Aktuelle höchstrichterliche Entscheidungen zum Abstammungsrecht

 

Abstammung bedeutet grundsätzlich die biologische Herkunft einer Person aus der Reihe seiner Vorfahren. Die gesetzliche Regelung im BGB beschränkt sich auf die Abstammung eines Abkömmlings von den Eltern. Es gibt hierbei um die durch die Geburt vermittelte abstammungsmäßige Zugehörigkeit eines Kindes zu einer bestimmten Frau als Mutter und zu einem bestimmten Mann als Vater. An dieser Stelle sollen die gesetzlichen Normierungen, was Mutterschaft (§ 1591 BGB) bzw. was Vaterschaft (§ 1592 BGB) nicht näher beleuchtet werden. Das gesetzliche Thema der Abstammung, der Vaterschaftsfeststellung und der Adoption ist zusammengefasst dargestellt im Merkblatt Nr. 10 des Verbandes ISUV. An dieser Stelle sollen lediglich die Grundsätze des Abstammungsrechtes kurz beleuchtet werden, um dann anhand aktuellster höchstrichterlicher Entscheidungen einzelne Themenkreise aus dem Abstammungsrecht darzustellen. Erst mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz (1.7.1998) wurde das Abstammungsrecht neu gefasst, hierbei wurde die grundsätzliche Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Abstammung aufgegeben. Seit dem 1.4.2008 gibt es neben dem Rechtsinstitut der Vaterschaftsanfechtung ein unabhängiges Verfahren auf Klärung der Abstammung, ohne dass zunächst dadurch die Vaterschaft selbst sich ändert (§ 1598 a BGB). Im Jahr 2010 ist dann das Gendiagnostikgesetz in Kraft getreten, welches die Untersuchung menschlicher genetischer Eigenschaften beinhaltet sowie die Zustimmung der betroffenen Personen hierzu. Gerade die immer weiter fortschreitende Fortpflanzungsmedizin wirft immer mehr Fragen zum Abstammungsrecht auf, zumal das gesetzlich normierte Abstammungsrecht im Rahmen medizinisch assistierter Fortpflanzung lediglich die sogenannte heterologe Insemination (Befruchtung) eines verschiedengeschlechtlichen Paares kennt (§ 1600 Abs. 5 BGB~ BGH, FamRZ 2013, Seite 1209). Nach deutschem Recht – mit Streitfragen im Einzelnen – sind zulässig die offene und anonyme Samenspende, die Abgabe befruchteter Eizellen, die Embryoadoption, die postmortale Befruchtung mit konserviertem Samen. Verboten hingegen ist in Deutschland (Embryonenschutzgesetz) die Eizellen- und Embryonenspende, die Leihmutterschaft u. a. Im Hinblick auf immer weitergehende Reproduktionstechniken wird immer wieder zu überdenken sein, ob die Verbote ethisch aufrechterhalten bleiben sollen oder sogar müssen. Gerade bei künstlicher Befruchtung treten im Nachhinein verschiedenste Fragen auf wie Unterhalt, Vaterschaft, Auskunftsverpflichtungen etc. Bei der künstlichen Befruchtung unterscheidet man zwischen der sogenannten homologen Insemination (der Samen stammt vom Ehemann der Frau) und der sogenannten heterologen Insemination (Samen stammt von einem Dritten, egal ob bekannt oder anonym).   Das deutsche Recht gibt ganz klar vor, dass die Mutter eines Kindes die Frau ist, die es geboren hat, durch die in anderen Ländern zulässige Leihmutterschaft ergeben sich dann auch bei uns rechtliche Probleme, wenn ggf. in der Form der Leihmutterschaft Kinder im Ausland geboren wurden. Diese Thematik wird uns in Zukunft weiterhin beschäftigen, wer der Vater eines Kindes ist, war schon immer „problematischer“, nicht umsonst gibt es Begriffe, wie „biologischer“ Vater oder „gesetzlicher“ Vater.

I. Auskunftsrecht/-pflicht

1. Das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre auch das Recht, selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form, und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird. Dies umschließt das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen.

2. Die gerichtliche Verpflichtung einer Mutter, zur Durchsetzung eines Regressanspruches des Scheinvaters (§ 1607 Abs. 3 BGB) Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu erteilen, überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, weil es hierfür an einer hinreichend deutlichen Grundlage im geschriebenen Recht (Gesetz) fehlt.

Beschluss:
Gericht: BVerfG
Datum: 24.02.2015
Aktenzeichen: 1 BvR 472/14
Leitparagraph: BGB §242~ BGB §1607 Abs.3~ GG Art.2 Abs.1
Quelle: BVerfG, Pressemitteilung Nr. 16/2015, NZFam 2015, Seite 355

Kommentierung:

Scheinvater ist derjenige, der z. B. gesetzlicher Vater wird, weil ein Kind in der Ehe mit seiner Frau geboren wird. Wenn sich dann später herausstellt, dass dieser „gesetzliche“ Vater nicht der leibliche/biologische Vater ist, hat dieser grundsätzlich gegen den tatsächlichen Vater einen Rückgriffsanspruch wegen geleistetem Unterhalt. Ein solcher Regressanspruch kann jedoch nur dann geltend gemacht werden, wenn der gesetzliche Vater den (voraussichtlichen) biologischen Vater überhaupt kennt. In diesem Zusammenhang sehr strittig ist die Frage, ob der Scheinvater gegen die Mutter „seines“ Kindes einen Auskunftsanspruch auf Bekanntgabe des möglichen Erzeugers hat.   Zu dieser Frage hat sich erst jüngst der BGH geäußert und entschieden und dem Scheinvater einen Auskunftsanspruch nach §§ 242, 1607 Abs. 3 BGB zugestanden (BGH, Beschluss vom 2.7.2014, Az. XII ZB 2001/13, FamRZ 2014, Seite 1440, ebenso BGH, FamRZ 2012, Seite 200, sowie BGH, FamRZ 2013, Seite 939). Der BGH ist sogar noch weiter gegangen und hat der Kindsmutter die Darlegungs- und Beweislast dafür gegeben, dass sie entsprechende zumutbare Anstrengungen zur Erfüllung der Auskunftspflicht unternommen hat. Schon vor dem Beschluss des BGH aus dem Jahr 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht im Verfahren Az. 1 BvR 472/14 (dem hiesigen Aktenzeichen) im Rahmen einer einstweiligen Anordnung seine Rechtsauffassung dahingehend angedeutet, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter sehr hoch einzustufen sei und hatte daher im Rahmen der einstweiligen Anordnung die Vollstreckung der Auskunftsverpflichtung der Mutter aus einem Verfahren des OLG Schleswig-Holstein (Az. 15 UF 165/13) ausgesetzt. Trotz dieses einstweiligen Anordnungsbeschlusses des Bundesverfassungsgerichtes hat der BGH zeitlich nachfolgend (BGH, FamRZ 2014, Seite 1440) einen Auskunftsanspruch gegen die Kindsmutter dem Scheinvater zugesprochen, mit der Begründung, dass ohne Auskunftsrecht der gesetzliche Regressanspruch gegen den leiblichen Vater Makulatur wäre. Bei der BGH-Entscheidung hat dieser als Voraussetzung festgehalten, dass der Scheinvater zum Zwecke des Regressanspruches ein Auskunftsrecht hat. Kein Auskunftsrecht, auch nach BGH, wenn ein Regressanspruch von vornherein gegen den leiblichen Vater ausscheidet (OLG Saarbrücken, FamRZ 2011, Seite 648) oder wenn der Scheinvater mit seinem Auskunftsbegehren andere Interessen, z. B. vermeintliche Interessen des Kindes verfolgt (OLG Brandenburg, FamRZ 2014, Seite 223). Daran sieht man, dass auch der BGH sich mit der Problematik der Interessenabwägung des Persönlichkeitsrechts der Mutter (Art. 2 GG) und dem Regressanspruch des Scheinvaters (§ 1607 Abs. 3 BGB) auseinandergesetzt hat, jedoch zugunsten des Auskunftsrechtes des Scheinvaters entschieden hat. Das Bundesverfassungsgericht hat hingegen die gegenteilige Auffassung eingenommen, mit dem Hauptargument, dass durch gerichtliche Rechtsfortbildung, ohne entsprechende gesetzliche Normierung, in einem solchen Fall ein Auskunftsrecht nicht über die Generalklausel des § 242 BGB hergeleitet werden kann. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht zur Nichtoffenbarung von Geschlechtspartnern ist insoweit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes höherrangig.   Soll ein Regressanspruch des Scheinvaters gewollt sein, muss dies durch Gesetz geregelt werden, wobei bei der Gesetzgebung dem Persönlichkeitsrecht der Mutter Rechnung zu tragen ist. Ob der Gesetzgeber ein Gesetz verabschiedet, welches die Hürde „Bundesverfassungsgericht“ nimmt, bleibt abzuwarten. Wenn schon aktuell fünf BGH-Richter und sieben Bundesverfassungsrichter sich nicht einig sind, kann man absehen, dass auch etwaige Versuche, eine gesetzliche Bestimmung für ein Auskunftsrecht des Scheinvaters zu finden, schwierig sein können. Auf die Gesamtproblematik hat RA Heinzel bereits in seinen Urteilskommentierungen zum BGH-Beschluss vom 2.7.2014, Az, XII ZB 201/13 bzw. einstweiliger Anordnungsbeschluss BVerfG vom 3.3.2014, Az. 1 BvR 472/14 in ISUV-Report Nr. 141, dort Seite 20, hingewiesen.   Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat zur Folge, dass Scheinväter künftig oftmals nicht dazu in der Lage sein werden, geleisteten Kindesunterhalt zurückzufordern, weil ihnen die Person des biologischen Vaters von der Kindsmutter nicht offenbart wird. Ob die Kindsmutter den Namen des biologischen Vaters benennt, wird wohl davon abhängig sein, welches Verhältnis die Mutter gegenwärtig zum biologischen Vater des Kindes pflegt und ob sie diesem „Böses will“ oder sich vor ihn und somit gegen den Scheinvater stellen will. Im zweiten Fall bleibt zwar ggf. dem Scheinvater der Umweg über das Kind, welches von seiner Mutter wohl Auskunft über die Person seines biologischen Vaters begehren kann (oder über den Reproduktionsmediziner~ siehe nachfolgende Entscheidung). Hier besteht dann die Gefahr, dass das Kind, ggf. als auch volljähriges Kind, in den Konflikt zwischen den drei beteiligten „Elternfiguren“ hineingezogen wird.   Wer gegen wen Auskunftsrechte hat, ist gerade bei Abstammungsfragen höchst umstritten. So hat zwar das Kind aus seinem eigenen Persönlichkeitsrecht ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung, hieraus soll jedoch kein unmittelbarer Auskunftsanspruch gegen seine Eltern bestehen (BVerfG NJW 1994, Seite 2475). § 1618 a BGB (gegenseitige Beistandsverpflichtung von Kind und Eltern) soll jedoch dazu dienen, ein Auskunftsrecht des Kindes zu begründen, wobei auch hier das Grundrecht z. B. der Mutter hinsichtlich ihres Persönlichkeitsrechts gegen das des Kindes abzuwägen ist (BVerfG, NJW 1997, Seite 1769). Hier hat das BVerfG wohl noch nicht abschließend entschieden, das OLG Jena hat das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung höher angesiedelt als den Schutz der Intimsphäre der Mutter (OLG Jena, FamRZ 2007, Seite 1676). Ebenso hat die Rechtsprechung eine Auskunftspflicht des Arztes bei einer heterologen Befruchtung gegenüber dem gezeugten Kind entschieden, wonach der Arzt die Person des Samenspenders benennen muss (OLG Hamm, FamRZ 2013, Seite 637), dies völlig unabhängig davon, ob die Anonymität des Samenspenders vertraglich geregelt war (so auch BGH, NZFam 2015, Seite 254, nachfolgend abgedruckte Entscheidung). Ein Samenspender hat hingegen gegen die Mutter einen Anspruch auf Auskunft über das gezeugte Kind, sofern die Auskunft nicht rechtsmissbräuchlich verlangt wird oder die Auskunftserteilung dem Kindeswohl widerspricht (OLG Hamm, NJW 2014, Seite 2369).   Die Auskunftsrechte und Auskunftspflichten im Rahmen des Abstammungsrechtes bleiben spannend und werden auch in Zukunft die Gerichte weiter beschäftigen.

 

II. Auskunftsrecht/-pflicht

1. Das mittels künstlicher heterologer Insemination gezeugte Kind kann gegen den Reproduktionsmediziner einen aus den Grundsätzen von Treu und Glauben folgenden Anspruch auf Auskunft über die Identität des Samenspenders haben. Die hier-für erforderliche rechtliche Sonderverbindung folgt aus dem Behandlungsvertrag, bei dem es sich um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Kindes handelt.

2. Der Anspruch setzt kein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus. Machen die Eltern diesen Anspruch als gesetzliche Vertreter des Kindes geltend, ist aber erforderlich, dass die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangt wird.

3. Ob es dem Reproduktionsmediziner zumutbar ist, Auskunft über die Identität des Samenspenders zu erteilen, ist durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung der durch die Auskunftserteilung berührten rechtlichen, ins-besondere grundrechtlichen, Belange zu klären. Dabei können auch die durch die ärztliche Schweigepflicht geschützten rechtlichen Belange des Samenspenders Berücksichtigung finden.

4. Der Rechtsposition des Kindes, der sein verfassungsrechtlich geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht zugrunde liegt, wird regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 28.01.2015
Aktenzeichen: XII ZR 201/13
Leitparagraph: BGB §242~ GG Art.1 Abs.1~ GG Art.2 Abs.1~ GG Art.6 Abs.1
Quelle: NZFam 2015, Seite 354 ff.

Kommentierung:

Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Rechte von Kindern gestärkt, die durch eine künstliche heterologe Insemination gezeugt wurden. Kinder haben danach grundsätzlich einen Anspruch auf Auskunft gegenüber dem Reproduktionsmediziner (Klinik bzw. Arzt) über die Identität des anonymen Samenspenders. Dieser Anspruch ist auch nicht an ein bestimmtes Mindestalter des Kindes gebunden. Die erste Instanz hatte der Auskunftsklage des Kindes gegen den Reproduktionsmediziner stattgegeben, die zweite Instanz hatte dieses Auskunftsrecht abgelehnt mit dem Argument, dass das Kind erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres diesen Auskunftsanspruch geltend machen könne. Der BGH als dritte Instanz hat zunächst dem Grunde nach ein Auskunftsrecht bejaht und leitet dies aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ab. Bereits das OLG Hamm (FamRZ 2013, Seite 637) hatte, wenn auch mit leicht abweichender juristischer Begründung) ein Auskunftsrecht bei dieser Fallkonstellation bejaht. Das Auskunftsrecht setzt das entsprechende Informationsbedürfnis des Kindes voraus, was im Regelfall anzunehmen ist. Es bedarf keiner besonderen Prüfung eines Kindswohlerfordernisses, allein aus dem Persönlichkeitsrecht des Kindes heraus besteht ein Interesse an der biologischen Identität des Vaters.   Der BGH hat darüberhinaus im Rahmen der Einzelfallprüfung abgewogen die Frage der Zumutbarkeit für den Auskunftsverpflichteten bzw. für den anonymen Samenspender. Der BGH verkennt nicht, dass hier eine umfassende Grundrechtsabwägung vorzunehmen ist, wobei im „Normalfall“ das Persönlichkeitsrecht des Kindes auf Kenntnis des biologischen Vaters ein erhebliches Gewicht zukommt und im Regelfall die anderweitigen Grundrechtspositionen der anderweitigen Beteiligten zurücktreten müssen. Zu denken war hier an die Berufsausübungsfreiheit des Mediziners aber auch die ärztliche Schweigepflicht, soweit sie dem Schutz Dritter dient. Soweit dem Samenspender – den ärztlichen Richtlinien entsprechend – vom Arzt keine Anonymität zugesichert worden ist, hat er sich des Schutzes seines Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung selbst begeben. Nicht zu entscheiden hatte der BGH die Entscheidung, wenn eine Anonymität gegen die ärztlichen Richtlinien zugesichert wurde. Zu berücksichtigen sind auch mögliche Auswirkungen auf die private Lebensgestaltung des Samenspenders, nicht dagegen seine wirtschaftlichen Interessen. Das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Kenntnis seiner Abstammung in insoweit in erheblichem Maße Rechnung zu tragen, im vorliegenden Fall hatte die Klinik berücksichtigungsfähige rechtliche Belange nicht geltend gemacht gehabt. Auch wenn die Eltern vor der Samenspende einen Auskunftsverzicht erklärt hatten, so geht das nicht zulasten des Kindes, wenn die Eltern dann für das Kind zum Zweck der Information des Kindes diesen Auskunftsanspruch geltend machen.   Der BGH hatte auch in anderen Fällen (Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter des Kindes auf Mitteilung des möglichen Erzeugers, siehe oben) einen Auskunftsanspruch auf die Generalklausel des § 242 BGB gestützt, das Bundesverfassungsgericht hatte im Fall 1 (oben) dies letztendlich gekippt mit dem Argument, dass für den Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter keine hinreichend deutliche Gesetzesnormierung vorliegt. Es ist daher auch im Bereich des Möglichen, dass das Verfassungsgericht im Fall des Auskunftsrechtes des Kindes gegen Reproduktionsmediziner eine andere Auffassung vertritt als der BGH. Der Verfasser geht jedoch davon aus, dass die Abwägung der beteiligten Rechtspositionen (letztendlich das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung auf der einen Seite und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Samenspenders und das Recht auf die Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht des Reproduktionsmediziners auf der anderen Seite) fast immer dazu führen wird, dass das Recht des Kindes vorgeht. Der BGH hat insoweit dargelegt, dass der Arzt in einem solchen Fall nicht unbefugt seine Schweigepflicht durchbricht, gerechtfertigt handelt und daher keine Strafbarkeit i. S. V. § 203 StGB vorliegt. Auch ist das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung regelmäßig höher anzusiedeln als das Selbstbestimmungsrecht des Samenspenders, im Einzelfall kann sich hier jedoch auch eine andere Beurteilung ergeben, die im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und nicht dargelegt waren.   Aber wie gesagt, ein Bundesverfassungsgericht könnte eine Grundrechtsabwägung wie im Fall des Auskunftsrechtsanspruches des Scheinvaters gegen die Mutter anders beurteilen als der BGH.

 

III. Exhumierung zur Feststellung der Vaterschaft

Das postmortale Persönlichkeitsrecht tritt im Fall einer für die Feststellung der Vaterschaft erforderlichen Untersuchung und damit einhergehenden Exhumierung des Verstorbenen regelmäßig hinter das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurück.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 29.10.2014
Aktenzeichen: XII ZB 20/14
Leitparagraph: GG Art.1 Abs.1~ GG Art.2 Abs.1
Quelle: NZFam 2014, Seite 1153

Kommentierung:

Auch mit dieser Entscheidung musste sich der BGH damit auseinandersetzen, inwieweit grundrechtlich geschützte Rechte gegeneinander abzuwägen sind. Ein hypothetisch nicht eheliches Kind wollte festgestellt wissen, ob/dass ein bereits Verstorbener sein leiblicher Vater ist. Der leibliche Sohn des Verstorbenen hat sowohl die Durchführung einer Exhumierung zum Zwecke der Entnahme von DNA-Material seines verstorbenen Vaters als auch die Entnahme eigener Gewebeproben verweigert. Gentechnisch würde es ausreichen, wenn DNA-Materialien des hypothetischen nichtehelichen Kindes und seines möglichen Stiefbruders verglichen würden, da dieser jedoch auch eigene Gewebeproben verweigert hat, ging es im vorliegenden Fall nur noch um die Abwägung zwischen dem „Abstammungsinteresse“ des möglichen Kindes und dem postmortalen Persönlichkeitsrecht des verstorbenen möglichen Vaters.   Grundvoraussetzung ist natürlich, dass derjenige, der die Vaterschaft eines Dritten (hier: Verstorbenen) behauptet, diese Behauptung nicht ins Blaue hinein erfolgen kann und darf sondern schon ausreichend klare Anhaltspunkte für eine Vaterschaft vorgetragen sein müssen. Dies war im zugrundeliegenden Fall gegeben. Zwar hatte das Amtsgericht in erster Instanz den Antrag des möglichen nichtehelichen Kindes zurückgewiesen, das OLG hat jedoch die Exhumierung des Verstorbenen (gemäß § 178 FamFG wegen Zumutbarkeit) angeordnet. Der BGH hat die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Der BGH vertritt die klare Ansicht, dass das Recht auf Kenntnis der Abstammung in der Regel Vorrang vor dem postmortalen Persönlichkeitsrecht genießt (so schon OLG München NJW-RR 2000 Seite 1603, OLG Dresden FPR 2002 Seite 570). Dies gilt auch, wenn das hypothetische nichteheliche Kind bereits längere Zeit wusste, dass der Verstorbene möglicherweise ihr Vater ist. Das Wissen um die eigene Herkunft ist von zentraler Bedeutung, sodass die Exhumierung geboten ist, auch unabhängig davon, wenn tatsächlich im Einzelfall bei der Klärung der Abstammungsfrage vermögensrechtliche Interessen (Erbrecht) im Vordergrund stehen, denn auch die Teilhabe an einem Erbe ist ein legitimes Interesse eines (eventuell) leiblichen Kindes.   Auch bei dieser Entscheidung wird deutlich, dass der BGH sehr häufig, insbesondere im Abstammungsrecht Grundrechtsabwägungen vorzunehmen hat.

 

IV. Leihmutterschaft

1. Eine ausländische Gerichtsentscheidung, die die Feststellung der rechtlichen Verwandtschaft enthält, ist einer Anerkennung zugänglich.

2. Bei einer Anerkennung sind auch die von der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgten Menschenrechte zu berücksichtigen.

3. Allein aus dem Umstand, dass eine ausländische Entscheidung im Fall der Leihmutterschaft, welche nach deutschen Gesetzen sittenwidrig ist, die rechtliche Elternschaft zu dem Kind den Wunscheltern zuweist, führt jedenfalls dann nicht zu einer Ablehnung der Anerkennung, wenn ein Wunschelternteil – im Unterschied zur Leihmutter/Ersatzmutter – mit dem Kind genetisch verwandt ist.

4. Dies gilt auch für den anderen Elternteil, neben dem genetischen Vater, wenn diese in eingetragener Lebenspartnerschaft zusammenleben.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 10.12.2014
Aktenzeichen: XII ZB 463/13
Leitparagraph: XII ZB 463/13
Quelle: FamRZ 2015, Seite 240

Kommentierung:

Die Durchführung einer Leihmutterschaft ist nach deutschem Recht verboten. Es gibt jedoch einen glühenden Leihmutterschaftstourismus, wonach im Ausland, in welchem die Leihmutterschaft nicht verboten ist, auf diese Art und Weise Kinder geboren werden. Es gibt verschiedene Formen der Leihmutterschaft:

  • Die Tragemutter erhält das mit dem Samen des Ehemannes befruchtetet Ei der Ehefrau (Ei- oder Embryonenspende).
  • Die sogenannte übernommene Mutterschaft liegt vor, wenn der Ersatzmutter deren eigene, mit dem Samen des Ehemannes befruchtete Eizelle wieder eingepflanzt wird.
  • Die Ersatzmutter trägt einen Embryo aus, bei dem Samen und Ei von einer – unter Umständen unbekannten – dritten Person stammen.

Der hier vorliegende Fall betrifft zwei deutsche Männer, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, und in Kalifornien die Dienste einer Leihmutter in Anspruch genommen haben. In Kalifornien wurden beide Männer als rechtliche Eltern des Kindes festgestellt. Das KG Berlin hat diese Stellung als Elternteil nur für den Mann/Vater akzeptiert, dessen Samen bei der künstlichen Befruchtung der Leihmutter verwendet worden war, denn auch nach deutschen Recht wäre er der rechtliche Vater dieses Kindes (ein Fall der sogenannten übernommenen Mutterschaft). Die Leihmutter wäre nach deutschem Recht die Mutter. Derjenige Mann/Lebenspartner, der nicht seinen Samen zur Verfügung gestellt hat, will ebenso rechtlicher Vater werden und ist gegen eine ablehnende Entscheidung vorgegangen.   Der BGH hat entschieden, dass die Zuweisung der Elternstellung an beide Lebenspartner durch ein kalifornisches Gericht in Deutschland anzuerkennen ist. Eine solche Anerkennung wäre nur dann ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führe, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Der BGH sieht die Problematik, dass die Leihmutterschaft in Deutschland grundsätzlich verboten ist und rechtliche Mutter die Leihmutter wäre, die das Kind geboren hat. Der andere Lebenspartner des rechtlichen Vaters könnte grundsätzlich nur durch eine sogenannte Stiefkindadoption – in die die Mutter einwilligen müsste – in eine rechtliche Elternstellung gelangen. Sowohl das BVerfG als auch der EuGH haben das Recht des Kindes hervorgehoben, unter bestimmten Umständen ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis begründen zu können. Dieses Recht des Kindes überwiegt hier, sodass die eigentlich gegen deutsches Recht verstoßende Entscheidung des kalifornischen Gerichtes hier anzuerkennen ist und beide Lebenspartner als rechtliche Eltern im Geburtenregister einzutragen sind.   Diese Entscheidung des BGH könnte man als Grundsatzentscheidung werten und könnte der erste Schritt auch zu einer rechtlich anzuerkennenden Leihmutterschaft in Deutschland führen. Zumindest ist das Tor zur Umgehung des inländischen Leihmutterschaftsverbotes weit aufgestoßen. Zu bedenken gilt jedoch, dass der BGH immer darauf verwiesen hat, dass zumindest ein Elternteil – im Unterschied zur „Ersatzmutter“ – mit dem Kind genetisch verwandt sein muss. Ob der BGH in Zukunft eine solche Entscheidung trifft, wenn keiner der „Elternteile“ mit dem Kind genetisch verwandt ist, bleibt abzuwarten. Wenn z. B. eine Leihmutter nicht verheiratet ist (wenn sie verheiratet wäre, wäre automatisch der Ehemann der Vater) könnte bereits nach jetziger Rechtslage mit ihrer Zustimmung eine Vaterschaftsanerkennung erfolgen (eines Vaters), dann ginge es nur noch um die Frage einer Adoption durch einen „zweiten Vater“.   Wie problematisch die Leihmutterschaft ist, zeigt gerade die Austragung im Körper einer Leihmutter befruchteter Eizellen einer 65-jährigen Frau in Deutschland. Da stellt sich die Frage, ob man nicht lieber in Deutschland für Paare, die nicht zeugungsfähig sind bzw. für gleichgeschlechtliche Paare grundsätzlich eine Leihmutterschaft zulässt, jedoch altersbeschränkt, ähnlich wie bei Adoptionen.

 

V. Adoption

1. Vater i.S.v. § 1747 Abs. 1 Satz 2 BGB kann auch ein Samenspender sein.

2. Die Einwilligung des – möglichen – leiblichen Vaters in die Adoption ist nur erforderlich, wenn dieser durch eine entsprechende Glaubhaftmachung am Adoptionsverfahren mitwirkt. Nur dann ist er vom Familiengericht am Verfahren zu beteiligen.

3. Das grundrechtlich geschützte Interesse des leiblichen Vaters, die Rechtstellung als Vater des Kindes einnehmen zu können, ist in einem Adoptionsverfahren dadurch zu sichern, dass dieser vom Familiengericht vom Verfahren benachrichtigt werden muss (§ 7 Abs. 4 FamFG), um ihm eine Beteiligung am Verfahren zu ermöglichen.

4. Von einer Benachrichtigung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es aufgrund der umfassen aufgeklärten Umstände unzweifelhaft ist, dass eine Beteiligung des möglichen leiblichen Vaters nicht in Betracht kommt. Das ist der Fall, wenn dieser auf sein grundrechtlich geschütztes Interesse von vornherein verzichtet hat oder ein Fall des § 1747 Abs. 4 BGB vorliegt (Ausnahmefälle).

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 18.02.2015
Aktenzeichen: XII ZB 471/13
Leitparagraph: BGB §1747 Abs.1 Satz 2 und Abs.4
Quelle: www.bundesgerichtshof.de

Kommentierung:

Der BGH hat entschieden, dass eine (Stiefkind-)Adoption durch eine Lebenspartnerin der Mutter bei fehlender rechtlicher Vaterschaft nur durchgeführt werden darf, wenn dem möglichen leiblichen Vater die Verfahrensbeteiligung ermöglicht wurde, wobei das auch ein Samenspender sein kann. Selbst ein Samenspender verzichtet nicht von vornherein bei einer Samenspende auf seine Rechte als Vaters, schließlich können damit auch Pflichten verbunden sein (Unterhaltspflicht) sodass ein Gericht bei einer Adoption klären muss, ob der Vater mit einer Adoption einverstanden ist bzw. ihm muss zumindest „rechtliches Gehör“ gewährt werden. Im hiesigen Fall wird somit das grundrechtliche geschützte Recht des Vaters hervorgehoben, in den vorausgegangenen Entscheidungen ist immer das Recht der Kindsmutter im Vordergrund gestanden.

 

VI. Steuerrecht

Die Kosten einer künstlichen Befruchtung mittels im Ausland gespendeter Eizelle können nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden.

Beschluss:
Gericht: FG Berlin/Brandenburg
Datum: 11.02.2015
Aktenzeichen: 2 K 2323/12
Leitparagraph: EStG §33

Kommentierung:

In Spanien ist – anders als in Deutschland – die sogenannte Eizellenspende nicht verboten. Das Finanzgericht Berlin/Brandenburg lehnt die Kosten der in Spanien durchgeführten künstlichen Befruchtung als außergewöhnliche Belastung ab, da die Eizellenspende in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz unter Strafe gestellt ist. Dies hat zur Folge, dass die Behandlung nicht der Berufsordnung der zugelassenen Ärzte in Deutschland entspricht und somit die Kosten nicht als Heilkosten und somit auch nicht steuerlich absetzbar sind. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zum BFH zugelassen (Az. VI R 20/15).   Die Anwendung des § 33 EStG verlangt „zwangsläufige“ Kosten, um sie steuerlich mindernd geltend machen zu können. Die heterologe künstliche Befruchtung wird bei Anwendung fachärztlicher Behandlungsmethoden zum Großteil als außergewöhnliche Belastung akzeptiert (wenn sie nicht schon bis zu einem gewissen Alter und für eine bestimmte Anzahl von Versuchen von den Krankenkassen erstattet werden). Das Finanzgericht geht jedoch davon aus, dass selbst bei bester fachärztlicher Betreuung im Ausland eine steuerliche Anerkennung deshalb nicht möglich ist, weil die Wertentscheidung des Gesetzgebers hinsichtlich der Strafbarkeit einer Eizellenspende im Inland auch auf das Steuerrecht durchschlägt.   Wie man sieht, beschäftigt die moderne Reproduktionsmedizin nicht nur die Mediziner, sondern gleichwohl Strafrechtler, Zivilrechtler und sogar Steuerrechtler. Der Bürger ist mit all diesen Problemen konfrontiert und wird ihn auch im Hinblick auf die fortschreitenden medizinischen Möglichkeiten auch in Zukunft beschäftigen. Die hiesige Zusammenstellung von Entscheidungen kann nur einen kleinen Ausschnitt der Entscheidungen darstellen, die zu dieser Thematik ergangen sind. Gerade in jüngster Vergangenheit haben Obergerichte im juristischen Feld der „Reproduktionsmedizin“ wichtige Entscheidungen getroffen, die an dieser Stelle in zusammengefasst dargestellt sind.