Es tut sich was in Sachen Wechselmodell: Positionspapier der CSU zum „Wechselmodell“ bzw. zur „Doppelresidenz“ bei Trennungs- und Scheidungskindern
„Zum Wohle der Kinder ist ein neues Denken in der Frage nötig, wo und wie Kinder nach einer Trennung/Scheidung leben werden: Kein starres Festhalten am Residenz- oder Wechselmodell, sondern hin zur Frage, was das jeweilige Kind nach einer Trennung/Scheidung der Eltern für ein gesundes Aufwachsen braucht.“
Grundannahme:
„Die elterliche Fürsorge sowie die Stabilität und Sicherheit des Zuhauses ist für die Entwicklung eines Kindes wichtig. Auch nach einer Trennung oder Scheidung ist es deshalb wesentlich, dass die Eltern - also Vater und Mutter - auch weiterhin gemeinsam für die Kinder da sind und diese gemeinsam erziehen. Für die Kinder ist dabei ein respektvoller Umgang mit Mutter und Vater sowie der Eltern untereinander von zentraler Bedeutung.“
Hintergrund
„In Deutschland wird mittlerweile jede dritte Ehe wieder geschieden. ... Angesichts dieser Entwicklung wird es umso wichtiger, die rechtliche Ausgestaltung auf die Gegebenheiten anzupassen, insbesondere da in dieser meist sehr emotional belastenden Situation weitreichende Entscheidungen bezüglich der weiteren Betreuung der Kinder getroffen werden müssen.
Sind einvernehmliche Absprachen der getrennt lebenden Eltern nicht möglich, ist häufig das Familiengericht eine letzte Anlaufstelle. ... Da die einzelnen Lebensentwürfe und damit verbunden auch die Familienmodelle immer unterschiedlicher werden, wird eine standardisierte Rechtsprechung diesen Gegebenheiten nicht mehr gerecht. Für die deutsche Familienpolitik besteht hier dringendHandlungsbedarf.“
Das Familienrecht in Deutschland
„In Deutschland wird nach einer Scheidung meist das „Residenzmodell“ gewählt, ....In immer mehr Familien wird jedoch auffreiwilligerBasisdas„Wechselmodell“geteilterElternverantwortung,wiedasPrinzipder Doppelresidenz für Kinder auch genannt wird, angewandt. ... Um dem Kind in diesem Modell die nötige Kontinuität zu sichern, sind enge Abstimmungen zwischen den beiden getrenntlebenden Eltern nötig. Da eine Trennung in Folge von Problemen innerhalb einer Beziehung erfolgt, ist in der Lebenspraxis die erforderliche Zusammenarbeit der Eltern meist schwierig und stellt alle Beteiligten vor großeHerausforderungen.
Keine Standardisierung von Einzelfällen
... „Zentrale Fragestellungen sind dabei: Lässt die Wohnsituation ein Wechselmodell zu, wie ist die Persönlichkeit bzw. die Psyche jedes einzelnen Kindes, in welchem Alter ist das Kind, wie geht es mit der Situation um und wie sind die individuellen Lebensumstände der Eltern? Zudem brauchen Kinder Kontinuität, um Stabilität zu entwickeln.
Da die einzelnen Rahmenbedingungen in jeder Familie unterschiedlich sind, kann ein allgemeiner Standard - sei es nun das Residenzmodell oder auch das Wechselmodell - nicht pauschal angewendet werden.“
Lebensrealität berücksichtigen – flexible Lösungen
„Schon während einer noch intakten Ehe besteht aufgrund verschiedenster Faktoren (z. B. unterschiedliche Flexibilität im Beruf) häufig ein Ungleichgewicht in den Kontaktzeiten mit dem Kind. Aus diesem Grund entspricht ein paritätisches Wechselmodell, d. h. eine zeitlich exakt gleichwertige Betreuung (50/50) der Kinder durch Vater und Mutter nicht der Lebenswirklichkeit und ist auch selten zum Wohle der Kinder umsetzbar. Es müssen flexible Lösungen gefunden werden, wobei der Wunsch nach Gleichberechtigung der Eltern nicht über das Wohl der Kinder gestellt werden darf.“
Spezifische Aus- bzw. Fortbildungen für Familienrichter und Anwälte
„Da aufgrund der sich wandelnden Gesellschaft die Herausforderungen für die Familienrichter immer weiter zunehmen, sollen insbesondere die Familienrichter unterstützt werden, die individuellen Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. ... Eventuell sind deshalb sogar innerhalb einer Familie verschiedene Vereinbarungen für jedes Kind angezeigt.
Vor diesem Hintergrund sprechen wir uns dafür aus, dass künftig eine themenspezifische Fortbildung verpflichtend ist. Des Weiteren sollen entsprechende Inhalte auch im Rahmen des Studiums thematisiert werden.“
Freiraum für individuelle Entscheidungen ermöglichen
„Zudem ist es gleichzeitig nötig, dass das Gericht seinen Entscheidungsspielraum nutzt und sich dabei an den Empfehlungen der Fachwelt orientiert. Auch wenn dieser Gestaltungsspielraum den Anschein größerer Willkür erwecken mag, sollen hierdurch individuelle Entscheidungen ermöglicht werden. Da keine Familie der anderen gleicht, können auch die einzelnen Fälle vor Gericht nicht vergleichbar gemacht werden ....“
Konsequente Umsetzung des Verfahrensablaufs (wie z.B. Cochemer Modell)
Nach der Trennung der Eltern ist es wichtig, dass frühzeitig eine Lösung erarbeitet wird und beide Elternteile gleichberechtigt in das Verfahren eingebunden werden. Das Kind muss frei und nicht durch Loyalitätskonflikte seinen Willen äußern können. Aus diesem Grund fordern wir weiter:
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- Nach Antragseingang ist zeitnah eine Verhandlung anzusetzen, um so eine Entfremdung des Kindes von einem Elternteil zuvermeiden.
- Sollte eine Einigung der Eltern nicht abzusehen sein, sollen beide Elternteile zur aktiven Teilnahme an einer Beratung verpflichtet werden können. Die Eltern sollen dadurch wieder zu eigenverantwortlichem Handeln geführt und dabei unterstützt werden, die Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und von den eigenen zu trennen.
- Bei Gericht sollen die Eltern nicht als gegensätzliche Parteien betrachtet werden, sondern nach wie vor als Familie. Damit einhergehend soll auch während des Verfahrens gemeinsam eine Lösung erarbeitet werden~ eine Gerichtsentscheidung ist nur als letzte Möglichkeit in Betracht zuziehen.
- Alle Beteiligten, also Richter, Rechtsanwälte, Beratungskräfte, Sachverständige, Therapeuten und Verfahrensbeistände sollen an der zentralen Fragestellung arbeiten, was jeder einzelne jetzt und in der Zukunft dazu beitragen kann, um die Situation für die Familie und insbesondere auch für die Kinder zuverbessern.
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An oberster Stelle ist immer das Wohlergehen des Kindes zu sehen. ... In dieser Situation braucht es deshalb einen Richter, der sich nicht auf den Machtkampf zwischen Mutter und Vater einlässt, sondern sich auf die Bedürfnisse des Kindes fokussiert und über die vermeintlichen Rechte der Mutter und des Vaters stellt.