BGH, Beschluss vom 3.7.2013 – Volljährigenunterhalt
Das unterhaltsberechtigte Kind verliert den Ausbildungsunterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern nicht schon dann, wenn es ihm aufgrund eines notenschwachen Schulabschlusses erst nach 3 Jahren vorgeschalteter Berufsorientierungspraktika und ungelernter Aushilfstätigkeiten gelingt, einen Ausbildungsplatz zu erlangen.
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Urteil
Gericht : BGH Datum : 03.07.2013 Aktenzeichen : XII ZB 220/20 Leitparagraph : BGB §1601, BGB §1610 Quelle : www.bundesgerichtshof.de Kommentiert von : RA Simon Heinzel
Inhalt
Zwischen Mittlerer Reife und dem Beginn einer Ausbildung, bei der noch Unterhaltsbedürftigkeit besteht, hat sich die volljährige Tochter ihren Unterhaltsbedarf über 3 Jahre hinweg selbst verdient. Mit Beginn der Ausbildung hat sie dann Unterhalt begehrt (ca. 200 Euro), da ihr Unterhaltsbedarf nach Tabelle in Höhe von 670 Euro abzüglich Kindergeld durch die geringfügige Ausbildungsvergütung nicht gedeckt war.
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Neben dem Unterhaltsanspruch steht auf Seiten des Kindes die Obliegenheit gegenüber, die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beende. Verletzt ein Kind diese Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, besteht kein Unterhaltsanspruch. Der BGH hat auch die 3-jährige Unterbrechung nach der Schule nicht als Obliegenheitspflichtverletzung gesehen. Gerade wegen des schwachen Schulabgangszeugnisses bestand hier die Berechtigung zur Orientierung. Die Aufnahme vorgelagerter Beschäftigungsverhältnisse stellen keine nachhaltige Obliegenheitsverletzung dar, wenn sie in dem Bemühen um das Erlangen eines Ausbildungsplatzes geschieht. Damit stellt der BGH darauf ab, ob der Zeitraum zwischen Schulabschluss und Beginn der Ausbildung „sinnvoll“ genutzt wurde und hält dem volljährigen Kind zugute, dass es sich durch Absolvieren von Praktika letztendlich um eine weitergehende Ausbildung bemüht hat, bzw. dies erfolgte um einen Ausbildungsplatz zu erlangen. Das war eine tatrichterliche Würdigung des OLG, die der BGH nicht revidiert hat. Das OLG hat auch richtigerweise geprüft, ob durch die Inanspruchnahme von Unterhalt nach 3-jähriger „Pause“ die Eltern unzumutbar belastet würden, kam jedoch zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall sei. Auch das hat der BGH nicht moniert. Dies galt auch insbesondere deshalb, weil es sich um die erste Ausbildung gehandelt hat und das volljährige Kind unter 25 Jahre war, dem Zeitpunkt, bis zu welchem Kindergeld bezahlt wird.
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Die Thematik des Ausbildungsunterhalts nach mehrjährigem „Zick-Zack-Kurs“ war schon immer problematisch, Gerichte hatten darüber zu befinden, ab wann eine Ausbildungsobliegenheit verletzt wurde und wann nicht. Eine Orientierungsphase ist einem Kind nach Beendigung des letzten Ausbildungsabschnittes schon immer zugestanden worden. Beginnt ein Kind z. B. nach Beendigung der Schule keine Ausbildung und dies ganz bewusst, handelt es sich hierbei nicht um eine Orientierungsphase, mit der Folge, dass dann, weil kein Ausbildungsbezug vorliegt, auch kein Unterhalt geschuldet ist. Entscheidet sich ein Kind für ein freiwilliges soziales Jahr, ist es äußerst umstritten, ob in diesem Zeitraum Unterhalt geschuldet ist oder nicht. Bei Praktika, welche notwendige Voraussetzung für eine spätere Ausbildung/Studium sind, verbleibt es beim Unterhaltsanspruch. Absolviert ein Kind ein sogenanntes „Parkstudium“, nur weil auf einen anderen Studienplatz gewartet wird, besteht kein Unterhaltsanspruch. Der Nachweis eines Parkstudiums ist jedoch immer schwierig, weil das Kind zunächst Interesse für das Parkstudium bekundet, um es dann später als unterhaltsrechtlich erlaubte Orientierungsphase darzustellen. Problematisch sind immer die sogenannten „Zick-Zack-Fälle“. Wie der BGH auch in seiner Entscheidung ausgeführt hat, spielen Zumutbarkeitskriterien für die Frage der Unterhaltsverpflichtung umso mehr eine Rolle, umso älter das Kind wird/geworden ist und ob aus der Vergangenheit heraus eine Eignung oder ein Leistungswille des Kindes für die aufgenommene Ausbildung besteht. Auch können gesörte Familienverhältnisse im Einzelfall häufigere Schulwechsel/Studienwechsel rechtfertigen. Der Wechsel einer Ausbildung ist z. B. beim Studium allenfalls in den ersten 2/3 Semestern noch möglich, dies im Rahmen der sogenannten Orientierungsphase. Ein späterer Ausbildungswechsel kann noch geboten sein, wenn gesundheitliche oder andere nicht voraussehbare Entwicklungen einen Ausbildungswechsel notwendig machen (z. B. Auftreten einer Hautallergie gegen Hefe bei Ausbildung zum Braumeister).
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Der Ausbildungsunterhaltsanspruch ist von hoher Bedeutung für die zukünftigen Lebenschancen jedes Kindes, dementsprechend würdigt auch der BGH unter Einbeziehung aller individuellen Gesichtspunkte des Einzelfalles den Anspruch zur Erlangung einer Erstausbildung in hohem Maße wohlwollend zugunsten des Volljährigen, auch bei einem sogenannten „Zick-Zack-Kurs“, sofern dieser entschuldbar erscheint, eine gewisse Ausbildungsbezogenheit erkennbar ist und die Eltern nicht unangemessen überfordert werden.