaltes höchstrichterlich entschieden. Es setzt die Reihe der zur Kindergeldanrechnung ergangenen Urteile des BGH in jüngster Vergangenheit (BGH, Urteil v. 26.10.2005, AZ. XII ZR 34/03 = ISUV-Report Nr. 107, BGH, Urteil v. 01.03.2006, Az. XII ZR 230/04 = ISUV-Report Nr. 108) konsequent fort. Der Verfasser hat bereits im ISUV-Merkblatt Nr. 22 (Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder) unter Verweis auf die bis dato ergangenen Urteile des BGH die Auffassung vertreten, dass auch bei privilegiert volljährigen Kindern vom Unterhaltsbedarf das gesamte Kindergeld abzuziehen ist, was nunmehr auch mit diesem neuesten Urteil des BGH bestätigt wird und auch letztendlich von den Obergerichten zum Großteil schon so entschieden wurde. Auch das OLG Nürnberg hatte in der zugrundegelegten Entscheidung diese Auffassung vertreten. Der BGH hat mit der jetzigen Entscheidung jedoch ergänzt, dass nach der bisherigen DT und der Altersstufe €žüber 18 Jahre€œ in den unteren Einkommensgruppen das Existenzminimum auch eines volljährigen Kindes nicht gesichert ist und ein Gericht somit die Tabellenbeträge auch erhöhen kann, die Korrektur zur Erreichung eines Existenzminimums kann in diesem Fall jedoch nicht über die Anwendung des § 1612 b Abs. 5 BGB (Nichtanrechnung des hälftigen Kindergeldes) erfolgen. Nachdem jedoch das OLG Nürnberg offensichtlich die Quotenunterhaltsverpflichtung der Mutter übersehen hatte (€žanderer Rechtsfehler€œ gemäß Urteil), war durch die Unterhaltshöhe im vorliegenden Einzelfall nach Auffassung des BGH das Existenzminimum des volljährigen Kindes abgedeckt, sodass es keiner Zurückverweisung an das OLG bedurfte. Mit der Entscheidung hat der BGH letztendlich die Rechtsfrage entschieden, dass § 1612 b Abs. 5 BGB eben nur für minderjährige Kinder gilt.
In der Unterhaltsrechtsreform wird auch das Existenzminimum des minderjährigen Kindes neu geregelt, eine Regelbetrag-VO wird wegfallen und der Kindesunterhalt somit neu konzipiert, mit der Folge, dass der unsägliche § 1612 b Abs. 5 BGB insgesamt wegfallen wird. Somit wird dieses Urteil des BGH in Zukunft nur noch für Unterhaltsfälle für Zeiten vor der Unterhaltsrechtsreform von Bedeutung sein. Angekündigt war die Unterhaltsrechtsreform zum 01.04.2007, dies wird wohl nicht mehr realisierbar sein, sodass man derzeit davon ausgeht, dass der 01.07.2007 der Stichtag für die Unterhaltsrechtsreform sein wird, dies bleibt jedoch noch abzuwarten.
Mit dem Urteil ist jedoch auch dann für die Zukunft feststehend, dass immer das gesamte Kindergeld auf den Unterhaltsbedarf eines privilegiert volljährigen Kindes angerechnet wird, dies hatte jedoch der BGH bereits entschieden mit seinem vorausgegangen Urteil vom 26.10.2005, Az. XII ZR 34/03 (siehe oben).