Wie lange "darf" man betreuen, wann "muss" man voll arbeiten?

Sprecher des Bundesforums der ISUV-Kontaktanwälte, Rechtsanwalt Ralph Gurk ordnet die BGH-Rechtsprechung ein:

"Mit seiner Entscheidung hat es der BGH leider versäumt, den im Familienrecht tätigen Richtern und Anwälten klare Vorgaben für zukünftige Entscheidungen zu geben. Zwar überrascht es wenig, wenn der Senat es einem Kinder betreuenden Elternteil in Zukunft freistellen will, eine bereits aufgenommene Erwerbstätigkeit nach der Geburt des Kindes wieder aufzugeben, sofern das Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

Diese Rechtsprechung galt in der Vergangenheit bereits unter dem "Altersphasen-Modell". Die heutige Entscheidung lässt aber für die Zeit nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes zu viel Raum für Unwägbarkeiten und Spekulationen. So findet sich in den Entscheidungsgründen eine auffällig intensive Auseinandersetzung mit dem Themenbereich von Einkünften aus sog. "überobligatorischen Tätigkeiten", einem Aspekt also, der in der Vergangenheit mehr und mehr in Vergessenheit geraten war bzw. vernachlässigt wurde.

Außerdem heißt es in der Entscheidung weiter, dass der betreuende Elternteil sich in Zukunft zwar nicht (mehr) auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes berufen kann, wenn die Betreuung des Kindes auf andere Weise gesichert ist oder gesichert werden kann.
Im Umkehrschluss soll dieser Umstand aber nicht dazu führen, dass der Unterhaltsanspruch gänzlich entfällt und den betreuenden Elternteil die Obliegenheit trifft, seinen Lebensunterhalt durch eigene (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit zu decken.

Vielmehr sollen rechtlich nicht greifbare Gesichtspunkte wie beispielsweise "in der Ehe gewachsenes Vertrauen" über die Frage, inwieweit trotzdem Unterhaltsansprüche fortbestehen (mit-) entscheidend sein. Eine klare "Marschrichtung" bleibt der BGH also weiter schuldig."

Der ISUV-Vorsitzende Josef Linsler glaubt:

"Tendenziell ist der BGH seiner Linie treu geblieben auf Einzelfallentscheidungen abzustellen. Tendenziell wird es noch vieler Urteile bedürfen, bis das neue Unterhaltsrecht ein geschlossen transparentes Bild ergibt, so dass das neue Recht für Betroffene vorhersehbar wird. Es steckt jedenfalls genügend Streitpotential im neuen Unterhaltstrecht, das die Bundesrichter nicht entschärft, sondern fast noch verschärft haben. Es ist noch ein weiter Weg bis dann hoffentlich feststeht, was "normal" ist."

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