OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.6.2012 – Elternunterhalt
- Eine Vermögensverwertung kann nicht gefordert werden, wenn sie für den Unterhaltspflichtigen mit einem unangemessenen wirtschaftlichen Nachteil verbunden wäre. Der Unterhaltsschuldner muss nicht seinen angemessenen Unterhalt einschließlich der angemessenen Altervorsorge gefährden. Beim Elternunterhalt sind die Interessen des Unterhaltspflichtigen stärker zu gewichten als beim Kindesunterhalt.
- Der Unterhaltspflichtige ist berechtigt, neben der Eigensicherung des Lebensbedarfs auch Vorkehrungen zur Sicherung seines angemessenen Bedarfs im Alter zu treffen (nicht angreifbares Altersvorsorgevermögen). Das zu bemessende Altersvorsorgevermögen muss den Bedarf für die gesamte voraussichtliche Lebensdauer des Unterhaltspflichtigen decken, das Altersvorsorgevermögen ist nicht nach einem für alle Fälle geltenden Pauschalbetrag anzusetzen, sondern individuell zu berechnen (5 % vom sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommen gerechnet ab dem 18. Lebensjahr bis zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme bzw. 25 % vom nicht sozialversicherungspflichtigen Einkommen – BGH, FamRZ 2006, S. 1511).
- Für erforderliche Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten an Eigenimmobilien sind im angemessenen Umfang Rücklagen anzuerkennen. Eine eigengenutzte Immobilie verbleibt in der Regel dem Unterhaltsverpflichteten neben dem Altersvorsorgevermögen
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Urteil
Gericht : OLG Düsseldorf Datum : 21.06.2012 Aktenzeichen : 9 UF 190/11 Leitparagraph : BGB §1603 Quelle : FamRZ 2012, S. 1651 Kommentiert von : RA Simon Heinzel
Inhalt:
Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 30.8.2006 (FamRZ 2006, S. 1511 ff.) festgehalten, dass Vermögen eines Kindes beim Elternunterhalt insoweit geschützt ist, als das Kind während seines Berufslebens ab dem 18. Lebensjahr bis zur Höhe von 5 % seines sozialversicherungspflichtigen Einkommens bzw. 25 % seines nicht sozialversicherungspflichtigen Einkommens, mit einer Rendite von 4 % als Altersvorsorgevermögen nicht anzugreifen braucht. Sowohl das OLG Düsseldorf als auch das OLG Nürnberg haben ebenso wie der BGH bei dieser Berechnung nicht das in der Vergangenheit erzielte – erfahrungsgemäß zumeist niedrigere –, sondern das aktuelle Bruttoeinkommen des unterhaltspflichtigen Kindes zugrunde gelegt. Das OLG Nürnberg hat die Dauer der Berufstätigkeit ab dem tatsächlichen Einstieg ins Berufsleben bis zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt konkret zugrunde gelegt, das OLG Düsseldorf hat pauschal ab dem 18. Lebensjahr die Dauer der Berufstätigkeit und somit die Dauer der Ansparung des Altersvorsorgevermögens bestimmt. Grundsätzlich muss zwar der Stamm eines Vermögens zur Bestreitung auch des Elternunterhaltes herangezogen werden, dem Unterhaltspflichtigen ist jedoch das Altersvorsorgevermögen als Schonvermögen zu belassen. Das unterhaltspflichtige Kind braucht seinen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden, daraus folgt auch, dass eine Verwertung des Vermögensstamms nicht verlangt werden kann, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden (Zins-)Einkünften abschneiden würde, die zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche, anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung des eigenen Unterhaltes benötigt werden.
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Das OLG Nürnberg hat gerechnet auf die gesamte Erwerbszeit und das auf der Basis von 5 % des Bruttoeinkommens ermittelte Vermögen lediglich mit 3 % Rendite verzinst mit der Begründung rückläufiger Renditen. Das OLG Düsseldorf hat mit dem BGH weiterhin eine Rendite/Verzinsung von 4 % angesetzt, was einen nicht unerheblichen Unterschied ausmacht. Mag auch die Rendite in der heutigen Zeit nicht mehr so üppig sein, so berechnet sich das Altersvorsorgevermögen hauptsächlich aus der Vergangenheit, sodass nach diesseitiger Auffassung der Verzinsung von 4 % der Vorzug zu geben ist (OLG Düsseldorf~ Günther, FF 2012, S. 321).
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Aus beiden Entscheidungen ergibt sich weiterhin, dass eine Verwertung eines angemessenen selbstgenutzten Immobilienbesitzes nicht gefordert werden kann (BGH FamRZ 2003, S. 1179, FamRZ 2006, S. 1511, Brudermüller, NJW 2004, S. 633 ff.). Der Wert der selbstgenutzten Eigentumswohnung des Kindes ist nicht in die Bilanz zur Errechnung des geschützten Altersvorsorgevermögens aufzunehmen, dieses selbstgenutzte Wohnungseigentum kommt dem Elternunterhalt nur insofern zugute, als der Wohnwert dem Einkommen des Kindes zugerechnet wird und nur bei der Bemessung des laufenden Unterhaltes eine Rolle spielt (so auch Hauß, Elternunterhalt, 3. Auflage 2010, Rdn. 429/443 – kritisch hierzu: Günther, FF 2012, S. 321). Nachdem beim Elternunterhalt der Lebensstandard auch im Alter auf Dauer durch eine Unterhaltspflicht nicht einzuschränken ist, ist der Rechtsauffassung zuzustimmen, wonach die eigengenutzte angemessene Immobilie neben dem zu errechnenden Altersvorsorgevermögen zu belassen ist. Diese Frage wird jedoch aller Voraussicht nach der BGH zu entscheiden haben, nachdem gegen die Entscheidung des OLG Nürnberg die zugelassene Revision zum BGH eingelegt ist (BGH, Az. XII ZB 269/12).
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Die beiden Entscheidungen der Oberlandesgerichte machen deutlich, dass in nicht unerheblichem Maße sogenanntes Schonvermögen dem Unterhaltspflichtigen zu belassen ist, das OLG Düsseldorf hat auch noch Rücklagen für geplante Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten an Immobilien in Höhe von knapp 200.000 Euro zugestanden. Das OLG Düsseldorf ging in seiner Einzelfallberechnung von einem Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 56.000 Euro aus, das war das Einkommen, das der Unterhaltsschuldner vor seiner eigenen Altersteilzeit erzielt hatte. Weiterhin ging das OLG Düsseldorf von einem Berufsleben von 43 Jahren seit dem 18. Lebensjahr aus, hat hieraus 5 % herangezogen sowie gerechnet ab dem 18. Lebensjahr eine Verzinsung von 4 % und kam somit zu einem Schonvermögen von knapp 300.000 Euro. Da das OLG Düsseldorf nur darüber zu befinden hatte, ob 70.000 Euro, die noch vorhanden waren, dem Unterhaltsschuldner zu verbleiben haben oder nicht, hat sich das Oberlandesgericht nicht dezidiert dazu eingelassen, ob ab Erwerb der Eigenimmobilie das Schonvermögen neu zu berechnen wäre oder ob die Immobilie ist das Schonvermögen einzubeziehen ist, da die verbliebenen 70.000 Euro in jedem Fall beim Unterhaltsschuldner zu verbleiben haben. Das OLG Nürnberg hat hingegen klar zum Ausdruck gebracht, dass die eigengenutzte Immobilie neben dem Altersvorsorgevermögen „zu schonen“ ist. Beim OLG Nürnberg war ein Bruttojahreseinkommen von knapp 28.00 Euro zugrundegelegt worden unter Berücksichtigung der Lebensalterszeit (konkret ab Beginn der Erwerbstätigkeit des Unterhaltsschuldner errechnet sich bei einer jährlichen Kapitalverzinsung von hier nur 3 % ein Altersvorsorgevermögen von ca. 105.000 Euro. Hieran sieht man, dass das Altersvorsorgevermögen nicht als Pauschalbetrag anzusetzen ist, sondern letztendlich unter Berücksichtigung des individuellen Verdienstes des Unterhaltsschuldners und seiner individuellen Lebensarbeitszeit im Einzelfall zu ermitteln ist, wobei sich die Gerichte uneins darüber sind, ob eine Verzinsung mit 3 % oder mit 4 % vorzunehmen ist, was doch erhebliche Unterschiede ausmacht. Wie gesagt, die Entscheidung des OLG Nürnberg liegt beim BGH, dieser wird auch dazu Stellung nehmen müssen, inwieweit neben dem Altersvorsorgevermögen auch ein weiterer „Notgroschen“ dem Unterhaltsschuldner zu belassen ist. Im zugrundeliegenden Fall des OLG Nürnberg war ein weiterer Freibetrag von 10.000 Euro zugebilligt worden, andere gehen von dem 3-fachen Monatseinkommen (Hauß, Elternunterhalt 3. Auflage, Rdn. 457), andere wiederum gehen von Pauschalbeträgen zwischen 10.000 und 25.000 Euro aus (Günther, Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht, 3. Auflage, § 11, Rdn. 93).
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Mit den beiden Entscheidungen der Oberlandesgerichte wird letztendlich die Rechtsprechung des BGH zum Altersvorsorgevermögen bestätigt. Ungeachtet dessen ist nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass den Gerichten Entscheidungsspielraum verbleibt (z. B. Renditeverzinsung, Ansatz der Lebensarbeitszeit etc.) und exakt in einem Rechtsstreit zu den jeweiligen Vermögenspositionen vorzutragen ist, insbesondere auch zu Instandsetzungsrücklagen, Notgroschen etc.. Der Elternunterhalt ist immer häufiger Gegenstand auch gerichtlicher Auseinandersetzungen, da immer mehr Pflegefälle auftreten, bei denen der Staat zunächst im Wege der Sozialhilfe in Vorleistung tritt um dann jedoch im Rahmen des Verwandtenunterhaltes diesen Anspruch gegenüber den Kindern geltend macht.