ISUV/VDU bei der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses
ISUV/VDU als einziger Verband bei der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages
Im Report Nr. 104, Juni 2005/2 und Nr. 105, September 2005/3 konnten wir zum - damaligen - Referentenentwurf zur Reform des Unterhaltsrechts und zur Verbandsanhörung beim Bundesministerium der Justiz berichten.
Die seinerzeit ins Auge gefassten Realisierungsaussichten haben sich konkretisiert. Es liegt nunmehr ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung vor (BT-Drucksache 16/1830), der die erste Lesung im Deutschen Bundestag durchlaufen hat und zu dem der Bundesrat eine positive Stellungnahme mit marginalen Änderungswünschen (BR-Drucksache 253/06 vom 19.05.2006) abgegeben hat.
Nächste Station des Entwurfs, der nach den bisherigen Planungen am 01. April 2007 als Gesetz in Kraft treten soll, war die Behandlung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, der für den 16. Oktober 2006 einen Termin zur öffentlichen Anhörung mit 9 Sachverständigen angesetzt hatte.
Diesen Termin haben Bundesvorsitzender Michael Salchow sowie der Ehrenvorsitzende und Rechtspolitische Sprecher, Rechtsanwalt Dr. Hans-Peter Braune als einzige Vertreter der Betroffenenverbände wahrgenommen, anwesend war neben den Sachverständigen auch noch die uns (z.B. Klausurtagung 2003) durch hervorragende Vorträge und Stellungnahmen gut bekannte ehemalige Justizsenatorin Frau Prof. Lore-Maria Peschel-Gutzeit.
Wir können über eine überwiegend positive Aufnahme und Diskussion des Entwurfs und eine breite Billigung durch die Sachverständigen berichten, wenn auch in Einzelpunkten noch Einwände vorgebracht wurden.
Der Entwurf wurde grundsätzlich begrüßt (Richterin am OLG a.D. Jutta Puls), zum Teil überschwänglich gelobt in der Verwirklichung der Zielsetzungen des Bundestages aus dem Jahr 2000 - Stärkung des Kindeswohls, Betonung der Eigenverantwortlichkeit, Vereinfachung des Unterhaltsrechts, gesetzliche Festlegung eines Mindestbedarfs und insbesondere der Festlegung der neuen Rangfolge (Prof. Siegfried Willutzki). Zum Teil wurde der Entwurf etwas widerstrebend zur Kenntnis genommen, anerkannt wurde aber, dass eine maßvolle Korrektur des derzeit geltenden Unterhaltsrechts durchaus wünschenswert ist (Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Schwab).
Dr. Frank Klinkhammer, Richter am OLG Düsseldorf, und Dr. Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. haben die Rangfolge und die gesetzliche Festlegung des Mindestunterhalts für Kinder ausdrücklich begrüßt, Dr. Frank Klinkhammer auch die vorgesehene Befristung der nachehelichen Ehegattenunterhaltsansprüche. Die Sachverständigen stellten ferner fest, dass mit dem neuen Gesetz das Altersphasenmodell (Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils ab Vollendung des 8. Lebensjahres des jüngsten Kindes in Teilzeittätigkeit, vom 8. bis 12. Lebensjahr Halbtagestätigkeit, ab Vollendung des 15. Lebensjahres Vollzeittätigkeit, da kein Betreuungsbedürfnis mehr) aufgegeben wird (RAin Ingeborg Rakete-Dombeck, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltsverein~ Rechtsanwalt Klaus Schnitzler~ Richterin am OLG a.D. Jutta Puls).
Wesentliche Punkte des Regierungsntwurfs, die - aller Voraussicht nach - auch nicht mehr geändert werden, sind :
Die Stärkung des Kindeswohls
Zum einen soll dies durch eine geänderte Rangfolge im Mangelfall erreicht werden, zum anderen durch die gesetzliche Definition des Mindestunterhalts von Kindern und schließlich durch die Besserstellung von nicht miteinander verheirateten, Kinder betreuenden Elternteile - beides seit vielen Jahren hochgehaltene Forderungen des Verbandes ISUV/VDU.
Die neue Rangfolge, die zum Teil Gegenstand kontroverser Diskussion war, sieht wie folgt aus:
* im ersten Rang sind minderjährige unverheiratete Kinder und Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2, Satz 2 BGB, sogenannte privilegierte Volljährige, die noch bei einem Elternteil wohnen und sich noch in der allgemeinen Schulausbildung befinden und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben~
* im zweiten Rang befinden sich Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer~
* im dritten Rang befinden sich die Ehegatten, die sich nicht im zweiten Rang befinden~
* im vierten Rang sind diejenigen Kinder, die nicht in den ersten Rang eingeordnet sind~
* im fünften Rang befinden sich Enkelkinder und andere Abkömmlinge~
* dem sechsten Rang sind die Eltern zugeordnet und
* dem siebten Rang weitere Verwandte der aufsteigenden Linie, unter ihnen gehen die näheren den entfernteren vor, § 1609 BGB-E.
An der Rangfolge entzündete sich die Diskussion vor allem deshalb, weil durch den Vorrang der Kinder vor den betreuenden Ehegatten möglicherweise die Vorteile des begrenzten steuerlichen Realsplittings nach § 10 Abs. 1, Ziff. 1 EStG verloren gehen - das für den Ehegattenunterhalt zur Verfügung stehende Einkommen vermindert sich, so dass nur eine Umschichtung stattfindet. Dem wurde entgegengehalten, dass das Kindergeld nunmehr zur Hälfte (bei Minderjährigen und gleichgestellten Volljährigen) bzw. in voller Höhe (bei Volljährigen) auf den Bedarf (Prof. Willutzki) angerechnet wird.
Die auch die Mitglieder des Rechtsausschusses brennend interessierende Frage, was unter dem Begriff der "Ehe von langer Dauer" zu verstehen ist, konnte nicht eindeutig beantwortet werden - das Gesetz hat diese Frage nicht klar geregelt, sondern will deren Beantwortung der Rechtsprechung überlassen.
Es kristallisierte sich die Meinung heraus, dass man eine Ehedauer von mindestens 10 - 15 Jahren fordern müsse. Hier wird den Rechtsstreitigkeiten ein weites Feld und eine "lange Dauer" eröffnet werden.
Problematisiert wurde in der Rangstufe zwei ferner das Verhältnis von geschiedener Ehefrau und neuer Ehefrau bzw. der nicht verheirateten Mutter eines weiteren Kindes des Unterhalts-verpflichteten. Eine eindeutige Lösung wurde hier nicht gefunden, wahrscheinlich bleibt es bei der vorgesehenen Rangfolge.
Die Festlegung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder im Entwurf wurde nahezu einhellig begrüßt.
Dabei ist zu beachten, dass die neue Vorschrift des § 1612 a BGB-E nicht den zu zahlenden Mindestunterhalt bestimmen will, sondern die Höhe des Mindestbedarfs.
Die gesetzlich vorgesehenen Mindestbedarfssätze bestimmen sich nach dem doppelten Freibetrag für das steuerliche Existenzminimum eines Kindes (Kinderfreibetrag) nach § 32 Abs. 6, Satz 1 EStG. Sie betragen monatlich 1/12 des doppelten Kinderfreibetrages, und zwar entsprechend dem Alter des Kindes
* für die Zeit bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres (erste Altersstufe) 87 %,
* für die Zeit vom 7. bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres (zweite Altersstufe) 100 % und
* für die Zeit vom 13. Lebensjahr an (dritte Altersstufe) 117 %.
Die neuen Bedarfssätze lauten dann
* für Kind erster Altersstufe, 87 %, aufgerundet 265,00 €
* für Kind zweiter Altersstufe, 100 % 304,00 €
* für Kind dritter Altersstufe, 117 % 356,00 €
Die bisherigen Mindestbedarfssätze (135 % des Regelbetrages) lauteten
* für Kind erste Altersstufe 276,00 €
* für Kind zweiter Altersstufe 334,00 €
* für Kind dritter Altersstufe 393,00 €
Gegenüber der bisherigen Regelung erhalten somit die Kinder in der ersten Altersstufe 11,00 €, in der zweiten Altersstufe 30,00 € und in der dritten Altersstufe 37,00 € monatlich weniger.
Außer Streit stand die vorgesehene Regelung anstelle des wegfallenden § 1612 b Abs. 5 BGB, Anrechnung des Kindergeldes, die nicht zuletzt auch auf Drängen und Initiative des Verbandes ISUV/VDU beschlossen wurde.
Bislang war ja ein teilweises Verbot der Anrechnung des Kindergeldes vorgesehen, soweit der Unterhaltspflichtige außer Stande war, Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetragsverordnung zu leisten.
Diese Bestimmung ist ersatzlos aufgehoben worden.
Die nunmehr vorgesehene Regelung des § 1612 b BGB-E sieht im Hinblick auf die jüngste höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. Urteil des BGH vom 26.10.2005, XII ZR 34/03, veröffentlicht u.a. in FamRZ 2006, S. 99) vor, dass das Kindergeld auf den Unterhaltsbedarf des Kindes anzurechnen, also vom Unterhaltsbedarf abzuziehen ist, und zwar zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt (§ 1612 b Abs. 1, Ziff. 1 BGB-E), in anderen Fällen in voller Höhe (Ziff. 2), also bei volljährigen Kindern, sei es, dass sie noch im Haushalt der Eltern leben, sei es, dass sie außerhalb des elterlichen Haushalts leben. Umfasst werden von § 1612 b Abs. 1, Satz 1 Nr. 2 des Entwurfs auch die Fälle, in denen kein Elternteil seine Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind durch die Betreuung des Kindes erfüllt, etwa bei Fremdunterbringung des Kindes.
Problematisiert und eventuell noch einer Änderung zugänglich ist die Neuregelung des Betreuungsunterhaltsanspruchs bei nicht miteinander verheirateten Eltern gemäß § 1615 l BGB-E. Durch die Streichung des verschärfenden Wortes "grob" soll einfache Unbilligkeit zur Begründung des Unterhaltsanspruchs genügen, auch über den bisherigen 3-Jahres-Zeitraum hinaus. Die jetzige Regelung ist bekanntlich Gegenstand mehrerer Richtervorlagen nach Art. 100 GG.
Die insbesondere auch auf Initiative des Verbandes ISUV/VDU in den Gesetzestext aufgenommene und betonte Hervorhebung des Grundsatzes der Eigenverantwortung in den §§ 1569 ff. BGB-E fand Zustimmung, man maß ihr nachgerade "Signalwirkung" (Prof. Willutzki) bei, insbesondere in Verbindung mit der Neufassung der Erwerbsobliegenheit in § 1574 Abs. 1, Abs. 2 BGB-E und der neu eingeführten Möglichkeit der Herabsetzung und zeitlichen Begrenzung des Unterhalts - sämtlicher Unterhaltsansprüche (!) - wegen Unbilligkeit nach § 1578 b BGB-E.
Die Verknüpfung dieser Vorschriften sehen sämtliche Experten als Absage an das ("ausgehöhlte") Altersphasenmodell mit der Folge, dass es keine bestimmte Altersgrenze mehr gebe, ab der der Betreuungsunterhalt entfalle bzw. nicht mehr voll beansprucht werden könne.
Ein wesentlicher Fortschritt wird auch darin gesehen, dass der eheliche Lebensstandard nicht unbedingt bei der Erfüllung der Erwerbsobliegenheit eingehalten werden muss, es kann auch auf die frühere Erwerbstätigkeit abgestellt werden. Interessant war in diesem Zusammenhang die Anmerkung von RAin Margret Diwell, dass in den neuen Bundesländern regelmäßig kein Unterhalt über die Vollendung des 3. Lebensjahres eines Kindes hinaus gefordert werde bzw. zu diesem Zeitpunkt Unterhaltsverzichtserklärungen abgegeben werden.
Problematisiert wurden zum Teil (Prof. Dr. Schwab) die übergangsbestimmungen, nach denen dann, wenn über den Unterhaltsanspruch vor dem Inkrafttreten des Reformgesetzes rechtskräftig entschieden, ein vollstreckbarer Titel errichtet oder eine Unterhaltsvereinbarung getroffen worden ist nur dann abgeändert werden können, wenn Umstände aufgetreten sind, die vor dem Tag des Inkrafttretens entstanden und durch das Reformgesetz erheblich geworden sind. Eine Abänderung ist nur dann entsprechend der bisherigen Bestimmung des § 323 ZPO möglich, wenn die Änderung dem anderen Teil unter Berücksichtigung seines Vertrauens in die getroffene Regelung zumutbar ist.
Sodann wird wieder die von der Bestimmung des § 323 ZPO bekannte 10 % - Regelung angewendet werden müssen: Eine Abänderung erfolgt nur bei einer Veränderung von Einkommen und Unterhaltsanspruch um mehr als 10 %.
Das neue Gesetz wird also auch eine "unechte" Rückwirkung auf Altfälle haben. Die Betroffenen sind aber hiervor nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht geschützt, wobei Einzelheiten sicherlich im Streit stehen werden und divergierende Rechtsprechung zu befürchten ist. Insoweit wird, so befürchten die Experten, viel Arbeit auf die Justiz und die Anwaltschaft zukommen.
Anmerkung dazu: Vor dem zum 01.07.1977 in Kraft getretenen ersten Eherechtsreformgesetz sind Altehen auch nicht geschützt worden ....
Insgesamt gesehen erwartet der Verband nur noch geringfügige Änderungen des Gesetzes und das Inkrafttreten zum vorgesehenen Datum. Soweit ersichtlich, wird der Rechtsausschuss im Februar 2007 seine Beratungen abschließen, dann erfolgen noch die zweite und dritte Lesung im Bundestag.
Die Düsseldorfer Tabelle und die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte werden sich an dem neuen Gesetz auszurichten haben und daher nicht unerheblich ändern müssen. Mit den Änderungsarbeiten kann jedoch noch nicht begonnen werden, weil die steuerlichen Freibeträge für das Jahr 2007 noch nicht feststehen.
Der Verband erwartet die "neue (Düsseldorfer) Tabelle" und die "neuen unterhaltsrechtlichen Leitlinien" zum 01.07.2007, hierüber werden wir gesondert berichten.
RA Dr. Hans-Peter Braune, Rechtspolitischer Sprecher des Verbandes
Michael Salchow, Bundesvorsitzender