BGH, Urteil vom 9.11.2011 – Vaterschaft, Abstammung, Scheinvater, Auskunftsanspruch
Wenn die Mutter eines Kindes den Mann zur Abgabe eines Vaterschaftsanerkenntnisses veranlasst hatte und nur sie selbst unschwer in der Lage ist durch Auskunft die Ungewissheit über den tatsächlichen Vater zu beseitigen, ergibt sich aus Treu und Glauben ein Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter auf Bekanntgabe des tatsächlichen biologischen Vaters zur Vorbereitung eines Unterhaltsregressanspruchs des Scheinvaters gegen den biologischen Vater. Voraussetzung ist, dass der Scheinvater in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und die Mutter in der Lage ist unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen.
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Urteil
Gericht : BGH Datum : 09.11.2011 Aktenzeichen : XII ZR 136/09 Leitparagraph : BGB §242, BGB §1600d Quelle : FamRZ 2012, Heft 3 Kommentiert von : RA Simon Heinzel
Inhalt:
Die Kindsmutter hat mit dem Kläger (Scheinvater) in nichtehelicher Lebensgemeinschaft gelebt. Nach der Trennung wurde ein Kind geboren. Die Trennung der Parteien erfolgte erst nach der Empfängniszeit für das dann später geborene Kind. Die Mutter hatte den Kläger aufgefordert, die Vaterschaft für „ihr gemeinsames Kind“ anzuerkennen, was dieser auch getan hat. Der Scheinvater hat Unterhalt sowohl für das Kind als auch für die Mutter des nichtehelichen Kindes bezahlt (ca. 5000 Euro in der Summe). In einem Verfahren betreffend Umgang und Unterhalt wurde dann ein Vaterschaftsgutachten erstellt, bei dem sich herausgestellt hat, dass der Kläger, der die Vaterschaft anerkannt hatte und somit rechtlicher Vater war, nicht der biologische Vater ist. Zudem stand fest, dass die Mutter von dem mutmaßlichen leiblichen Vater des Kindes bereits Kindesunterhaltsleistungen in Höhe von monatlich 202 Euro erhielt. Dem Scheinvater war der leibliche Vater des Kindes nicht bekannt. Er will gegen den leiblichen Vater den sogenannten Scheinvaterregress durchführen, d. h. den von ihm geleisteten Unterhalt von diesem zurückfordern. Da ihm nicht bekannt ist, wer der leibliche Vater ist, hat er die Mutter auf Auskunft auf Bekanntgabe des Namens des leiblichen Vaters verklagt, insbesondere auf Auskunft, wer der Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat. Die Vorinstanzen (AG / OLG) haben die Mutter antragsgemäß zur Auskunft verurteilt, die von der Mutter eingelegte Revision zum BGH hatte keinen Erfolg.
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In der bisherigen Rechtsprechung war ansich nur ein solcher Auskunftsanspruch anerkannt wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB (OLG Bamberg, FamRZ 2004, S. 562). Ein solcher Vorsatz war in den meisten Fällen nicht darzulegen, letztendlich hat erst das OLG Schleswig (FamRZ 2009, S. 1924) einen Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben bejaht. Diese Entscheidung des OLG Schleswig stand nun in der Revisionsinstanz beim BGH auf dem Prüfstand.
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Ein Anspruch nach Treu und Glauben setzt voraus, dass die Parteien eine besondere Rechtsbeziehung haben, und die eine Partei über das Bestehen und den Umfang ihres Rechtes im Ungewissen ist, während der andere Teil unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Dies hat der BGH bejaht. Die besondere Rechtsbeziehung zwischen den Parteien ergibt sich aus der Aufforderung der Mutter, zur Abgabe eines Vaterschaftsanerkenntnisses bei der Geburt wider besseren Wissens. Zudem ist/sollte es einer Frau möglich sein, die Person/en zu benennen, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat/haben (im Entscheidungsfall wurde sogar von einer Person Kindesunterhalt geleistet). Der BGH geht davon aus, dass die Auskunftsverpflichtung kein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist (Achtung der Privat- und Intimsphäre), der Anspruch des Vaters auf effektiven Rechtsschutz zur Durchsetzung eines Unterhaltsrückforderungsanspruches gegen den leiblichen Vater wiegt insoweit stärker.
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Mit dieser Entscheidung hat der BGH höchstrichterlich einen Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben bejaht. Der BGH begründet dies damit, dass die auskunftspflichtige Mutter durch ihr früheres Verhalten (Aufforderung gegenüber dem Kläger zur Vaterschaftsanerkennung) Tatsachen ihres geschlechtlichen Verkehrs während der Empfängniszeit offenbart hatte. Damit hat sie auch erklärt, dass nur der Kläger als Vater ihres Kindes in Betracht kommt und hat somit den Kläger zur Vaterschaftsanerkennung veranlasst. Wie wäre ein Auskunftsanspruch zu beurteilen, wenn der Scheinvater aus eigenem Antrieb heraus die Vaterschaft anerkannt hätte? Wie wäre ein Auskunftsanspruch zu beurteilen, wenn das Kind in eine Ehe hineingeboren wäre und es einer Vaterschaftsanerkennung schon gar nicht bedurft hätte und über geschlechtlichen Verkehr während der Empfängniszeit kein Wort verloren worden wäre und der Vater von Gesetzes wegen der rechtliche Vater geworden wäre? Diese Fragen sind im BGH-Urteil nicht beantwortet, es lag der besondere Fall vor, wonach die Kindsmutter den Mann zur Vaterschaftsanerkennung aufgefordert hat (wider besseren Wissens) und damit letztendlich vorgegaukelt hat, nur dieser Mann käme als Vater in Betracht.
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Der Verfasser geht davon aus, dass diese Rechtsprechung des BGH auch auf die oben genannten Fälle, die der BGH nicht zu entscheiden hatte, angewandt werden kann, da z. B. in einer Ehe bereits eine besondere Rechtsbeziehung zu finden ist und aus den ehelichen gegenseitigen Pflichten wohl eine Offenbarungspflicht außerehelichen Geschlechtsverkehres zumindest nach Trennung/Scheidung in solchen Fällen besteht. Ein titulierter Anspruch auf Nennung des Namens des Kindsvaters ist in der Regel auch durch Zwangsgeld etc. vollstreckbar (BGH, FamRZ 2008, S. 1751). Das hiesige Urteil wird in Zukunft es dem Scheinvater erleichtern, seinen Regressanspruch gegen den leiblichen Vater durchzusetzen. Wenn die Kindsmutter jedoch mit vielen Männern während der Empfängniszeit verkehrt hat und der biologische Vater nicht festgestellt ist, wird der Scheinvater auch weiterhin Schwierigkeiten haben, den „richtigen“ leiblichen Vater herauszufinden.
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Grundsätzlich gilt auch nach der Entscheidung des BGH weiterhin, dass die Frage der Person eines Intimpartners zum grundsätzlich geschützten unantastbaren Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Frau gehört. Einen Auskunftsanspruch auf Bekanntgabe eines Intimpartners kann es nur ausnahmsweise geben. Im vorliegenden Fall ergab sich die Besonderheit aus der „rechtlichen Vaterschaft“, welche aus einem Vaterschaftsanerkenntnis mit Zustimmung der Kindsmutter entstand. Es ist daher schon fraglich, ob die reine „rechtliche Vaterschaft“ ohne Vaterschaftsanerkenntnis und ohne Zustimmung der Mutter, wie sie in einer Ehe entsteht, ebenso eine besondere Rechtsbeziehung darstellt, die einen solchen Auskunftsanspruch rechtfertigt. Der Verfasser geht davon aus, dass auch in diesen Fällen ein Auskunftsanspruch bestehen muss (siehe letzter Absatz), wird jedoch von der Rechtsprechung noch zu klären sein. In jedem Fall wird ein Auskunftsanspruch immer nur dann zu bejahen sein, wenn Hintergrund des Auskunftsverlangens ein Ersatz-/Regressanspruch des Scheinvaters gegen den biologischen Vater ist. Ein allgemeiner grundsätzlicher Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter des Kindes über die Person des biologischen Vaters besteht auch durch die Entscheidung des BGH nicht, es müssen daneben die besonderen Umstände, wie dargelegt, vorliegen.