BGH, Urteil vom 18.4.2012 – Ehegattenunterhalt
a) Beim Unterhaltsanspruch wegen Betreuung von Kindern ab der Altersgrenze von drei Jahren ist zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder gesichert werden könnte (im Anschluss an BGH, FamRZ 2009, 770).
b) An die für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts insbesondere aus kindbezogenen Gründen erforderlichen Darlegungen (hier: bei drei minderjährigen Kindern und von der Unterhaltsberechtigten zu leistenden Fahrdiensten an den Nachmittagen) sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen (im Anschluss an BGH, FamRZ 2011, 1375).
c) Zur Beurteilung einer überobligationsmäßigen Belastung im Rahmen der Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist auch der Aspekt einer gerechten Lastenverteilung zwischen unterhaltsberechtigtem und unterhaltspflichtigem Elternteil zu berücksichtigen (im Anschluss an BGH FamRZ 2009, 770~ BGH, FamRZ 2008 und BGH FamRZ 2010, 1050).
d) Hat der Unterhaltspflichtige nach dem - unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbaren - Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung erhalten und hat er im Anschluss daran eine neue Arbeitsstelle mit dauerhaft geringerem Einkommen gefunden, so ist die Abfindung bis zur Höchstgrenze des Bedarfs aufgrund des früheren Einkommens grundsätzlich für den Unterhalt zu verwenden (im Anschluss an BGH, FamRZ 2007, 983 und BGH, FamRZ 2010, 1311~ teilweise Aufgabe von BGH, FamRZ 2003, 590).
e) Ob eine Aufstockung bis zum bisherigen Einkommen geboten ist und der bisherige Lebensstandard vollständig aufrechterhalten werden muss, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen, insbesondere auch nach der vom Unterhaltspflichtigen zu erwartenden weiteren Einkommensentwicklung.
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Urteil
Gericht : BGH Datum : 18.04.2012 Aktenzeichen : XII ZR 65/10 Leitparagraph : BGB §1570 Abs.2~ BGB §1573 Quelle : FamRZ 2012, S.1040 Kommentiert von : RA Simon Heinzel
Inhalt:
Auf eine Entscheidung des BGH im Jahr 2011 (BGH, FamRZ 2011, S. 1375, siehe Leitsatz b)) gab es ein negatives Medienecho (z. B. Pauling, FamFR 2011, S. 385), wonach kritisiert wurde, dass ein Unterhaltsberechtigter, der ein Kind zu betreuen hat, es nahezu nicht schafft, kindbezogene Gründe vorzutragen, um auch nach dem dritten Lebensjahr noch einen Unterhaltsanspruch zu haben. In den Medien gab es Schlagzeilen, wie: „Betreuungsunterhaltsanspruch nach dem dritten Lebensjahr des jüngsten Kindes nahezu ausgeschlossen“. Dieses Medienecho gab wohl dem BGH mit der obigen Entscheidung Anlass zur Klarstellung, dass an die darzulegenden Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind. Außerdem hat der BGH mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer Abfindung bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs geändert.
1. Betreuungsunterhalt
Der BGH hat herausgehoben, dass insbesondere bei der Darlegung kindbezogener Gründe zur Verlängerung des Betreuungsunterhaltes keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Beim Betreuungsunterhalt über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus sind alle Gründe maßgeblich, welche hindern, dass die Kindesbetreuung auf andere Weise als durch persönliche Betreuung möglich ist. Entscheidend ist hierbei, ob kindgerechte Einrichtungen für die Betreuung vorhanden sind oder ob die Betreuung des Kindes aus besonderen, beim Kind liegenden Gründen, erforderlich ist. So hat der BGH herausgehoben, dass wenn auch in der Ehe sportliche, musische oder andere Beschäftigungen der Kinder insbesondere wegen fehlender öffentlicher Verkehrsmittel die Betreuung/Fahrten durch die Mutter notwendig machten, dass dies auch nach der Trennung/Scheidung so zu handhaben ist und somit kindbezogene Gründe vorliegen können, die die Mutter an der Ausweitung ihrer Tätigkeit hindern. Auch muss Raum für die Berücksichtigung schulischer Anforderungen durch elterliche Mitarbeit, wie Hausaufgabenbetreuung gewährleistet bleiben, wenn individuell notwendig. Gibt es Drittbetreuungsmöglichkeiten, ist auch immer zu berücksichtigen, inwieweit die mögliche Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils mit den Zeiten der Kindesbetreuung einschließlich Fahrtzeiten vereinbar und zumutbar ist. Der BGH will mit diesem Urteil darauf hinweisen, dass auch weiterhin individuelle kindbezogene Gründe dazu führen können, dass eine Aufstockung der Arbeitszeit nicht geboten ist, weist jedoch auch darauf hin, dass die Darlegungs- und Beweislast hierfür schon der Unterhaltsberechtigte trägt. Betreuungshilfe Dritter (nicht entsprechende Einrichtungen wie Kindergarten, Hort etc.), z. B. von Großeltern, die in Anspruch genommen werden können, sind im Einzelfall zu berücksichtigen, nach Billigkeitskriterien durch Abzug vom Einkommen des Unterhaltsberechtigten. Auch weist der BGH nochmals ausdrücklich darauf hin, dass selbst dann, wenn der zeitliche Umfang einer möglichen, erweiterten Erwerbstätigkeit feststeht, die gesetzliche Neuregelung keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit verlangt, sondern ein gestufter Übergang zu erfolgen hat (Einzelfall!). Der Unterhaltsschuldner muss bei entsprechendem Vortrag des betreuenden Elternteils ggf. Gegenbeweisanträge stellen. So hat der BGH nicht beanstandet, dass die Kindsmutter behauptet hat, sie müsse den 12-jährigen Sohn bei den Hausaufgaben betreuen und der Vater lediglich einen Erfahrungssatz behauptet hat, dass ein Kind dieses Alters seine Hausaufgaben selbst erledigen könne. Der BGH ist dem Vortrag der Mutter gefolgt, der Vater hätte schon behaupten und unter Beweis stellen müssen, dass es bei seinem Sohn einer solchen Hausaufgabenbetreuung nicht bedarf.
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Der BGH hat mit diesem Urteil aufgezeigt, dass weder das neue Unterhaltsrecht, noch der der BGH selbst der Verlängerung des Betreuungsunterhaltes unübersteigbare Hürden in den Weg stellen will. Mit dieser Entscheidung des BGH folgt er auch seiner Linie in jüngster Vergangenheit, wonach der anfänglichen restriktiven Auslegung des neuen Unterhaltsrechtes Einhalt geboten wird und die Anforderungen für den Unterhaltsberechtigten zur Darlegung und Begründung seines Unterhaltsanspruchs umgangssprachlich ausgedrückt wieder „nach unten geschraubt werden“. Dies gilt sowohl für den Betreuungsunterhaltsanspruch, als auch für die Auslegung des § 1578 b BGB zur Beschränkung/Befristung eines nachehelichen Unterhaltsanspruchs. Auch hier hebt der BGH in seinen neuesten Entscheidungen immer mehr die „nacheheliche Solidarität“ in den Mittelpunkt, mit der Folge, dass die vormalige Euphorie bezüglich der „Eigenverantwortung“ nach der Ehe insbesondere für den Unterhaltsschuldner zu verfliegen droht.
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2. Abfindung
Mit der Entscheidung hat der BGH auch seine Rechtsprechung aufgegeben, dass eine nach Rechtskraft der Scheidung bezogene Abfindung die ehelichen Verhältnisse nicht mehr prägen könne (BGH, FamRZ 2003, S. 590). Eine erhaltene Abfindung wegen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nach Scheidung ist unterhaltsrechtlich zu beurteilen. Sie bleibt nur dann bei der Berechnung des Unterhalts außer Betracht, wenn der Unterhaltsschuldner sogleich wieder vergleichbares Einkommen erzielt. Erzielt der Unterhaltsschuldner geringeres Einkommen, ist die Abfindung zur Aufstockung des bisherigen Verdienstes heranzuziehen. Die Abfindung dient dazu, die wirtschaftlichen Verhältnisse aufrecht zu erhalten. Auf welchen Zeitraum die Abfindung umzulegen ist, ist im Einzelfall eine tatrichterliche Entscheidung. Die Höhe der Abfindung, die Prognose der zukünftigen Beschäftigungschance oder Einkommenssteigerungschance des Unterhaltsverpflichteten sowie das Interesse des Unterhaltsberechtigten auf Beibehaltung des Niveaus sind insoweit die heranzuziehenden Kriterien. Stehen etwa die Beschäftigungschancen des Unterhaltsverpflichteten eher schlecht, ist die Abfindung auf einen längeren Zeitraum umzulegen, mit der Folge, dass ab sofort auch eine Unterhaltsverkürzung geboten ist. Wird die Abfindung zeitnah zum Renteneintritt bezahlt, wird man wohl die Zeit bis zum Renteneintritt heranziehen. An dieser Stelle sei auch nochmals an das sogenannte Doppelverwertungsverbot erinnert, wonach auch eine Abfindung nicht sowohl beim Zugewinn (wenn kurz vor dem Stichtag zur Berechnung des Zugewinns ausbezahlt) als auch beim Unterhalt zu berücksichtigen ist, sondern vorrangig beim Unterhalt, letztendlich mit den gleichen Kriterien hinsichtlich des Umlagezeitraums.