Internationaler Tag der Eltern-Kind-Entfremdung: Problembewusstsein schaffen – Lösungen fördern

„Ich bin in ganz Deutschland mit vielen Müttern (es werden immer mehr) und Vätern vernetzt, die in gleichen oder ähnlichen Lagen sind und gegen Eltern-Kind-Entfremdung kämpfen und sich für Gerechtigkeit stark machen. Warum muss es immer zwei Verlierer geben? Das KIND und ein Elternteil?“, schreibt uns ein ISUV-Mitglied.

PAS - EKE: Umstrittener Begriff

PAS – Parental-Alienation-Syndrom, Eltern-Kind-Entfremdung - wurde von Dr. Richard A. Gardner in den 1980er Jahren skizziert. Mit Syndrom umschreibt Gardner Symptome, die ein Kind dazu bringen, einen Elternteil abzulehnen, ohne dass es dafür objektive Gründe gibt.

Ursache für die Ablehnung ist nach Gardener die diffizile Manipulation durch einen Elternteil, der versucht die Bindung des Kindes zum anderen Elternteil zu beseitigen. Methoden sind beispielsweise

  • über den anderen Elternteil vor dem Kind schlecht reden
  • Kinder in emotionale Loyalitätskonflikte – „ich bin traurig, wenn du …“ stürzen
  • Umgang aus fadenscheinigen Gründen aussetzen
  • Telefonate kontrollieren oder gar unterbinden, …

Objektiv muss aber auch festgestellt werden, dass PAS von manchen Fachleuten und Organisationen kritisiert wird. PAS ist nicht – wie auch „Narzissmus“ - als offizielle Diagnose im diagnostischen Handbuch DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) aufgeführt. Es wird kritisiert, dass die Konzepte von PAS zu starr und vereinfacht sind, daher die vielfältigen Ursachen für Entfremdung nicht angemessen erfassen.

„Man muss dem Phänomen gar nicht unbedingt einen Namen geben. Für uns als ISUV zählt die Tatsache,  dass jährlich nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 30 000 und 60 000 Kinder meist bei Trennung der Eltern einen Elternteil verlieren“, betont Melanie Ulbrich, ISUV-Bundesvorsitzende.

Ursachen der Eltern-Kind-Entfremdung

Was bringt einen Elternteil dazu, die Emotionen eines Kindes derart einschneidend zu manipulieren, dass es den anderen Elternteil ablehnt und somit das Kind massiv psychisch zu schädigen? Bei der Frage nach den Ursachen ist es wichtig, nicht nur den entfremdeten Elternteil im Blick zu haben, sondern auch objektive und subjektive Gründe, familienrechtliche Konstellationen, die zu Entfremdung führen können.

„Basis sind für ISUV nicht irgendwelche Theorien, Untersuchungen, sondern die Erfahrungen, die wir im Verlauf vieler Jahre durch Zuschriften, Gespräche und Coaching mit Eltern-Kind-Entfremdung gesammelt haben“, grenzt Ulbrich ab.

Dabei hat ISUV festgestellt, es gibt Fälle, in denen Kinder aus verständlichen Gründen den Kontakt zu einem Elternteil vermeiden möchten, sei es aufgrund von Missbrauch, Vernachlässigung, langwierigen negativen Erfahrungen, wie beispielsweise Ablehnung, autoritärer Strenge, Verhaltenseinengung.

Ursache für EKE ist teilweise auch das Gefühl, das Misstrauen, dass der andere Elternteil nicht angemessen, nicht empathisch genug mit dem Kind umgehen kann, dass es dem Kind dabei schlechtgeht. Des Weiteren verursachen unterschiedliche Werte, Verhaltensweisen zwischen den Partnern erheblichen Konfliktstoff.

Ein ISUV-Mitglied schreibt:

„Wir praktizierten das Wechselmodell zweieinhalb Jahre und es lief gut. Meine Töchter kamen im Wochen Rhythmus zu mir, hatten hier ihre Zimmer. Es gab keine Probleme, sie kamen gern, dies war zumindest mein Eindruck. Meine Frau klagte immer wegen Geld, obwohl sie selbst auch gut verdient und in ihrer Eigentumswohnung lebt. Ich überließ ihr das Kindergeld.

Zwei Monate zuvor merkte ich, aber verdrängte den Gedanken, dass die Kinder immer verschlossener wurden. Als mir meine Frau mitteilte, dass Sie 182 km weiter wegziehen und die Kinder mitnehmen wollte, war mir klar, dass mein Eindruck richtig war. Gleichzeitig teilte Sie mir mit, dass ich für die Kinder ab nächsten Monat 1664 EURO Kindesunterhalt zu überweisen hatte. Ich wollte die Kinder anrufen, aber sie gingen nicht ans Telefon. Seit 16 Monaten habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Sie wollen keinen Umgang mit mir."

Ursache für Eltern-Kind-Entfremdung sind immer auch nicht verarbeitete emotionale Konflikte. „Die Kinder werden als Mittel benutzt, um den anderen zu treffen, ihm wehzutun. Ohne Therapie kommen diese Eltern nicht aus dem Konflikt. Vielmehr ziehen sie die Kinder immer tiefer mit hinein. Unlösbar ist das Problem, wenn sich einer weigert mit dem anderen zu sprechen“, sagt Ulbrich.

Verlauf von Eltern-Kind-Entfremdung

Die Verläufe von Entfremdung sind individuell unterschiedlich, eines ist aber immer gleich: Der Kontakt zu einem Elternteil ist gerissen. Jede Trennung der Eltern ist für die Kinder ein Stresstest. Wenn beide am Kind ziehen, wegen des Kindes sich in unendliche Prozesse und Gutachten verharken und das Kind diesen Stress direkt und indirekt mitbekommt, dann ist es natürlich, diesen unerträglichen Stress dadurch zu beenden, indem man gegenüber einem Elternteil willfährig ist, den Kontakt zum anderen abbricht, somit den Dauerkonflikt beendet – und somit zumindest vordergründig Ruhe hat.

Mag das Ende auch gleich sein, wie aber Kinder einen Elternteil verlieren, ist individuell sehr unterschiedlich. Gar nicht so selten beginnt der Entfremdungsprozess schon in der Ehe, wenn ein Elternteil nur negativ wahrgenommen und entsprechend über ihn gesprochen wird. Dies steigert sich dann regelmäßig nach der Trennung.

Weit wegziehen, die Kinder mitnehmen, ist ein legales Mittel in Deutschland, um EKE durchzusetzen. Aus diesem Grund darf in einigen Staaten der USA beispielweise kein Elternteil mit Kindern weiter als 30 Kilometer wegziehen.

„Immer wieder und immer öfter wurde der Umgangstermin überraschend und mit wenig glaubhaften Begründungen abgesagt. Als ich die Kinder anrufen wollte, ging niemand ans Telefon oder die Kinder konnten nicht frei sprechen. Schließlich sagten sie mir, dass ich nicht mehr anrufen soll und sie nicht mehr kommen wollen. Als ich nach dem Grund fragte, wurde aufgelegt“, schreibt ein Mitglied, ähnlich mehrere andere.

Lösungsansätze

Es ist unter Fachleuten unumstritten, auch einige Mitglieder, die selbst Eltern-Kind-Entfremdung erfahren haben, berichten, dass sie darunter heute noch leiden, sich Vorwürfe machen, geschwiegen zu haben, das Grundvertrauen gestört ist, sie Angst vor Beziehungen haben.

Deswegen plädiert die ISUV-Vorsitzende dafür: „Der Internationale Tag gegen Eltern-Kind-Entfremdung sollte als Anstoß für einen konstruktiven Dialog und die Entwicklung von Lösungen dienen, die das Wohl aller Familienmitglieder berücksichtigen.“

Nach Auffassung von ISUV kann bei Trennung der Eltern am ehesten der Verlust eines Elternteils für Kinder vermieden werden, wenn darauf geachtet wird, dass der Dialog zwischen den Eltern nicht reißt, sondern vielmehr nachhaltig gefördert wird durch Beratung, durch Coaching, durch Pflicht der Eltern bei Konflikten zu Mediation.

Der Gesetzgeber kann beispielsweise mit dem Wechselmodell Weichen für Kommunikation stellen. Mit Pflichtmediation als ersten Schritt der Trennung werden die Weichen auf Kommunikation und nicht Konfrontation gestellt. „Das Lernziel schlechthin ist Bindungstoleranz“, sagt Ulbrich.

Ein ISUV-Mitglied weist auf einen wichtigen Aspekt hin: „Entfremdung beginnt eigentlich da, wo ein Elternteil nach Trennung einfach nicht mehr vorkommt. Warum wird von der Schule, dem Kindergarten, vom Arzt, von Behörden, von Vereinen immer nur ein Elternteil informiert und der andere damit ausgesperrt. Das bedeutet, dass man vom Leben der Kinder immer weniger weiß, wichtige Erlebnisse mit ihnen nicht mehr gemeinsam erlebt. Eine Whatsapp oder eine Mail an beide Elternteile bedeutet keinen großen Aufwand. Wo liegt das Problem?“

Ulbrich fordert deswegen: „Die Maxime getrennt, aber gemeinsam erziehen, Trennungsfamilie werden, braucht viel mehr nachhaltige Unterstützung in Politik und Medien. Es muss ein gesellschaftlicher Lernprozess einsetzen. Die Trennungsfamilie muss etwas Selbstverständliches werden, es darf gar keine Frage mehr sein, welchen von beiden Elternteilen man informiert, zu einem Elternabend einlädt oder in Vereinsdienste einbezieht. Wie in den intakten Familien sollten es einfach beide Elternteile sein.“

Bedenkliche Diskussion

In den sozialen Medien wird die Frage, gibt es Eltern-Kind-Entfremdung oder nicht, seit einiger Zeit heftig diskutiert. Die PAS-Leugner kommen meist aus der feministischen Mütterecke, die PAS-Befürworter gehören meist der ausgegrenzten Väterecke an. Die Diskussion wird heftig, vielfach polemisch geführt, weil sie mit Gender-Zuordnungen vermengt wird. Die ISUV-Vorsitzende wiegelt ab: „Mich interessiert weniger, ob es EKE im Sinne Gardeners gibt oder nicht. Ich stelle aber fest, dass bei vielen Trennungen Kinder einen Elternteil verlieren.“

Bei näherem Hinsehen stellt man fest, die heftige Diskussion um die Anerkennung oder Leugnung von PAS hat einen knallharten taktischen Hintergrund. In familienrechtlichen und familienpsychologischen Angelegenheiten hat die Anerkennung oder Ablehnung von PAS erhebliche Auswirkungen auf die Entscheidungen von Gerichten und die Zuweisung von Sorgerecht. Dies gilt es zu berücksichtigen. ISUV regt an, dass Gerichte in Deutschland nach eindeutigen und vor allem einheitlichen Richtlinien verfahren, wenn Eltern-Kind-Entfremdung zum Thema wird.

Um dem Kindeswohl gerecht zu werden, um Entfremdung zu verhindern, müssen primär die individuellen Umstände analysiert werden. Theorien und Forschungsergebnisse können dabei ein wichtiger Impuls und Argumentationshilfe sein.