Gesetzesänderung bei Prozesskostenhilfe geplant
Der baden-württembergische Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll (FDP) deutete schon Anfang des Jahres an, er sehe gute Chancen, noch in diesem Jahr eine Reform der Prozesskostenhilfe auf den Weg zu bringen. Goll ergriff zusammen mit der Justizministerin Niedersachsens auch sogleich die Initiative. Wie sich an der raschen Einbringung der Initiative in den Bundesrat zeigt, fand die Initiative ein breites Echo.
Unterstützung bekommen die Länder von ihren Rechnungshöfen. "Unser erklärtes Ziel ist es, den Aufwand bei der Prozesskostenhilfe zu reduzieren. Da stimmen wir mit den Untersuchungen des Rechnungshofs überein", erklärte der Justizminister. Allerdings seien verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten. "Der Staat ist verfassungsrechtlich verpflichtet, bedürftigen Parteien den Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen. Dabei darf er sie zwar an den Kosten beteiligen, aber nur, soweit sie über das Existenzminimum hinausgehendes Einkommen oder Vermögen haben. Die gesetzgeberischen Handlungsspielräume sind also begrenzt", erklärt Goll von Anfang an und steckte so einen Rahmen ab.
Während der Rechnungshof bedürftige Prozessparteien stärker an den Kosten beteiligen will, indem neue Rechtsvorschriften geschaffen werden, setzt Goll vor allem auf eine Optimierung der Anwendung vorhandener Rechtsvorschriften. Entscheidend für die Reduzierung der Prozesskostenhilfe-Aufwendungen ist nach Auffassung Golls, wie die so genannte "Bedürftigkeitsprüfung" in der Praxis organisiert sei: "Der Schlüssel für eine Optimierung liegt in der Abtrennung der Bedürftigkeitsprüfung vom übrigen Verfahren. Ich halte eine Konzentration dieser Prüfung an einer bestimmten Stelle des Gerichts, zum Beispiel beim Rechtspfleger, für den richtigen Weg".
Eine solche Konzentration werde die bislang teilweise erheblich voneinander abweichenden Bewilligungsquoten der einzelnen Gerichte aneinander angleichen. Daraus ergebe sich ein enormes Einsparpotenzial, prophezeit der Minister. "Wenn es uns gelingt, den Landesdurchschnitt an die Werte der Gerichte mit geringem Prozesskostenhilfeaufwand anzunähern, sind Einsparungen bis zu rund 20 Millionen Euro sowie zusätzliche Einnahmen durch höhere Rückflüsse möglich", bezifferte Goll allein die Ersparnisse in Baden-Württemberg.
Die Prüfung der Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe durch das Gericht erfolgt derzeit in zwei Schritten. Zunächst muss der Richter oder die Richterin en Detail feststellen, ob die klagewillige Partei bedürftig ist, sich also den Prozess tatsächlich finanziell nicht leisten kann. In einem zweiten Schritt prüft das Gericht dann die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage. Dahinter steht das Prinzip, dass niemandem allein aus finanziellen Gründen die Führung eines Prozesses verwehrt werden darf.
Die Voraussetzungen und Wirkungen der Prozesskostenhilfe sind in den Paragrafen 114-127a der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Zentrale Vorschrift ist § 114 ZPO: "Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
Vor dem Hintergrund des enormen Einsparpotenzials hat das baden-württembergische Justizministerium bereits vor der Untersuchung des Rechnungshofs damit begonnen, unter intensiver Einbindung der gerichtlichen Praxis konkrete Gesetzgebungsvorschläge zu entwickeln, hob der Minister. Unter Federführung von Baden-Württemberg und Niedersachsen ist im Auftrag der Justizministerkonferenz schon im Herbst 2003 eigens dazu eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet worden. Diese Arbeitsgruppe hat seitdem zahlreiche Vorschläge geprüft, die zur Begrenzung der Aufwendungen der Prozesskostenhilfe geeignet sind. Die Prüfungen hatten insgesamt 14 konkrete Vorschläge ergeben, die auf der Justizministerkonferenz im Frühjahr 2005 vorbehaltlich der Ergebnisse der noch nicht abgeschlossenen Praxisbefragung gebilligt wurden, erläuterte Goll. Die Arbeitsgruppe hat aus der Vielzahl der geprüften Vorschläge einige sehr aussichtsreiche Vorschläge aufgegriffen. Sie stehen jetzt im Entwurf, der im Bundesrat eingebracht wurde.
Die in der Vergangenheit stetig gestiegenen Ausgaben für Prozesskostenhilfe sollen möglichst umgehend und dauerhaft begrenzt werden. In dem vom Bundesrat verabschiedeten Gesetzentwurf sind hierzu drei Maßnahmenpakete vorgesehen:
Zum einen sollen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe korrigiert werden. Die Versagung der Leistung soll bei mutwilliger Rechtsverfolgung oder -verteidigung bzw. bei mutwilligen Beweisanträgen erleichtert werden. Justizminister Goll: "Wir wollen denjenigen entgegenwirken, die auf Staatskosten ausfechten wollen, was kein vernünftiger Selbstzahler geltend machen würde."
Eine zweite Maßnahme betrifft die Eigenbeteiligung der bedürftigen Partei an den Prozesskosten. Dabei sollen sich zunächst die Grundfreibeträge an den sozialhilferechtlichen Regelsätzen orientieren. Daneben wird die Höhe der aus dem verbleibenden Einkommen zu zahlenden Raten neu bestimmt und die Obergrenze für die Anzahl der zu leistenden Raten aufgehoben. Um den Aufwand für die Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen abzugelten, soll eine einmalige Gebühr in Höhe von 50 € von all denjenigen erhoben werden, die über ein einzusetzendes Einkommen verfügen.
Drittens soll schließlich durch geänderte Verfahrensvorschriften sichergestellt werden, dass die Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die für die Bewilligung entscheidend sind, einheitlich und zutreffend erfasst werden. Dem Gericht sollen insbesondere Auskunftsansprüche gegenüber den Finanzämtern, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, den Sozialleistungsträgern und dem Arbeitgeber der bedürftigen Partei eingeräumt werden. "Der Antragsteller muss künftig auch das aus dem Rechtsstreit Erlangte vorrangig und vollständig zur Deckung der Prozesskostenhilfe einsetzen." Laut Goll sei diese "Selbstverständlichkeit" bisher nicht der Fall. -
Allerdings, nicht immer ändert sich etwas: Für die Bezieher von Sozialhilfe bleibt alles beim Alten.
Ambivalenz des Gesetzentwurfs
Wir wissen einerseits, dass sich Mitglieder immer wieder beschwert haben über den Zustand, dass da einer der Ehe-maligen auf Kosten des Staates prozessieren konnte und deswegen einen Prozess nach dem anderen vom Zaun gebrochen hat. Der andere wurde so in Prozesse verwickelt, die er selbst zahlen musste. Der beidseitige Kostendruck und somit der Druck zu einer einvernehmlichen Einigung entfiel somit.
Des Weiteren kann das Argument der Länderfinanzminister nicht von der Hand gewiesen werden: überall muss gespart werden, warum nicht bei der Prozesskostenhilfe. -
Andererseits muss aber auch gesehen werden, dass die Gefahr besteht, einkommensschwachen Bürgern wird die Verfolgung und Verteidigung ihrer Rechte erschwert. Natürlich stellt sich da die Frage, inwiefern die vorgeschlagenen Maßnahmen noch in Einklang stehen mit dem Rechts- und Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes in Einklang stehen. Gut möglich, dass das Gesetz letztendlich beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe landet. -
Noch ist nichts entschieden: Der Gesetzentwurf wird nunmehr der Bundesregierung zugeleitet, die ihn innerhalb von sechs Wochen an den Deutschen Bundestag weiterleiten muss. Dabei soll sie ihre Auffassung darlegen.
J. Linsler, ISUV-Report 108