Wechselmodell / Unterhalt – KG Berlin – 15.04.2019

  1. Bei einer Betreuung des gemeinsamen Kindes durch beide Elternteile im Verhältnis von 45 % zu 55 % kann von einem unterhaltsrechtlichen paritätischen Wechselmodell, bei dem beide Elternteile quotal für den Unterhaltsbedarf des Kindes einzustehen haben, noch keine Rede sein.
  2. Der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Sorge- und Umgangssachen (Beschluss v. 1.2.2017 – XII ZB 601/15, BGHZ 214, 31) anerkannte Grundsatz, dass ein paritätisches Wechselmodell nur angeordnet werden kann, wenn zwischen den Eltern eine tragfähige Kommunikations- und Kooperationsbasis besteht, kann vom grundsätzlichen Denkansatz her als wertendes Element herangezogen werden, um die Frage zu entscheiden, ob ein spezifisches, von den Eltern praktiziertes Betreuungsmodell bereits als echtes Wechselmodell qualifiziert werden kann. Denn ohne eine gewisse Basis bei der Kommunikation und Kooperation der Eltern ist es auch aus unterhaltsrechtlicher Sicht nicht vorstellbar, wie die Eltern in der Lage sein wollen, die mit zunehmenden Alter des Kindes immer wichtiger werdenden organisatorischen Aspekte der Kinderbetreuung im Wechselmodell wahrzunehmen.

  3. Zur Frage, ob der vom pflichtigen Elternteil geschuldete Barunterhalt zu mindern ist, weil der betreffende Elternteil für das unterhaltsberechtigte Kind regelmäßig Bekleidung kauft, Reisen finanziert oder sonstige Ausgaben bestreitet.

Beschluss:
Gericht: KG Berlin
Datum: 15.04.2019
Aktenzeichen: 13 UF 89/16
Leitparagraph: §§ 1601, 1606 Abs.3 BGB
Quelle: FF 2019, Seite 414

Kommentierung:

Die Eltern streiten über den Kindesunterhaltsanspruch des Kindes. Sie sind sich einig, dass die Betreuung des Kindes zu 55 % von der Mutter und zu 45 % vom Vater wahrgenommen wird. Die Fronten der Eltern sind verhärtet, moderierte Gespräche bei der Erziehungsberatungsstelle hat der Vater abgebrochen, eine Kommunikation der Eltern über die Belange des Kindes findet praktisch nicht statt.

Der Vater geht davon aus, dass unter Berücksichtigung des jeweiligen Betreuungsumfangs und der Mehrkosten des Betreuungswechsels der Unterhalt des Kindes quotal nach den Einkommensverhältnissen zu quotieren ist, hierbei auch zu berücksichtigen sei, dass er für das Kind zahlreiche Gegenstände des persönlichen Bedarfs bezahle und Kosten für Urlaube und Ausflüge etc. trage. Das Amtsgericht hat der Tochter einen Unterhaltsanspruch nach Düsseldorfer Tabelle zugesprochen und gerade keine quotale Wechselmodellberechnung durchgeführt, da es sich nur um einen sogenannten erweiterten Umgang und nicht um ein Wechselmodell handele. Finanzielle Mehrbelastungen, die sich durch den erweiterten Umgang ergeben, sind durch eine Herabstufung um eine oder mehrere Stufen der Düsseldorfer Tabelle aufzufangen. Deshalb hier statt 3. Einkommensgruppe der DT nur 1. Einkommensgruppe der DT. Hiergegen wendet sich der Vater. Es bleibt weiterhin bestritten, dass ein Wechselmodell gelebt wird. Die prozentuale Aufteilung reicht schon nicht.

Im vorliegenden Fall weist das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass zwar der zeitliche Einsatz der Eltern für die Betreuung des Kindes zu berücksichtigen ist, entscheidend ist jedoch auch die Frage, welche Betreuungsintensität in den jeweiligen Zeiten vonnöten ist (BGH, FamRZ 2014, Seite 917, Wendl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage, § 2, Rdn. 448). Bei einer Verteilung von 55 % zu 45 % liegt jedoch ohnehin schon ein Übergewicht bei der tatsächlichen Fürsorge für das Kind bei der Mutter. Solange das deutliche das Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil liegt, ist eine quotale Wechselmodellberechnung nicht anzuwenden. Das ist hier der Fall. Nur wenn die Eltern annähernd oder fast 50 % zu 50 % sich die Versorgungs- und Erziehungsaufgaben teilen, greift die Wechselmodellrechtsprechung (Berechnung siehe Merkblatt Nr. 23, Ziffer IV. 3., des Verbandes ISUV/VDU).

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass nach dem BGH ein paritätisches Wechselmodell nur dann angeordnet werden kann, wenn zwischen den Eltern eine tragfähige Kommunikations- und Kooperationsbasis besteht. In der Auslegung ist auch deshalb hier nicht von einem Wechselmodell auszugehen. Der Vater ist alleine barunterhaltspflichtig.

Einen möglichen Mehraufwand infolge des erweiterten Umgangs kann der Vater auch nicht geltend machen, da dem Aspekt durch die Gruppenherabstufung der DT Rechnung getragen ist. Selbst wenn man bei größeren Anschaffungen oder Beiträgen zu Sportvereinen etc. diese grundsätzlich dem Barunterhalt zuordnet, Bedarf es für eine Anrechnung/Abzug einer einvernehmlichen Entscheidung des anderen betreuenden/obhutgewährenden Elternteils dazu, dass diese Gegenstände etc. unterhaltsmindern angeschafft werden können. Es ist einem Umgangsberechtigten nicht gestattet, ohne Absprache mit dem anderen Dinge anzuschaffen, um sie dann unterhaltsmindernd geltend zu machen. Ohne eine entsprechende einvernehmliche Regelung mit dem betreuenden Elternteil ist das nicht möglich.

Das Kammergericht hat sich in seiner Beschlussbegründung auf die herrschende Rechtsprechung des BGH gestützt (BGH, FamRZ 2015, Seite 236, dort Betreuungsanteil des Vaters von 46,67 %). Auch verweist das Kammergericht ausdrücklich darauf, dass kein rein schematischer Zeitvergleich zu tätigen ist, sondern auch die Qualität der Betreuungszeiten zu berücksichtigen ist, wonach jeder Elternteil auch etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrzunehmen hat (Absprache/Organisation von Arztbesuchen, Schulveranstaltungen, Freizeitaktivitäten, Hol- und Bringdienste etc.).

Es erscheint schon problematisch, dass bei einer festgestellten Betreuungsquote von 55 % zu 45 % von einem deutlichen Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil ausgegangen wird. Diese Sichtweise kann man schon als „eng“ bezeichnen, mit der Folge, dass ein paritätisches Wechselmodell in der Praxis eher selten anzutreffen sein wird. Nach Auffassung des Verfassers erscheint die Entscheidung des Kammergerichts fehlerhaft, insbesondere darf man nicht übersehen, dass auch bei Betreuungsquoten unter 45 % ein erheblicher Teil des Geldbedarfs des Kindes während seines Aufenthalts bei diesem Elternteil durch Naturalleistung gedeckt wird (Ernährung, Kleidung, Wohnungsgewährung etc.). Mögen auch praktische Erwägung zur Berechnung eines Unterhalts dafür sprechen, ein Wechselmodell nur in seltenen Fällen anzunehmen, trotzdem spricht grundsätzlich nichts dagegen, auch bei einer Quote wie hier oder gar bis zu 40 % eine quotale Bemessung des Gesamtkinderunterhaltsbedarfs vorzunehmen (so auch Borth in Anmerkung zu diesem Urteil in FamRZ 2019, Seite 1322).

Auch Borth stellt fest, dass zwar die Unterhaltsberechnung schwieriger wird, aber im Hinblick auf die anerkannten gewandelten Betreuungsverhältnisse das starre Festhalten an der gewohnten Bestimmung des Kindesunterhalts nicht mehr gerechtfertigt ist. Diese Frage kann auch nicht abhängig gemacht werden von einer möglicherweise gebotenen Gesetzesänderung, sondern könnte auch nach der bestehenden Rechtslage bereits durch die Rechtsprechung berücksichtigt werden. Hieran „arbeitet“ auch der ISUV.