BGH, Urteil vom 21.11.2012 – Elternunterhalt
- Der Unterhaltsbedarf eines im Pflegeheim untergebrachten Elternteils richtet sich regelmäßig nach den notwendigen Heimkosten zuzüglich eines Barbetrags für die Bedürfnisse des täglichen Lebens. Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf in der Regel auf das Existenzminimum und damit verbunden auf eine – dem Unterhaltsberechtigten zumutbare – einfache und kostengünstige Heimunterbringung (im Anschluss an Senatsurteil vom 19. Februar 2003 – XII ZR 67/00 – FamRZ 2003, 860).
- Dem Unterhaltspflichtigen obliegt es in der Regel, die Notwendigkeit der Heimkosten substantiiert zu bestreiten (im Anschluss an Senatsurteil BGHZ 152, 217 = FamRZ 2002, 1698). Kommt er dem nach, trifft die Beweislast den Unterhaltsberechtigten und im Fall des sozial-hilferechtlichen Anspruchsübergangs den Sozialhilfeträger (im Anschluss an Senatsurteil vom 27. November 2002 – XII ZR 295/00 – FamRZ 2003, 444).
- Ausnahmsweise können auch höhere als die notwendigen Kosten als Unterhaltsbedarf geltend gemacht werden, wenn dem Elternteil die Wahl einer kostengünstigeren Heimunterbringung im Einzelfall nicht zumutbar war. Zudem kann sich der Einwand des Unterhaltspflichtigen, es habe eine kostengünstigere Unterbringungsmöglichkeit bestanden, im Einzelfall als treuwidrig erweisen.
- Verwertbares Vermögen eines Unterhaltspflichtigen, der selbst bereits die Regelaltersgrenze erreicht hat, kann in der Weise für den Elternunterhalt eingesetzt werden, als dieses in eine an der statistischen Lebenserwartung des Unterhaltspflichtigen orientierte Monatsrente umgerechnet und dessen Leistungsfähigkeit aufgrund des so ermittelten (Gesamt-)Einkommens nach den für den Einkommenseinsatz geltenden Grundsätzen bemessen wird
Urteil
Gericht : BGH Datum : 21.11.2012 Aktenzeichen : XII ZR 150/10 Leitparagraph : BGB §1603 Quelle : www.bundesgerichtshof.de Kommentiert von : RA Simon Heinzel
Inhalt:
Aufgrund der immer älter werdenden Gesellschaft rückt immer mehr der sogenannte Elternunterhalt in den Vordergrund. Nicht selten sind Eltern pflegebedürftig und im Heim. Reicht die Rente etc. nicht aus, um die Heimkosten zu bezahlen, trägt zunächst das Sozialamt die Kosten und versucht jedoch, im Wege des übergegangenen Elternunterhaltsanspruches des Bedürftigen, diese gegenüber den Kindern geltend zu machen. Bereits im ISUV-Report 134 waren zu diesem Thema zwei Urteile besprochen worden, die die Frage des Altersvorsorgeschonvermögen des unterhaltsverpflichteten Kindes behandelt haben (OLG Düsseldorf, FamRZ 2012, S. 1651 / OLG Nürnberg, FF 2012, S. 314). Das hiesige BGH-Urteil setzt sich auseinander mit der Frage, welche Heimkosten als Unterhaltsbedarf gerechtfertigt sind und ebenso mit der Frage des verwertbaren Vermögens, hier bei einem bereits in Rente befindlichen „Kindes“.
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Der BGH hat ausdrücklich festgehalten, dass der Unterhaltsbedarf bei Heimunterbringung aus diesen Kosten zuzüglich eines angemessenen Taschengeldes besteht. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass natürlich der im Pflegeheim untergebrachte Elternteil vorhandenes Vermögen (mit Ausnahme eines Schonvermögens gemäß § 90 SBG XII in Höhe von ca. 2600 Euro) zunächst selbst einzusetzen hat. Selbiges gilt für das vor dem Heimaufenthalt selbst genutzte Eigenheim. Selbstverständlich ist Eigeneinkommen (Rente), jedoch auch eventuelle Leistungen zur Grundsicherung nach § 41 SBG XII, einzusetzen (BGH, FamRZ 2007, S. 1158). Selbiges gilt für Pflegegeld. In der Entscheidung des BGH hat dieser auch festgehalten, dass sich der Bedarf nach der Lebensstellung des bedürftigen Elternteils richtet und nicht nach einer eventuell guten Lebensstellung des Kindes. So ist auch die Heimunterbringung eben eine Veränderung der Lebensstellung (BGH, FamRZ 2010, S. 1535). Wenn das unterhaltsverpflichtete Kind die Notwendigkeit der Heimkosten bestreitet, mit dem Argument, es gebe auch günstigere Möglichkeiten der Heimunterbringung, so bedarf es hierzu konkreter Feststellungen durch das Gericht. Ist ein Elternteil z. B. im Alter sozialhilfebedürftig geworden, so beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf auf das Existenzminimum und somit auch auf eine einfache und kostengünstige Heimunterbringung. Im vorliegenden Fall hat das Kind die Notwendigkeit der Heimkosten zum Teil bestritten und Heimplätze in kostengünstigeren Heimen nachgewiesen. Dem hat das Gericht Rechnung getragen. Ein Taschengeld richtet sich gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 SBG XII nach den Umständen des Einzelfalles, wird bei ca. 100 Euro monatlich liegen (BGH, FamRZ 2010, S. 1535).
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Mit der Entscheidung des BGH hatte sich dieser insbesondere mit der Frage auseinanderzusetzen, wie eigenes Vermögen des unterhaltspflichtigen Kindes, welches selbst bereits Regelaltersrentner ist, für den Unterhalt des pflegebedürftigen Elternteiles einzusetzen ist:
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Ist das unterhaltspflichtige Kind selbst noch erwerbstätig, muss ein Vermögensstamm dann nicht eingesetzt werden, wenn er für den eigenen Unterhalt gebraucht wird (BGH, FamRZ 2006, S. 1511). Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung ist die sogenannte Altersrücklage jeweils individuell nach dem entsprechenden Bruttoeinkommen und der Dauer der bisherigen Erwerbstätigkeit zu ermitteln. Die zusätzliche Altersvorsorge ist für die eigene Alterssicherung angelegt und ist daher grundsätzlich dem Zugriff entzogen. Dem Unterhaltsverpflichteten ist es gestattet auf der Grundlage seines Bruttoeinkommens 5 % als Altersvorsorgevermögen zu berechnen, dies multipliziert mit den Jahren der Berufstätigkeit, sowie zusätzlich einer auf die Laufzeit vorgenommenen Renditeverzinsung in Höhe von ca. 3 – 4 % (OLG Düsseldorf, FamRZ 2012, S. 1651~ OLG Nürnberg, FF 2012, S. 314~ BGH, FamRZ 2006, S. 1511~ Beispiel: Jahresbruttoeinkommen 56000 Euro, 43 Berufsjahre, hieraus 5 % sowie Verzinsung ab dem 18 Lebensjahr mit 4 % ergab ein Schonvermögen von ca. 300000 Euro). Neben diesem Altersschonvermögen wird von der Rechtsprechung zumeist noch ein individuelles Schonvermögen für die Risiken der allgemeinen Lebensführung belassen (ca. 10000 Euro bzw. 3-faches Monatseinkommen). Strittig ist bislang insbesondere die Frage, ob neben dem allgemeinen Altersschonvermögen die selbstgenutzte Eigenimmobilie komplett daneben „verschont“ bleibt oder ganz oder teilweise in das Altersvorsorgevermögen einzurechnen ist. Dies wird der BGH zu entscheiden haben nachdem die oben zitierte Entscheidung des OLG Nürnberg sich beim BGH in der Revision befindet (Az. XII ZB 269/12).
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In der hiesigen BGH-Entscheidung war die Frage relevant, wie das Altersschonvermögen zu bewerten ist, wenn das unterhaltspflichtige Kind bereits Rentner ist. Das Oberlandesgericht hatte das bestehende Vermögen umgerechnet auf die statistische Lebenserwartung in eine Kapitalrente und hat diese den sonstigen Einkünften (Mieteinkünfte, Rente, Wohnwertvorteil) hinzugerechnet und unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes (seinerzeit 1400 Euro, seit 1.1.2013 1500 Euro), den überschießenden Betrag halbiert und diesen Betrag als Einsatzeinkommen verlangt. Der BGH hat diese Variante des Einsatzes des Vermögens gebilligt mit dem Argument, dass das unterhaltspflichtige Kind bereits Rentner ist und daher kein weiteres Altersschonvermögen aufbauen kann. Zudem gewährleistet eine solche Berechnung, wie es das OLG vorgenommen hat, dass dem Unterhaltspflichtigen ein zur Bestreitung seines laufenden Lebensbedarfs ausreichendes Einkommen dauerhaft zur Verfügung steht. Hinzu kommt in diesen Fällen hochbetagter Eltern, dass wegen deren begrenzter Lebenserwartung dem unterhaltspflichtigen Kind in absehbarer Zeit sein Einkommen und Vermögen wieder ungeschmälert zur Verfügung stehen wird. Aus den bisherigen Entscheidungen, auch des BGH (FamRZ 2006, S. 1511) folgt nicht, dass das aufgrund des nach den Kriterien des BGH angesparten Alterskapitals (5 % vom Erwerbseinkommen über die gesamte Erwerbszeit etc.) dieses angesparte Kapital im Rentenalter dauerhaft verbleibt und nicht für den Elternunterhalt heranzuziehen ist. Es kann gerade erwartet werden, dass dieses angesparte Kapital bei Erreichen der Regelaltersgrenze seinem bestimmungsgemäßen Zweck, nämlich der Verbesserung der Lebenssituation im Alter, entsprechen sukzessive verbraucht wird (der Sonderfall, dass eine zusätzliche Altersvorsorge auch noch nach vorgezogenem Rentenbeginn unterhaltsrechtlich zu akzeptieren ist – BGH, FamRZ 2010, S. 1535 – liegt hier nicht vor).
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Der BGH hat dann nach den neuesten Kriterien des § 14 BewG (Bewertungsgesetz) festgestellt, dass das Oberlandesgericht die fiktive Kapitalrente zu hoch bewertet hat, und hat auch aus diesem Grund die Sache an das OLG zurückverwiesen, jedoch dem Grunde nach den Einsatz des Vermögens eines Rentners beim Elternunterhalt bestätigt.
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>~EXKURS:
Häufig stellt sich die Frage, ob nicht ggf. auch ein Elternunterhalt verwirkt sein kann. Nach der Rechtsprechung ist das erfüllt, wenn der jetzt bedürftige Elternteil gegenüber dem Kind seine Unterhaltspflicht nicht erfüllt hatte (BGH, FamRZ 2004, S. 1559), die Betreuung des Kindes vernachlässigt hatte, etwa durch Auswanderung. Selbiges gilt bei Misshandlungen des Kindes, sexuellem Missbrauch etc.. Eine Verwirkung ist nur in seltenen Ausnahmefällen vorliegend, sie liegt nur bei einer schweren Verfehlung vor. Nicht ausreichend ist die Behauptung einer Vernachlässigung in der Kinderzeit (BGH, FamRZ 2010, S. 1418~ OLG Hamm, RamRZ 2010, S. 303). Ebensowenig langt ein normaler Kontaktabbruch. Insoweit hat jedoch das OLG Oldenburg mit Urteil vom 25.10.2012, Az. 14 UF 80/12 entschieden, dass eine nachdrückliche und dabei herabwürdigende Kontaktverweigerung eine Elternunterhaltspflicht entfallen lassen könne. Das OLG hatte eine schwere Verfehlung des Vaters gesehen, da der Kontaktabbruch des Vaters zum Kind nachhaltig und kränkend war. Der Vater hatte alle Kontaktversuche seines Sohne abgelehnt. Selbst bei der Beerdigung des Großvaters hat der Vater kein Wort mit seinem Sohn gewechselt, in seinem Testament hat der Vater verfügt, der Sohn solle nur den „strengsten“ Pflichtteil erhalten. Das OLG hat festgestellt, dass der Vater damit einen besonders groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung gezeigt und offenkundig jegliche Beziehung zum Sohn abgelehnt. Damit hat er sich aus dem elterlichen Solidarverhältnis gelöst, sodass ein Unterhaltsanspruch verwirkt ist. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht jeder Kontaktabbruch gleichzeitig eine schwere Verfehlung darstellt, sondern entsprechende weitergehende Umstände hinzutreten müssen. Ob andere Instanzgericht das ebenso sehen wie das OLG Oldenburg, ist ohnehin fraglich. Bei jedem Elternunterhaltsanspruch sollte jedoch die Frage der Verwirkung immer geprüft werden.