Gleichberechtigte Betreuung der Kinder in der Trennungsfamilie

Es ist mithin unstreitig, dass Kinder beide Eltern, nämlich Vater und Mutter gleichermaßen brauchen, um sich gesund entwickeln zu können. Häufig erstrecken sich nach Beendigung der Paarbeziehung zwischenmenschliche Streitigkeiten der ehemaligen Partner oder Ehegatten auf die Kinder. Über die Kinder versuchen immer wieder verbitterte und gekränkte Eltern den Ex-Partner zu bestrafen und sich an ihm zu rächen.

Zur Diskussion gestellt:

ISUV-Mitglied Alexander von Lüpke, Rechtsanwalt und betroffener Vater hat sich Gedanken gemacht zu unserem Titelthema „Trennungsfamilie – Trennungskinder im Fokus“. Sein Artikel enthält Thesen, Argumente, die Mitglieder immer wieder äußern.

Wie stehen Sie dazu: „Entfremdung der Kinder?“, „Blockadehaltung – Staat schaut zu?“, „Wirtschaftsinteressen vor Kindeswohl“, …
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Entfremdung der Kinder?

Einzelne Elternteile sind nicht bereit auf Elternebene miteinander zu kommunizieren und boykottieren mit teilweise höchst unlauteren Mitteln die notwendige Verständigung zur Klärung und Berücksichtigung der Interessen ihrer Kinder.

Nicht selten werden die Kinder vorgeschoben, um einen sachlichen Austausch zur friedlichen Interessenwahrnehmung zu verhindern, da ein oder beide Elternteile mit der Trennung nicht abgeschlossen haben. Verfolgt werden egoistische Ziele der Elternteile. Der jeweils andere Elternteil wird diffamiert, was schließlich bis zur Entfremdung der Kinder und Ablehnung eines Elternteils durch die Kinder führen kann.

Die Kinder werden zum Zankapfel und sind letztlich die Leidtragenden. Die Eltern machen sich schuldig, die Kinder bleiben als Opfer zurück und haben häufig ihr ganzes Leben mit den Folgen des „Krieges“ zu kämpfen.

Blockadehaltung – Staat schaut zu, ja unterstützt?

Mit einer konsequenten Blockadehaltung ist es möglich ein der Gleichberechtigung geschuldetes paritätisches Betreuungsmodell mit allen damit verbundenen Konsequenzen zu verhindern.

Der Staat schaut zu und unterstützt dieses Phänomen. Der Staat, das sind die Gerichte, Jugendämter, die Staatsanwaltschaften und die Rechtsaufsichten der jeweiligen Stellen. Insbesondere die Familiengerichte und die Jugendämter drängen häufig Väter aus der unmittelbaren Betreuungsverantwortung für ihre Kinder. Sie schaffen der Rechtsprechung des BGH folgend mit dem Residenzmodell - eine betreut-einer bezahlt - alleinerziehende Mütter. Somit wird ein überholtes Rollenverständnis der 1950er Jahre legitimiert.

Mütter haben Vorrang – hoheitliche Machtzuschreibung?

In Umgangs- und Unterhaltsverfahren entsteht der Eindruck, es gebe bei jeder Anwendung der geltenden Vorschriften ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Mütter haben Vorrang. Etwaige nachteilige Regelungen für Mütter gelten oft nicht und entfalten keine Wirkung“. Folglich werden die Kinder im Streitfall ohne unvoreingenommene Prüfung zur Mutter verfügt. Das kann in einem Rechtsstaat, der Gleichberechtigung propagiert, nicht akzeptiert werden.

Das im Regelfall angeordnete Residenzmodell ist ein hilfloser Versuch der Rechtsprechung den Elternkonflikt durch hoheitliche Machtzuschreibung gemäß überholter Rollenverteilung zu regeln. Die Gerichte vernachlässigen das Kindeswohl, die Regeln zur Gleichbehandlung. Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für das Residenzmodell existiert nicht. Alle staatlichen Gewalten machen mit, keine weiteren Ermittlungen, wie zahlreiche Fälle zeigen. Der Amtsermittlungsgrundsatz dient als Alibi.

Staat fördert Alleinerziehen?

Das Entsetzen der Politik über die vielen alleinerziehenden Mütter hält sich in Grenzen. Die „Politik“ schafft es nicht den Regeln zur Gleichberechtigung Geltung zu verschaffen. Vielmehr wird propagiert, dass alleinerziehende Mütter mehr Unterstützung brauchen, da sie es mutmaßlich schwer haben. Entsprechend werden Alleinerziehende mit höheren Steuerfreibeträgen oder höherem Kindergeld bedacht. Auf der anderen Seite werden die Inflation und die stetig steigenden Kosten bei der Gestaltung der Düsseldorfer Tabelle zu Lasten der Unterhaltspflichtigen nicht berücksichtigt.

Die europäische Resolution 2079 aus dem Jahr 2015 wurde nicht umgesetzt. Titel: „Gleichheit und gemeinsame elterliche Verantwortung – Rolle der Väter“

Wirtschaftsinteressen vor Kindeswohl?

Aber nicht nur die staatlichen Stellen tragen Verantwortung am Leid der Kinder in Trennungsfamilien. Es entsteht zuweilen der Eindruck, dass die Wirtschaftsinteressen der beteiligten Player vor die Kindesinteressen gestellt werden. Müssten die Wirtschaftsinteressen der Anwälte, der Verfahrensbeistände oder der psychologischen Sachverständigen nicht hinter die Kindesinteressen zurücktreten? Wie ist es zu erklären, dass beteiligte Personen in ihrer Funktion nicht für die Kindesinteressen plädieren, sondern die Eltern mit deren Interessen vertreten und sich das entsprechend honorieren lassen? Wie wäre es mit einer Vergütung bei erfolgreicher Vermittlung und Streitbeilegung im Sinne des Kindeswohls?

Das persönliche Ziel der Elternteile gilt stets als legitim, jeder will ja nur, was ihm „zusteht“. Ausgeblendet wird rasch die Frage danach, was den Kindern zusteht. Nämlich beide Eltern, Vater und Mutter; und das gleichermaßen.

Einseitig angemahnte Gleichberechtigung?

Während vor dem Hintergrund der immer wieder angemahnten Gleichberechtigung mit einer gewissen Vehemenz verlangt wird, dass mehr Frauen in berufliche Männerdomänen oder in Führungspositionen gelangen, wird im Bereich Familie keine Gleichberechtigung, wie sie das Grundgesetz vorsieht, angemahnt. Die Männer und die Kinder haben im Fall der Trennung das Nachsehen. Auch die Berücksichtigung des Kindeswillens, der Schutz durch Artikel 2 Grundgesetz genießen sollte, steht in Frage. Die „Kimiss-Studie“ der Uni Tübingen oder der „Zustandsbericht Kinder“ gibt zumindest Indizien für die nicht angemessene Behandlung von Kindern im Rahmen von Umgangs- oder Sorgerechtsstreitigkeiten. Leider finden die gewonnenen Erkenntnisse in den einschlägigen Verfahren keine Beachtung.

Residenzmodell fördert Ungleichheit?

Die Anordnung eines Residenzmodells regelt vor allem die Machtverhältnisse zwischen den Elternteilen in ein Überordnung-/Unterordnungsverhältnis. Ein staatlich angeordnetes Residenzmodell stellt einen Elternteil bei der Betreuung der Kinder hinten an, es kommt zu einer Machtschiebung, die sich nachteilig auf die Erziehung der Kinder und die Wahrnehmung der Eltern bei  Kindern auswirkt. Geschieht es ohne sachlichen Grund, stellt es sogar eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Die Männer haben hier nahezu allen Fällen das Nachsehen, da sachliche Gründe für die Wahl des Lebensmittelpunkts der Kinder bei der Mutter häufig nicht vorliegen und keine Prüfung der Umstände erfolgt.

So hat das AG Hanau in einem Fall vom Vater ein Betreuungskonzept verlangt. Die Mutter musste ein solches Betreuungskonzept nicht vorweisen. Die Vorlage des Betreuungskonzepts hat im konkreten Fall selbstredend trotzdem nicht zum Erfolg geführt. Für das Verhältnis zwischen den Beteiligten ist das Residenzmodell oft nicht förderlich. Bestraft werden damit vor allem die Kinder, es erfolgt eine staatliche festgelegte Rückstufung eines Elternteils zum Nachteil der Kinder. Das widerspricht der Aufgabe des Staates aus Art. 6 Grundgesetz, das konstruktive Zusammenwirken der beiden Elternteile zu fördern und darauf zu bestehen. Diese einseitige Machtfestlegung verdrängt einen Elternteil aus dem Bewusstsein der Kinder, macht es dem staatlich legitimierten Elternteil leicht den anderen zu verdrängen, was rasch, gewollt oder ungewollt zu einer Entfremdung führen kann.

Einseitige Machtfestlegungen durch staatliche Stellen werden keine Lösungen bringen, gerade dann, wenn eine Elternseite nicht bereit ist, konstruktiv auf Elternebene mit dem anderen Elternteil zusammenzuarbeiten. Das Residenzmodell bringt ungleiche familiäre Machtpositionen mit sich. Auch eine funktionierende Familienstruktur nicht getrennter Paare sieht nicht vor, dass ein Elternteil über den anderen hinweg entscheidet.

Ungleiche Einflussmöglichkeiten bergen Konfliktpotential

In der funktionierenden Familie nicht getrennter Eltern sind neben dem Konsens, die friedliche Konfliktlösung und die Berücksichtigung des Kindeswillens die einzigen vertretbaren und kindeswohlgerechten Verfahrensweisen. Immerhin dürfte es unstreitig sein, dass die konfliktfreie Kindererziehung bei einer intakten Paarbeziehung am ehesten dem Kindeswohl gerecht wird.

In der Trennungsfamilie ist die Trennung gesetzt, mit dieser muss im Sinne des Kindeswohls umgegangen werden. Die Trennung ändert logischerweise nichts an den Bedürfnissen der Kinder beide Elternteile um sich herum haben zu wollen. Ungleiche Einflussberechtigungen mit Blick auf die Kinder und deren Erziehung bringen stets Konfliktpotential und künstlich geschaffene Ungerechtigkeiten und Gesundheitsrisken für die Kinder mit sich.

Heute sind die Kinder Verlierer – kann es eine „leitende Führung“ richten?

Heutzutage scheint die entscheidende Frage zu sein, welchem Elternteil es (besser) gelingt die an familiengerichtlichen Verfahren Beteiligten „vor den Karren“ zu spannen. Häufig ist es die Mutter, orientiert an den Traditionen der vergangenen Jahrhunderte, der es mit Hilfe kampferprobter Rechtsanwältinnen gelingt. In Zukunft muss das Kind mit seinen Interessen die Eltern mit deren Interessen aus dem Mittelpunkt verdrängen und in den Fokus gelangen. Beiden Elternteilen muss klar gemacht werden, dass es bei ihnen keine Gewinner oder Verlierer gibt und geben darf. Gewinner müssen von Verfahrensseite her die Kinder sein, dafür sollte der Gesetzgeber mit geeigneten Mitteln sorgen. Heute sind die Kinder und ein Elternteil in vielen Fällen einfach die Verlierer.

Zur Erreichung des Kindeswohls bedarf es der Befriedung des elterlichen Konflikts,  Vermittlung zwischen den Positionen, Schaffung von Akzeptanz für einen Kompromiss, wobei Gleichberechtigung erforderlich ist. Die Positionen und das Ergebnis der Verhandlungen müssen für beide Elternteile nachvollziehbar sein. Zur Erreichung des „Friedensziels“ ist eine leitende (externe) „Führung“ einzurichten, beide Elternteile müssen Kompromiss und Kindeswohl verinnerlichen.

Es dürfen keine Anreize geschaffen werden in einem Kampf gegen den anderen Elternteil obsiegen zu können. Honoriert werden muss derjenige, der sich kompromissbereit zeigt. Eine grundlose Verweigerungshaltung eines Elternteils darf nicht hingenommen werden.

Bestrafung des blockierenden Elternteils?

Der Gesetzgeber muss in diesem Sinne Anreize für kindeswohlstärkendes Verhalten und auch Sanktionen für kindeswohlschädliches und blockierendes Verhalten vorsehen. Das Verlangen nach Transparenz in den innerfamiliären Abläufen der Trennungsfamilie, der Verwaltung und Verwendung gezahlter Unterhaltsleistung kann das Erfordernis des konstruktiven Zusammenwirkens der Elternteile fördern.
Im äußersten Fall muss mit Sanktionen und der Reduzierung der Betreuungsmöglichkeiten gegen den blockierenden Elternteil durch die Gerichte reagiert werden. Das sollte aber das letzte Mittel sein, es geht nicht um Bestrafen, sondern Herbeiführen von Kompromissbereitschaft. Aber es muss die Androhung, Festlegung und Durchsetzung von Konsequenzen als letztes Mittel möglich sein.

Kindesunterhalt – Anreiz ein paritätisches Wechselmodell zu verhindern?

Erstrebt werden muss die Befriedung des elterlichen Konflikts zum Wohl der Kinder. Das Kindeswohl kann nicht dadurch geschaffen werden, dass ein Elternteil präsenter oder weniger präsent ist, wenn Beide gleichermaßen erziehungsfähig sind. Eine Ungleichbehandlung der Elternteile in Bezug auf die Betreuungszeiten führt weder zur Befriedung des Elternkonflikts noch zum Kindeswohl. Es führt vielmehr zu zusätzlichen Spannungen, die sich auf das Kindeswohl negativ auswirken. Die Unzufriedenheit der Beteiligten mündet oft in gesundheitliche Probleme.

Die Möglichkeit vollen Kindesunterhalt – von dem die Kinder nichts wissen - zu bekommen, ist stets ein Anreiz ein paritätisches Wechselmodell zu verhindern.
Es bedarf der Schaffung von Anreizen für beide Elternteile sich beruflich voll engagieren zu wollen.

Der eine in der „Komfortzone – der andere in der „Stresszone“

Es entsteht schnell das Gefühl für Unterhaltspflichtige, dass Unterhaltsberechtigte mit dem „gewonnenen Geld“ in die Komfortzone begeben und der unterhaltspflichtige Vater oder unterhaltspflichtige Mutter in eine Stresszone ohne Kinder getrieben wird. Das Residenzmodell stärkt das latente Gefühl der Ungleichbehandlung.

Vor Beginn einer Auseinandersetzung muss klar sein, dass es unter den Eltern keine Gewinner geben kann. Beide Elternteile müssen sich wie eine „Arbeitsgruppe“ fühlen, die auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet. Jeder muss das Interesse haben das Kindeswohl unter Berücksichtigung des Kindeswillen in einer Gruppendynamik zu erreichen.

Verbesserungsansätze für ein modernes Umgangs- und Unterhaltsrecht?

Der Gesetzgeber muss klarstellen, dass die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau auch in Familienverfahren Anwendung findet. Von vornherein muss ausgeschlossen sein, dass kein Elternteil, der willens und in der Lage ist, sich hintanstellen muss. Das bedeutet konkret:

  • Gleichberechtigung von Vater und Mutter in Sachen Betreuung und Unterhalt unter Anwendung des Art 3 Abs. 2 GG; gleichberechtigtes Betreuungsmodell mit paritätischen Betreuungszeiten als Grundsatz, Verzicht auf den Begriff des Umgangs. Berücksichtigung beider Einkommen beim Unterhalt. Förderung von Berufs- und Karrieremöglichkeiten für beide Elternteile.
  • Elternteile, die grundlos die Kommunikation behindern oder die Kinder versuchen zu entfremden, ausschließen. Förderung von Konfliktlösungsbereitschaft, Bindungstoleranz, Kommunikationsfähigkeit. Akzeptanz von Konfliktlösung durch Mediation.
  • Beratung der Eltern durch die Jugendämter stärken. Gerade für Fälle, in denen ein Elternteil die Kommunikation behindert oder Kinder entfremdet. Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Anforderungen an Kenntnisse und Fertigkeiten. Unvoreingenommenheit der am Fall beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und behördeninterne unabhängige Kontrollinstanz (vier-Augen-Prinzip).
  • Spezifische Qualifikations- und Fortbildungsanforderungen für Verfahrensbeistände und Einrichtung einer Überwachungsinstanz für praktizierende Verfahrensbeistände.
  • Zielstellung und Anreize für Anwälte, Verfahrensbeistände und Sachverständige für eine erfolgreiche Konfliktlösung mit Blick auf das Kindeswohl schaffen. Honorierung entsprechend erfolgreicher Konfliktlösung.
  • Den Amtsermittlungsgrundsatz der Tatgerichte stärker einfordern, gerade wenn Elternteile die Kommunikation blockieren, Kinder versuchen zu entfremden und den anderen Elternteil verunglimpfen. Konsequenzen für unkooperatives Verhalten formulieren und leichter anwenden. Richterinnen und Richter sensibilisieren.
  • Unterhalt muss sich stärker an der Betreuungssituation ableiten. Zeiten und Ausstattung müssen umfänglich Berücksichtigung finden. Zeitaufwand für Betreuung sollte nach einem linearen Muster angerechnet werden – (nicht Stufenmodell - Stichwort kalte Progression). Berücksichtigung von beiden Einkommen, gerade, wenn beide Eltern gut verdienen. Ist die Düsseldorfer Tabelle als solches noch zeitgemäß?
  • Formulierung einer ausdrücklich gesetzlich normierten Vermögensbetreuungspflicht zu Gunsten der Kinder mit Blick auf die Unterhaltszahlungen. Mittelverwendungsdokumentation für Unterhaltsempfänger (Kinder). Überschießende Zahlungen müssen für die Kinder nachweislich angelegt werden.
  • Verfolgung von innerfamiliären Straftaten stärken: psychische und physische Körperverletzung, Verleumdung, Untreue, Missbrauch von Kindesunterhalt.