Reform des Sorgerechts - Ein Zwischenschritt zur gemeinsamen elterlichen Sorge für nichteheliche Väter und deren Kinder
Wenn nicht noch völlig Überraschendes passiert, wird der Bundestag am 31.1. 2013 in 2. und 3. Lesung mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit beschließen, Väter nichtehelicher Kinder sollen nicht mehr rechtlos gegenüber dem eigenen Kind sein, sondern das gemeinsame Sorgerecht beantragen können. Bevor sie dieses Recht zugesprochen bekommen, muss zum einen die Vaterschaft feststehen, zum anderen müssen die nichtverheirateten Väter eine Sorgeerklärung abgegeben. Danach müssen sie warten, ob die Mutter der gemeinsamen Sorge widerspricht. Tut sie dies, entscheidet das Familiengericht, widerspricht sie nicht, erhält der Vater die gemeinsame elterliche Sorge. „Das neue Gesetz ist ein Fortschritt gegenüber dem Status quo, es ist aber nur ein halbherziger Koalitionskompromiss. Denn verheiratete und nicht verheiratete Väter und deren Kinder sind weiterhin nicht gleichgestellt. Artikel 6 des Grundgesetzes verlangt aber für eheliche und nichteheliche Kinder die gleichen Bedingungen.“, kritisiert der Vorsitzende des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht (ISUV) Josef Linsler. Deswegen forderte ISUV - und fordert weiterhin - die gemeinsame elterliche Sorge kraft Gesetz ab Feststehen der Vaterschaft. Fällt die allein sorgeberechtigte Mutter aus, so ist dem Vater die elterliche Sorge zu übertragen, wenn dies dem Wohle des Kindes nicht widerspricht.
Der Verband kritisiert aus folgenden Gründen folgende Regelungen des neuen Gesetzes:
Die im Gesetz vorgesehene „Schutzfrist“ für die Mutter führt dazu, dass der Vater innerhalb der ersten sechs Wochen bis zur gerichtlichen Entscheidung generell ohne ausreichende Gründe von der gemeinsamen Sorge ausgeschlossen wird. In dieser Zeit fallen wichtige Entscheidungen, wie Namensgebung, Religionszugehörigkeit, Anmeldung, mögliche gesundheitliche Maßnahmen.
Die Schonfrist der Mutter im Gesetzentwurf wird nicht begründet und Betroffene kritisieren sie zu Recht als willkürlich. Der ISUV-Vorsitzende Josef Linsler fragt: „Warum sollen die in Artikel 6 GG garantierten Rechte des Kindes und des Vaters zurückstehen? Warum den Vater nicht frühestmöglich beteiligen, warum ihn nicht gleich in die Elternverantwortung mit ein beziehen, insbesondere dann, wenn er sich darum bemüht? Kann er nicht gerade in der Zeit besonders hilfreich für die Mutter sein? Warum den Vater fernhalten, warum ihn nicht gleich positiv integrieren? Wo bleibt das Integrative, wo bleibt die Förderung familialer kindswohlorientierter Strukturen?
Auch im europäischen Rechtsvergleich erweist sich der Gesetzentwurf als restriktiv. Nach einem Überblick in der Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2010 (1 BvR 420/09) erhalten in der ganz überwiegenden Zahl von Ländern der Europäischen Union unverheiratete Eltern kraft Gesetzes die gemeinsame Sorge und werden damit verheirateten Eltern weitergehend oder vollständig gleichgestellt. So ist im französischen Recht grundsätzlich nur von „Eltern“ die Rede, verheiratet oder nicht verheiratet spielt keine Rolle, was auch irrelevant ist, wenn es um die Elternverantwortung geht. Gemeinsam ist beiden Rechtsordnungen, dass die Regelungen sich am Kindeswohl auszurichten haben.
Die vom BMJ in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass außerehelich geborene Kinder ganz überwiegend (annähernd 80 %) in die Gemeinschaft ihrer Eltern hinein geboren werden. Nach überwiegender Auffassung dieser Eltern entspricht die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl am besten. Das wurde im Gesetz zu wenig berücksichtigt. Wenn Eltern mit ihrem Kind zusammenleben, üben sie de facto ihre Verantwortung gemeinsam aus, unabhängig davon, wie sie die Erziehungsarbeit untereinander aufteilen. Dieser Mehrheit muss ein Gesetzentwurf Rechnung tragen, nicht einer Minderheit, die sich um die gemeinsame Verantwortung streitet. Ein Gesetz gibt doch wohl immer die Maxime vor, die von der Mehrheit der Gesellschaft anerkannt ist und nach der die Mehrheit lebt. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse entspricht in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl am besten. Daher ist verfassungsrechtlich eine gemeinsame Sorge kraft Gesetzes ab Feststehen der Vaterschaft geboten. Namhafte Experten des Familienrechts wie beispielsweise die Professoren Michael Coester und Siegfried Willutzki stimmen dieser Auffassung zu.
Nach Auffassung von ISUV ist eine automatische gemeinsame Sorge bei Zusammenleben der Eltern geboten. „Es ist nicht schlüssig, dass ein mit der Mutter und dem Kind zusammenlebender Vater ein gerichtliches Verfahren einleiten soll und darum bitten, dass er die gemeinsame Sorge erhält, die er faktisch ausübt. Das lässt sich nicht vermitteln, gerade nicht Menschen, die Aversionen gegen Bürokratie und alle staatlichen Vorschriften im privaten Bereich haben.“, kritisiert Linsler.
ISUV hat sich schon 2009 im Band 5 seiner Schriftenreihe mit dem Titel „Gemeinsame elterliche Sorge für nichteheliche Kinder“ positioniert, noch bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Gesetzgeber zur Reform antrieben. Zentrale ISUV-Forderung seit seiner Gründung vor nahezu 40 Jahren war die Einführung der gemeinsamen elterlichen Sorge für eheliche und nichteheliche Kinder, die völlige Gleichstellung von Kindern und ihren Eltern. „Wir hoffen, das neue Gesetz löst einen Bewusstseinswandel aus, so dass dann in einigen Jahren die gemeinsame Sorge kraft Gesetz zur Regel wird.“ (Linsler)
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