Wechselmodell - OLG - 16.09.2021

Bei hoher elterlicher Konfliktbelastung und entgegenstehendem Willen des 14-jährigen Kindes entspricht die Anordnung eines Wechselmodells nicht dem Kindeswohl.

Beschluss:
Gericht: OLG Brandenburg
Datum: 16.09.2021
Aktenzeichen: 10 UF 34/21
Leitparagraph: §§ 1684, 1697 a BGB
Quelle: FamRZ 2022, Seite 1210

Kommentierung:

Mit dieser Entscheidung fasst das OLG Brandenburg die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zusammen und begründet die Ablehnung eines Wechselmodells für ein 14-jähriges Kind zum einen mit der hohen elterlichen Konfliktbelastung, zum anderen mit dem maßgeblichen Kindeswillen. Im Verfahren war es unklar, was das Kind selbst „will“, beim OLG hat sich dann herausgestellt, dass das Kind den 14-tägigen Umgangsrhythmus für gut befindet.

Das OLG schickt in seiner Begründung voraus, dass der entscheidende Maßstab immer das Kindeswohl ist. Es ist immer die Reglung zu treffen, die dem Kindeswohl nach § 1697 a BGB am besten entspricht (BVerfG, FamRZ 2010, Seite 1622). Die Anordnung eines Wechselmodells ist dabei unter dem Gesichtspunkt des Umgangsrechts auch gegen den Willen eines Elternteils zulässig (grundlegend BGH, FamRZ 2017, Seite 532, ebenso u. a. OLG Brandenburg, FamRZ 2021, Seite 34). Die Kriterien können wie folgt zusammengefasst werden:

  • ungefähr gleiche Erziehungskompetenzen der Eltern
  • sichere Bindungen des Kindes zu beiden Eltern
  • gleiche Beiträge beider Eltern zur Entwicklungsförderung
  • Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Eltern zur Bewältigung des erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarfs
  • keine Erwartung oder Verschärfung eines Loyalitätskonflikts des Kindes durch die Konfliktbelastung der Eltern
  • autonom gebildeter, stetiger Kindeswille


Das Wechselmodell ist danach anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht (BGH, FamRZ 2020, Seite 258). An diesen Kriterien erkennt man, dass immer im Einzelfall zu entscheiden ist. Im vorliegenden Fall ging das OLG davon aus, dass das 14-jährige Kind seinen Willen autonom gebildet hat und hat auch zu bedenken gegeben, dass auch dann, wenn der Kindeswille nicht immer dem Kindeswohl entspricht, dass der Kindeswille für eine gerichtliche Entscheidung umso mehr wiegt, je älter das Kind ist und dessen Persönlichkeit gereift ist. Starre Altersgrenzen gibt es insoweit nicht, bei dem hier 14-jährigen Kind ist das Gericht von entsprechender Persönlichkeitsreife ausgegangen. Das Kind hat sich gegen ein Wechselmodell ausgesprochen.

Darüber hinaus hat das OLG darauf hingewiesen, dass das Wechselmodell bei der vorlegenden hohen elterlichen Konfliktbelastung (fortwährende sorgerechtliche und umgangsrechtliche Streitigkeiten vor Gericht seit der Trennung 2014/hochstrittige Elternschaft) in der Regel ohnehin nicht dem Kindeswohl entspricht. In derartigen Fällen sind die Kinder mit dem elterlichen Streit konfrontiert und geraten durch den von den Eltern oftmals ausgeübten „Koalitionsdruck“ in Loyalitätskonflikte. Zudem ist es den Eltern aufgrund ihres Streits oft nicht möglich, die für die Erziehung des Kindes nötige Kontinuität und Verlässlichkeit zu schaffen (BGH, FamRZ 2020, Seite 255; FamRZ 2017, Seite 532 u. a.). Für die Anordnung des Wechselmodells ist ein Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern erforderlich. Wer über Jahre hinweg durch zahlreiche Gerichtsverhandlungen zeigt, dass man nicht miteinander kann, kann auch kein Wechselmodell.

Mit dieser Entscheidung fasst das OLG Brandenburg den derzeitigen „Meinungsstand“ zum Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils zusammen. Weit ausführlicher der zu dieser Thematik veröffentlichte Aufsatz von Born in NZFam 2022, Seite 821 ff. oder die Zusammenfassung der Rechtsprechungsübersicht des Jahres 2021 bis heute im Aufsatz von Opitz, NZFam 2022, Seite 773:

Zwischenzeitlich erscheint es in der Rechtsprechung eindeutig, dass dem Grunde nach Fragen des Wechselmodells umgangsrechtlicher Natur sind und daher in sogenannten umgangsrechtlichen Verfahren zu klären sind (zuletzt BGH, FamRZ 2022, Seite 601). Die Unterscheidung und Klarstellung ist deshalb von Bedeutung, da es sich bei Sorge- und Umgangsrecht um eigenständige Verfahrensgegenstände handelt. Soweit diese formale Frage durch die zuletzt genannte BGH-Entscheidung geklärt zu sein scheint, so ist und wird weiterhin die Bandbreite der Einschätzungen zur Kindswohldienlichkeit eines Wechselmodells groß und naturgemäß einzelfallabhängig sein.

Auch wenn oftmals aufgrund „moderner“ Entwicklungen der Gesellschaft die Auffassung vertreten wird, beim Wechselmodell handele es sich um einen Regelfall/Normalfall, eine sogenannte gesetzliche Vermutung, so ist dies nicht richtig. Auch die gesetzliche Normierung in anderen Ländern hilft hier nicht weiter. Es gibt in Deutschland weiterhin relativ wenige Forschungsergebnisse, die generelle Vorteile des Wechselmodells gegenüber dem Residenzmodell bejahen (näheres hierzu bei Born, NZFam 2022, Seite 821 mit Verweis auf weitere Literatur). Wenn in der Praxis bereits ein paritätisches Wechselmodell gelebt wurde und macht ein Elternteil dann einen Rückzieher, hat der andere Elternteil gute Aussichten auch vor Gericht das Wechselmodell auch für die Zukunft beizubehalten. Der ablehnende Elternteil muss dann plausible Gründe für eine Abänderung des bislang gelebten Wechselmodells vortragen. Dies gilt selbst dann, wenn erhebliche Kommunikationsstörungen der Eltern zwischenzeitlich vorliegen und nachteilige Wirkungen auf das Kind nicht feststellbar sind (OLG Dresden, NZFam 2022, Seite 610).

Viel häufiger sind jedoch die gerichtlichen Fälle, wonach ein Wechselmodell noch nicht praktiziert wurde und ein Elternteil ein solches begehrt. Dann greifen die Kriterien, die oben schon genannt sind. Soll eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst durch das Wechselmodell „herbeigeführt“ werden, scheidet ein Wechselmodell aus (BGH, FamRZ 2017, Seite 532). Auf der anderen Seite dürfen an die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden, denn anderenfalls würde durch Blockadehaltung des ablehnenden Elternteils ohne triftigen Grund eine gerichtliche Anordnung zum Wechselmodell verhindert werden können, ein derartiges „Vetorecht“ hat der BGH ausdrücklich abgelehnt (BGH, FamRZ 2017, Seite 532). Für ein Wechselmodell sprechen geringe Entfernungen der Wohnorte der Eltern, große Entfernungen sprechen dagegen. Letztendlich muss bei Schulkindern die Schule von beiden Haushalten gut erreichbar sein (OLG Frankfurt a.M., FamRZ 2022, Seite 362 u. a. bei Zuzug eines Elternteils in die Nähe des Wohnortes des Kindes). Dass auch der Wille des Kindes ab einem gewissen Alter von Bedeutung ist, ist bereits oben anhand der OLG-Entscheidung skizziert worden.

Zusammenfassung:

  • Die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells ist auch dann möglich, wenn ein Elternteil eine solche Regelung ablehnt.
  • Kriterium ist das Kindeswohl, nicht der Wunsch eines Elternteils.
  • An Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden/Einzelfall.
  • Anlehnung an die Rechtslage in anderen Ländern, wonach das Wechselmodell als Regelfall ausdrücklich normiert ist, ist erstrebenswert (Belgien, Frankreich, Italien u. a., näheres hierzu bei Helms/Schneider, FamRZ 2020, Seite 813).


Die Gerichte werden auch in Zukunft damit beschäftigt sein im Einzelfall über die Anordnung eines Wechselmodells zu entscheiden, da letztendlich jedes Kind individuelle ist, als auch jede Konfliktsituation der Eltern seine eigene Dynamik hat. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird es nur gelingen, Leitplanken zu setzen und Entscheidungskriterien festzuhalten. Lediglich der Gesetzgeber könnte in dieser Frage eingreifen, indem z. B. das Wechselmodell als gesetzlicher Regelfall normiert wird (so wie das gemeinsame Sorgerecht der gesetzliche Regelfall ist).