Umgangsrecht - BVerfG - 25.04.2015
1. Ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang kann unter Umständen mehr Schaden verursachen als nutzen, selbst wenn der Widerstand auf einer bewussten oder unbewussten Beeinflussung beruht.
2. Ein Beschwerdesenat (OLG) ist verfassungsrechtlich nicht gehalten, eine Anhörung des Kindes durch den gesamten Senat durchzuführen, wenn das Kind seine ablehnende Haltung gegenüber dem Umgang lediglich erneut bekräftigt.
3. Eine überlange Verfahrensdauer kann regelmäßig nicht allein aus dem Zeitmoment gefolgert werden, vielmehr bedarf es substantiierter Ausführungen dazu, dass und aus welchen Gründen diese Verfahrensdauer als unverhältnismäßig angesehen werden muss.
4. Verfahrensverzögerungen, die ein Beschwerdeführer selbst verursacht hat, sind verfassungsrechtlich nicht zu berücksichtigen.
Beschluss:
Gericht: BVerfG
Datum: 25.04.2015
Aktenzeichen: 1 BvR 3326/14
Quelle: FamRZ 2015, Seite 1169
Kommentierung:
Im zugrunde liegenden Fall haben sich die Eltern kurz nach der Geburt des Kindes getrennt. Das Kind ist 10 Jahre alt, es erging ein Beschluss, wonach der der Umgang des Vaters mit dem Kind auf 2 Jahre ausgesetzt wird. Hiergegen wendet sich der Vater mit der Verfassungsbeschwerde und rügt seine Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (effektiver Rechtsschutz). Dem vorausgegangen war ein vorheriges Umgangsverfahren, welches sehr lange dauerte und zunächst Umgangskontakte angeordnet hat, die jedoch größtenteils nicht stattfanden. In dem hiesigen Verfahren (Abänderungsverfahren) hat der Kindsvater mehrere Ablehnungsanträge wegen Befangenheit gegenüber dem Gericht ausgebracht, die jeweils zur Aufhebung von anberaumten Gerichtsterminen führten und somit zu erheblichen Verzögerungen. Der Vater hat auch die sogenannte Verzögerungsrüge erhoben. Das OLG hat dann für 2 Jahre den Umgang ausgeschlossen, dies nach Anhörung des Kindes, der Mutter, des Verfahrensbeistandes und des Jugendamtes. Der Kindsvater ist zum Anhörungstermin nicht erschienen. Er hat sowohl einer Begutachtung durch beauftragten Sachverständigen widersprochen als auch den OLG-Senat wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, was zurückgewiesen wurde.
Das BVerfG führt mit dem vorliegenden Beschluss seine Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des temporären Ausschluss des Umgangs eines Elternteils mit seinem Kind fort. Im Hinblick auf eine beharrliche und nachvollziehbare Verweigerung jeglicher Umgangskontakte durch das Kind ist das Kindeswohl im Vordergrund, sodass ein temporärer Umgangsausschluss gerechtfertigt ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 15.1.2015 (FamRZ 2015, Seite 469 ff.) wegen ineffektiver Durchsetzung angeordneten Umgangs und wegen Verfahrensverzögerungen dem Vater eine Entschädigung in Höhe von 15000 Euro zugesprochen hat. Wegen der vom Vater selbst verursachten erheblichen Verfahrensverzögerungen hat sowohl das BVerfG als auch der EuGHMR keinen Rechtsverstoß festgestellt. Gleichwohl hat der EuGHMR eine Entschädigung zugesprochen, soweit der Vater seit 2010 bis zur Entscheidung in seinen Rechten verletzt gewesen sei, eine konkrete Begründung ist offensichtlich aus der Entscheidung des EuGHMR jedoch nicht ersichtlich (Fischer, FamRZ 2015, Seite 1169/1170). Ob die jetzige Entscheidung des BVerfG vor dem Europäischen Gerichtshof hält, bleibt abzuwarten, denn es steht zu vermuten, dass der Kindsvater die jetzige Entscheidung einer Überprüfung durch den EuGHMR zuführen wird.