BGH, Beschluss vom 19.6.2013 – Ehegattenunterhalt

Der Anspruch auf Krankheitsunterhalt ist zwar grundsätzlich zeitlich befristbar, jedoch sind auch beim Krankheitsunterhalt nicht nur die Frage ehebedingter Nachteile zu beachten, sondern andere Billigkeitskriterien, wie Dauer der Ehe, sowie die in der Ehe gelebte Rollenverteilung zu berücksichtigen

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Urteil

 

Gericht         : BGH 
Datum           : 16.09.2013 
Aktenzeichen    : XII ZB 309/11 
Leitparagraph   : BGB §1578b, BGB §1572 
Quelle          : www.bundesgerichtshof.de 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt

In der vorliegenden Fallkonstellation handelt es sich um eine kinderlos gebliebene Ehe. Die Ehe wurde 1981 im Ausland geschlossen, von dort waren auch beide Eheleute, sie sind beide im Jahr 1985 nach Deutschland übergesiedelt. Die Trennung erfolgte Ende 1999, geschiedenen wurden sie im Jahr 2001. Im Jahr 2003 wurde der Mann verurteilt, ca. 800 Euro nachehelichen Unterhalt zu bezahlen, ein Versorgungsausgleich wurde bei der Scheidung durchgeführt. Er ist Bankangestellter. Die ehemalige Ehefrau hat den Beruf einer Schneiderin im Ausland erlernt, nach dem Umzug nach Deutschland war sie Hausfrau. Nach einer Umschulung zur Krankengymnastin war sie seit 1991 teilschichtig tätig, im Jahr 1993 erkrankte sie an Multiple Sklerose. Sie erzielt seit 1995 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von knapp 1000 Euro. Der Mann hat beantragt, dass wegen fehlender ehebedingter Nachteile der Unterhalt wegen der Befristungsmöglichkeit nach § 1578 b BGB entfällt. Das OLG hat der Ex-Ehefrau noch einen bis 31.12.2011 herabgesetzten Ehegattenunterhalt zugesprochen und eine Beendigung des Unterhalts zum 01.01.2012 ausgeurteilt. Hiergegen hat sich die Ex-Ehefrau mit der Revision gewandt, welche auch Erfolg hatte:

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Der BGH hat zwar bestätigt, dass insbesondere die Krankheit kein ehebedingter Nachteil ist und keine ehebedingte Ursache hat und somit grundsätzlich auch der sogenannte Krankheitsunterhalt nach § 1572 BGB befristbar ist, hat jedoch unter dem Blickwinkel der nachehelichen Solidarität den Unterhaltsanspruch nicht befristet. Der BGH begründet dies wie folgt:

Wenn beim Krankheitsunterhalt – wie regelmäßig – die Krankheit selbst keine ehebedingten Ursachen hat , ist ein ehebedingter Nachteil denkbar, soweit ein Unterhaltsberechtigter aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe nicht ausreichend für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung vorgesorgt hat. Nachdem jedoch der Versorgungsausgleich durchgeführt wurde, der auch für Erwerbsunfähigkeitsrente greift, war hier kein ehebedingter Nachteil zu erkennen. Auf der anderen Seite hat der BGH dann die nacheheliche Solidarität „bemüht“. Der BGH hat dann eine umfangreiche Einzelfallprüfung vorgenommen und insbesondere auf die in der Ehe gelebte Rollenverteilung und die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachten Lebensleistung abgestellt (BGH FamRZ 2012, S. 197, BGH FamRZ 2009, S. 1207). In die Einzelabwägung sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung (BGH FamRZ 2013, S. 853 ) sowie auch die Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen (BGH FamRZ 2011, S. 875). Der BGH hat wieder mal alle Billigkeitskriterien ausführlich dargelegt und ist zu dem Schluss gekommen, dass in Fällen, in denen die fortwirkende nacheheliche Solidarität den wesentlichen Billigkeitsmaßstab bildet, die Ehedauer vor allem durch die wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht gewinnt. Die wirtschaftliche Verflechtung beruht hier im Wesentlichen darauf, dass die Ehefrau bereits sehr früh während der Ehe im Alter von 33 Jahren erwerbsunfähig erkrankt ist und somit längere Zeit „abhängig“ vom Ehemann war und somit die nacheheliche Solidarität von erheblicher Bedeutung ist. Zu prüfen wird auch noch sein, inwieweit der Ehemann seinen beruflichen Aufstieg und sein jetzt erzieltes Einkommen in einem besonderen Maße der geschiedenen Ehe zu verdanken hat, dies deshalb, weil die Umsiedlung nach Deutschland aufgrund des Ehebundes ausschließlich durch sie möglich war und somit der berufliche Aufstieg in Deutschland letztendlich ihr zu verdanken sei.

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Diese Entscheidung des BGH ist wieder mal ein Paradebeispiel für die fehlende Voraussehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen, da zwar der BGH Kriterien aufstellt, die Einzelfallbeurteilung jedoch dann den Tatsachengerichte überlässt (auch hier Rückverweisung an das OLG). Dass in der Einzelfallbeurteilung auch unterschiedlichste Ergebnisse möglich sind liegt auf der Hand, eine „sichere“ Prognose, wie in diesen Fällen eine Entscheidung ausfällt ist auch für Familienrechtsanwälte kaum bis nicht möglich. Gerade der § 1578 b BGB mit seinen Befristungs-/Herabsetzungsmöglichkeiten bietet der Einzelfallauslegung viel Platz und führt eher zu Rechtsunsicherheit bzw. klare Aussagen zu einem Prozessausgang sind kaum mehr möglich, insbesondere nicht zu Beginn des Verfahrens, da erst im Laufe eines Verfahrens auch und insbesondere durch Sachvortrag des Prozessgegners sich der Gesamtsachverhalt darstellt.