Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen - OLG Hamm - 03.02.2015

 

Einem medizinisch oder psychologisch zu begutachtenden Beteiligten ist bei einem Untersuchungstermin bzw. Explorationsgespräch des Sachverständigen die Anwesenheit einer Begleitperson ohne Äußerungs- bzw. Beteiligungsrecht zu gestatten (Anschluss an OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, 1441~ LSG Reinland-Pfalz, NJW 2006, 1541).

Beschluss:
Gericht: OLG Hamm
Datum: 03.02.2015
Aktenzeichen: 14 UF 135/14
Leitparagraph: ZPO i.V.m. §406, ZPO §404a I~ FamFG §30 I, FamFG §6 I

Kommentierung:

I. Begründung

Der betroffene Vater hat sein Ablehnungsgesuch gegen die Sachverständige damit begründet, dass sie eine Begleitung der Explorationsgespräche durch einen von ihm ausgewählten Beistand und/oder eine Tonaufzeichnung der Gespräche verweigert habe.

Das OLG vertritt die Auffassung, dass daraus Bedenken gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen nicht hergeleitet werden können, da es keine eindeutige Rechtslage im Sinne einer gefestigten oder gar höchstrichterlichen Rechtsprechung in dieser Hinsicht gebe. 

Das OLG wies jedoch die Sachverständige gemäß § 404a ZPO an, bei den mit dem Kindesvater durchzuführenden Explorationsgesprächen die Anwesenheit einer von ihm mitgebrachten, sich an den Gesprächen nicht beteiligenden Begleitperson in angemessener Hörweite zuzulassen. Ausschlaggebend dafür ist, dass ein medizinisch oder psychologisch zu begutachtender Beteiligter ansonsten keine Möglichkeit hat, gegenüber abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen effektiven Rechtschutz zu erlangen. Behauptet er nach Vorliegen des Gutachtens, der dort wiedergegebene Hergang einer Untersuchung oder eines Explorationsgespräches sei in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, werde sich der Sachverständige in der Regel darauf berufen, den Hergang nach seiner Überzeugung und Erinnerung richtig aufgezeichnet zu haben. Soweit der Beteiligte die Unrichtigkeit der Wiedergabe nicht ausnahmsweise durch objektive Anhaltspunkte stützen kann, hat er keine Möglichkeit, sie zu belegen und sich damit erfolgreich gegen ein ihm nachteiliges Gutachtenergebnis zu wenden. Demgegenüber erlaubt die Hinzuziehung einer Begleitperson, mit Aussicht auf Erfolg einen Zeugenbeweis anzutreten. Gegenüber diesem wesentlichen Verfahrensrecht muss die Besorgnis einer etwaigen Beeinflussung des Untersuchungsganges durch die bloße Anwesenheit der Begleitperson in einer angemessenen Hörweite hingenommen werden. Falls der Sachverständige nach Untersuchung zu der begründeten Auffassung gelangt, dass eine Beeinflussung erfolgt ist, kann dies in seinem Gutachten dargelegt werden.

Der mitgebrachten Begleitperson ist jedoch eine Beteiligung an dem Untersuchungsgespräch durch Fragen, Vorhalte oder sonstige Äußerungen nicht gestattet. Hierdurch wäre eine erhebliche Störung der Untersuchung und Beeinflussung ihres Ergebnisses zu befürchten. Insoweit sind die Rechte des Begutachteten in diesem Punkt durch die Möglichkeit nachträglicher schriftlicher Stellungnahmen und/oder einer mündlichen Befragung des Sachverständigen im Gerichtstermin hinreichend gewahrt.

Alternativ zu der Anweisung des Gerichts können sich der Sachverständige und der zu explorierende Elternteil darauf einigen, dass eine Tonaufzeichnung der Anwesenheit einer Begleitperson vorzuziehen ist.

II. Fazit

Der vom Verfasser erwirkte Beschluss des OLG Hamm betrifft aktuell diskutierte Fragestellungen der Transparenz und Qualität von Sachverständigengutachten in familiengerichtlichen Verfahren (vgl. auch: ISUV-Report Nr. 143, März 2015/1, S. 5 ff.). 

Das OLG stärkt mit seiner Entscheidung die Verfahrensrechte der Beteiligten, da sie nunmehr durch eine mitgebrachte Begleitperson die Möglichkeit haben, unzutreffenden Darstellungen des Gutachters entgegenzutreten und sich damit erfolgreich gegen ein ihnen nachteiliges Gutachten zu wenden.

Des Weiteren haben Verfahrensbeteiligte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Recht, dass der Sachverständige zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens geladen wird (BGH, Beschluss vom 09.11.2014 – IV ZR 47/14). In diesem Zusammenhang ist es weiterhin sinnvoll, ein Privatgutachten zur Widerlegung des Gerichtsgutachtens vorzulegen, mit dem sich der Gerichtsgutachter und das Gericht konkret auseinandersetzen müssen. Sollte die mündliche Anhörung des Gutachters die Einwendungen nicht ausräumen können, ist das Gericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 12.01.2011 - IV ZR 190/08) verpflichtet, ein weiteres Gutachten oder ein Obergutachten einzuholen (vgl. eingehender: Rixe, Die Haftung des Sachverständigen in familien- und betreuungsgerichtlichen Verfahren, Familie, Partnerschaft, Recht, 2012, 534 ff.).

Ungeachtet der von der Rechtsprechung entwickelten Verfahrensrechte des Betroffenen bestehen jedoch strukturelle Defizite im Hinblick auf Sachverständigengutachten in Familiensachen, da gesetzlich weder Anforderungen an die Qualifikation des Gutachters noch an den Inhalt von Gutachten bestehen.

Vor diesem Hintergrund hat kürzlich eine Untersuchung von Salewski und Stürmer, Institut für Psychologie der Fernuniversität Hagen (www.fernuni-hagen.de/psychologie/qpfg/pdf/Untersuchungsbericht1_FRPGutachten_1.pdf), ergeben, dass die Mehrzahl der untersuchten Sachverständigengutachten mangelhaft war, weil sie wissenschaftlichen und methodischen Anforderungen nicht genügte.

Deshalb ist der Gesetzgeber auch nach der Forderung des ISUV aufgerufen, zeitnah entsprechende Regelungen zur Qualifikation und Qualität von Gutachten zu erlassen (vgl. auch: ISUV-Report Nr. 141, September 2014/3, S. 5~ ISUV-Report Nr. 142, Dezember 2014, S. 16, siehe auch Presseerklärung: www.isuv.de= 151144).