BGH liest einem Anwalt die Leviten

Mit dras­ti­schen Wor­ten hat der Bun­des­ge­richts­hof deut­lich ge­macht: Die Be­grün­dung einer Be­ru­fung in einem Zi­vil­pro­zess muss zwar weder in sich schlüs­sig noch recht­lich halt­bar sein – aber auf den kon­kre­ten Streit­fall zu­ge­schnit­ten. Die Rechts­mit­tel eines An­walts ver­warf er als un­zu­läs­sig, weil des­sen Schrift­satz "grö­ß­ten­teils be­reits sprach­lich un­ver­ständ­lich und in­halt­lich schlicht­weg nicht mehr nach­voll­zieh­bar" sei (BGH, Beschluss vom 30.07.2020 - III ZB 48/19).  

Un­zu­läs­sig­keit wegen sprach­li­cher Män­gel

Der An­walt ver­trat ein Ehe­paar, das seine Dop­pel­haus­hälf­te ver­kauft hatte und dem Notar vor­warf, er habe zu Un­recht einem Gläu­bi­ger Geld aus­ge­zahlt. Das LG Kiel wies die Klage ab, weil es keine Amts­pflicht ver­letzt sah. Die Be­ru­fung zum OLG Schles­wig schei­ter­te dann je­doch be­reits an der Zu­läs­sig­keit. Sie sei nicht in der zu­läs­si­gen Form be­grün­det wor­den, heißt es in dem Be­schluss (BeckRS 2019, 33002). "So­weit die in der Be­ru­fungs­be­grün­dung an­ge­führ­ten Ar­gu­men­te über­haupt sprach­lich und in­halt­lich zu ver­ste­hen sind, ent­hal­ten sie keine An­grif­fe gegen die Ent­schei­dungs­grün­de."

Masse hilft nicht gegen feh­len­de In­hal­te

Ihre ganze Rat­lo­sig­keit ver­deut­li­chen die Ober­rich­ter aus Schles­wig mit dem Satz: "Die üb­ri­gen (...) Ar­gu­men­te sind nicht zu ver­ste­hen, und zwar teils schon aus sprach­li­chen Grün­den, teils ihrem In­halt nach. Weil diese Ar­gu­men­te nicht zu ver­ste­hen sind, lässt sich ihr Sinn auch nicht zu­sam­men­fas­send wie­der­ge­ben. Des­halb soll die wört­li­che Wie­der­ga­be ei­ni­ger Aus­zü­ge ge­nü­gen." Und stel­len klar: "Auch der große Um­fang der Be­ru­fungs­be­grün­dung kann ihren un­zu­rei­chen­den In­halt nicht er­set­zen."

"Zu­sam­men­hang­lo­se Ver­wei­se ins Leere"

Der BGH hat sich dem nun an­ge­schlos­sen (BeckRS 2020, 19830). Aus­führ­lich zi­tiert er zu­nächst di­ver­se Un­zu­läng­lich­kei­ten, die das OLG dem Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten vor­ge­hal­ten hat. So etwa: Der erste Ab­schnitt der Be­ru­fungs­be­grün­dung be­stehe "aus einer knapp ein­ein­halb Sei­ten lan­gen An­ein­an­der­rei­hung von Wör­tern ohne einen ein­zi­gen Punkt und ohne ein – in­halt­lich Sinn stif­ten­des – Prä­di­kat". Wei­te­re Ab­schnit­te "be­stün­den über­wie­gend aus zu­sam­men­hang­lo­sen und teil­wei­se ins Leere ge­hen­den Ver­wei­sen auf Blatt­zah­len, Ak­ten­zei­chen, Ge­richts­ent­schei­dun­gen und Rechts­vor­schrif­ten, um­fäng­li­chen Wie­der­ga­ben von land­ge­richt­li­chen Ur­teils­aus­füh­run­gen und vor­in­stanz­li­chen, ih­rer­seits nur ein­ge­schränkt ver­ständ­li­chen klä­ge­ri­schen Schrift­sät­zen sowie nicht näher kon­kre­ti­sier­ten Be­an­stan­dun­gen". Sie ent­hiel­ten kei­nen er­kenn­ba­ren Ge­dan­ken­gang, der auf seine Rich­tig­keit hin über­prüft wer­den könn­te. Selbst auf rich­ter­li­chen Hin­weis er­folg­te Dar­le­gun­gen be­stä­tig­ten eher den Ein­druck, der Klä­ger sei ent­we­der nicht be­reit oder nicht wil­lens, sich sach­lich mit dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil des LG aus­ein­an­der­zu­set­zen.

"Über­ob­li­ga­ti­ons­mä­ßig akri­bi­sche Lek­tü­re"

Das ei­ge­ne Ver­dikt der Karls­ru­her Rich­ter steht die­sem Ver­riss in nichts nach. Die 24-sei­ti­ge Be­grün­dung ent­hal­te "sprach­lich kaum zu ver­ste­hen­de, mit Tat­sa­chen­vor­trag über­frach­te­te, in­halt­lich wirre Hilfs­an­trä­ge". Grö­ß­ten­teils sei sie be­reits sprach­lich un­ver­ständ­lich und in­halt­lich schlicht­weg nicht mehr nach­voll­zieh­bar. "Zwar mögen dem Schrift­satz bei einer über­ob­li­ga­ti­ons­mä­ßig akri­bi­schen Lek­tü­re und be­son­ders wohl­wol­len­der Be­trach­tung Bruch­stü­cke zu ent­neh­men sein, die, wie die Rechts­be­schwer­de meint, ,durch­aus recht­lich be­den­kens­wer­te As­pek­te‘ auf­wer­fen kön­nen." Je­doch: "Das je­wei­li­ge Vor­brin­gen, so­weit es über­haupt zu ver­ste­hen ist, lässt je­doch nicht er­ken­nen, aus wel­chen Um­stän­den sich die be­haup­te­ten Rechts­ver­let­zun­gen durch das Land­ge­richt er­ge­ben sol­len."  Es ge­nüg­te nicht den An­for­de­run­gen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, "dass sich aus dem ins­ge­samt sprach­lich und in­halt­lich nicht ver­ständ­li­chen, um­fang­rei­chen an­walt­li­chen Schrift­satz mit Mühe ein­zel­ne Ele­men­te her­aus­le­sen las­sen, die als recht­lich be­den­kens­wert be­trach­tet wer­den könn­ten".

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