Oft im Zeugenstand: Polizisten – Was sind ihre Aussagen wert?

Zu Unrecht mit einem Knöllchen bedacht, rücksichtslos behandelt, ohne Augenmaß behandelt, einfach unangemessenes Verhalten, das nicht zum Slogan passt: „Die Polizei dein Freund und Helfer“. Was kann man dagegen tun? Kann man sich wehren oder sollte man es besser gleich lassen?

Zur Klärung dieser Frage gilt wie so oft: Es kommt darauf an. Nämlich darauf, wann ein Zeuge als "gut" zu bezeichnen ist, darauf, welche zeugenspezifischen Eigenschaften man aus dem Beruf "Polizist" ableiten kann, und darauf, wie man solche Eigenschaften unter dem Gesichtspunkt "gut" bewertet.

Was ist Wahrheit?

Dieser Frage geht Thomas Fischer auf LTO nach: „Zeugen sind natürliche Personen, die in justizförmigen Verfahren als Beweismittel verwendet werden, um Tatsachen festzustellen. Der Zeuge im Strafverfahren (auf das wir uns hier beschränken) hat, wenn er geladen wird, die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, Angaben zur Person zu machen, zur Sache auszusagen, falls nicht ein gesetzlicher Grund eine Verweigerung der Aussage oder Auskunft erlaubt (§§ 52 bis 55 StPO), und die Wahrheit zu sagen (§ 48 Abs. 1 StPO).  

Außerdem muss er, falls es angeordnet wird, die Wahrheit seiner Aussage beschwören oder eidesgleich versichern (§§ 59 ff. StPO). Wer als Zeuge vor Gericht vorsätzlich die Unwahrheit sagt (= lügt), wird bestraft (§ 153 StGB). Wer eine Lüge beschwört, wird strenger bestraft (§ 154 StGB), und wer fahrlässig die Unwahrheit sagt und beschwört, wird ebenfalls bestraft ( § 161 StGB). Zeugenaussagen werden also vom Gesetz wichtig genommen; ihre Verlässlichkeit wird sogar mit hohen Strafdrohungen (Meineid: ein bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe!) abgesichert.  

Es geht bei Zeugenaussagen um die Wahrheit von Tatsachen (siehe § 57 StPO: Zeugen werden vor ihrer Aussage "zur Wahrheit ermahnt"). Bei den Tatsachen unterscheidet man "äußere" ("Das Auto ist blau") und innere ("Ich dachte, das Auto sei blau"); die (inneren) Tatsachen unterscheidet man von Bewertungen ("Das Auto ist schön"), was nicht immer ganz einfach ist ("Ich dachte, das Auto sei schön" ist eine Tatsache).  

Die Wahrheit ist das Ziel jeder Beweiserhebung. Allerdings ist nicht stets und von vornherein klar, was unter "Wahrheit" zu verstehen ist. Je näher man dem Begriff kommt, desto mehr Fragen und Möglichkeiten tun sich auf. In der großen Mehrzahl der Fälle ist gemeint: Die Übereinstimmung einer sprachlichen Beschreibung mit einer (gegenwärtigen oder vergangenen) Tatsache (Faktizität). Man muss, um diesem forensischen Begriff zu vertrauen, nicht über "absolute", "natürliche", "relative" Wahrheiten und Höhlengleichnisse philosophieren. Wichtiger ist zu wissen, wie subjektive (innerpersonale) Wahrheit und Gewissheit entsteht, welchen Einflüssen der Entstehung und Veränderung sie ausgesetzt ist und wie man in einer förmlichen Befragung einer Person dieser inneren Wahrheit so nahekommt, dass sich verlässliche, rationale Rückschlüsse auf eine äußere Tatsachen-Wahrheit schließen lassen, die als "akzeptable" Grundlage für ein Urteil dienen kann.“  

Polizisten vor Gericht 

Professor Thomas Fischer stellt in dem polizeikritischen Artikel fest: „Das größte Risiko für eine unbeeinflusste Wahrheitsermittlung besteht, wenn Polizeibeamte als Zeugen in Verfahren aussagen, in denen sie selbst oder Kollegen als aktive Teile des Tat- Geschehens (z.B. Widerstandshandlungen) oder von umstrittenen Abläufen (z.B. Vernehmungen bei der Polizei) beteiligt sind. Hier bestehen gegenläufige Interessenlagen: Zum einen das Bewusstsein, als Polizeibeamter zu pflichtgemäßem und wahrheitsgetreuem Aussagen verpflichtet zu sein, zum anderen ein hohes Maß an professioneller Verbundenheit bis hin zum "Korpsgeist", verbunden mit der (berechtigten) Furcht, im Kollegenkreis als "unkollegial" dazustehen.“

Im Klartest, es muss schon viel zusammenkommen, bis ein Kollege den anderen „anschwärzt“. Im Klartext: Wer ein Knöllchen bekommt – und sei dies auch noch so unangemessen und ungerecht, Klappe halten und zahlen, keine Chance mit Einspruch, das macht alles nur noch teurer. Die Konstellation ist eindeutig: Ihre Aussage steht der von zwei Polizisten gegenüber. Aber auch wenn Aussage gegen Aussage steht, dann wird dem Polizisten geglaubt, wie die Fallschilderung eines Mitglieds belegt. Den Hintergrund dafür spricht Prof. Thomas Fischer im Folgenden an.

„Es ist abschließend noch ein weiteres Risiko anzusprechen: Es gibt bei Gerichten (auch Staatsanwaltschaften) eine erhebliche Scheu, Polizeibeamte als Zeugen "hart anzufassen", ihre Glaubhaftigkeit in Frage zu stellen, die üblichen, höchstrichterlich abgesicherten  Methoden der Glaubwürdigkeitsüberprüfung tatsächlich gleichermaßen anzuwenden wie bei "Laien"-Zeugen. Das muss nicht bis zum Credo "Polizisten lügen nicht" gehen. Aber auch aufgrund der immer wieder öffentlich gemachten Spannungen ("lasche Justiz") und einer verbreiteten Stimmung, wonach die Polizei allgemein mehr Unterstützung im "Kampf" gegen Verbrechen verdiene, können Verzerrungen und Hemmungen entstehen, die nicht sachgerecht sind.“ 

Gut zu wissen und zu berücksichtigen:

  1. Polizeibeamte sind aufgrund Ausbildung und Erfahrung mit den Abläufen von Verfahren und Vernehmungen gut vertraut. Das fördert die Konzentration aufs Wesentliche, kann bei problematischen Vernehmungsgegenständen aber auch ein Aufklärungsrisiko beinhalten. 
  2. Polizeibeamte sind insbesondere in Massenverfahren und bei Aussagen über äußere, insbesondere technische Abläufe meist nicht inhaltlich involviert und "interessiert", Das fördert die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage.
  3. Bei Zeugenaussagen von Polizeibeamten, die sie selbst, insbesondere ihre Rolle als Tatopfer oder Vernehmungsbeamte betreffen, bestehen aufgrund der professionellen Vorkenntnisse der Zeugen Risiken. Dasselbe gilt für Vernehmungen zu möglichem Fehlverhalten von Kollegen aufgrund dienstlicher und persönlicher Verbundenheit.
  4. Polizeibeamte sind ebenso wenig "Gegner" wie "Verbündete" des Gerichts. Für die meisten Polizeibeamte ist das Auftreten als Zeuge in Hauptverhandlungen eine zusätzliche, zeitlich erheblich belastende Angelegenheit. Sie sollten bei Vernehmungen weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Die Furcht mancher Richter, bei der Polizei "schlecht angesehen" zu sein, wenn nicht jede Aussage "zur vollsten Überzeugung" geglaubt wird, weil sie "ruhig und sachlich" erfolgt sei, ist nicht sachgerecht.   

Quelle: Prof. Thomas Fischer, LTO