ISUV-Stellungnahme: Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Kindergrundsicherung

Der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung hat sich die Bekämpfung der Kinderarmut und eine Verbesserung kindlicher Entwicklungschancen auf die Fahne geschrieben – zwei Ziele, gegen die es kaum Einwände geben dürfte. Es bleibt aber die Frage, was sich davon mit dem vorliegenden Gesetz realisieren lässt.

Zusammenhang Geld und soziales Umfeld

Der vorgelegte Entwurf ist jedenfalls noch weit von dem entfernt, was eine umfassende Kindergrundsicherung nach den von verschiedenen Seiten vorgestellten Modellen leisten sollte. Hinzukommt, dass die finanzielle Ausstattung von Familien nur die eine Seite der Medaille ist; nicht weniger wichtig ist die andere Seite – das jeweilige Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen – d.h. weite Feld der individuellen Förderung in Einrichtungen zur Betreuung, den Schulen und durch Freizeitangebote. Bei getrenntlebenden Eltern gehört dazu auch die Aufrechterhaltung der Kontakte zu dem anderen Elternteil.

Leistungsansprüche

Seit Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist es das Bestreben, Kinder nach Möglichkeit vom Bezug der Leistungen nach dem SGB II auszunehmen. Diese Aufgabe kommt dem zeitgleich eingeführten Kinderzuschlag (§ 6a BKGG) zu, der nach einer Reihe grundlegender Reformen sowie einer Ergänzung beim Wohngeld diesem Ziel sehr nahegekommen ist.

Ein auf 250 Euro erhöhtes Kindergeld, 230 Euro Kinderzuschlag, 20 Euro Sofortzuschlag summieren sich auf 500 Euro und zusammen mit dem „Kinderwohngeld“ (§ 3 Abs. 4, § 7 Abs. 1 S. 3 WoGG) ist der existenznotwendige Kindesbedarf oft nicht nur zu erreichen, sondern kann auch überschritten werden – mit der Folge, dass der zu dessen Deckung nicht erforderliche Kindergeldanteil („Kindergeldüberhang“) derzeit noch dem elterlichen Einkommen zugerechnet wird und auch die anderen Leistungsansprüche entsprechend vermindert. Gesondert kommen noch die Leistungen für Bildung und Teilhabe hinzu.

Dieses Maßnahmenbündel geht in der Kindergrundsicherung auf, die sich aus den folgenden Positionen zusammensetzt:

  1. dem Kindergarantiebetrag
  2. dem Kinderzusatzbetrag,
  3. einer Pauschale von 15 Euro für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben
  4. der pauschalen Ausstattung für den persönlichem Schulbedarf sowie
  5. weiterer Leistungen für Bildung und Teilhabe.

I. „Leistung aus einer Hand?“

Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass dieses Leistungspaket nicht genügt, um den existenznotwendigen Kindesbedarf in allen Fällen abzudecken. Nicht angeführte Mehrbedarfe gehören nicht zur Kindergrundsicherung, sondern begründen bei Hilfebedürftigkeit einen ergänzenden Anspruch auf Bürgergeld.

Dazu gehört beispielsweise eine kostenaufwändige Ernährung, ein zusätzlicher Bedarf an Lernmitteln oder durch den Umgang mit dem anderen Elternteil veranlasste Fahrtkosten. Auch Veränderungen beim anzurechnenden Einkommen während des Bewilligungszeitraums sind nicht innerhalb des Systems, sondern durch einen Anspruch auf Bürgergeld aufzufangen.

Die angestrebte „Leistung aus einer Hand“ gerät so sehr schnell an ihre Grenzen. Abgesehen vom bürokratischen Aufwand zeigen sich hier Strukturbrüche, weil für die Bewilligung der existenznotwendigen Bedarfe im SGB II und bei der Kindergrundsicherung unterschiedliche Vorschriften zur Berücksichtigung des eigenen sowie des elterlichen Einkommens gelten. Im Ergebnis ist der Aufwand für alle Mehrbedarfe aus dem Gesamteinkommen des Haushalts aufzubringen. Soweit vorhanden, ergibt sich der finanzielle Spielraum vorrangig aus dem anrechnungsfreien Einkommen (§§ 12, 13 Entwurf).

Leistungen im Detail

1. Kindergarantiebetrag und Kinderzusatzbetrag sollen in der Summe den allgemeinen Lebensbedarf abdecken. Die dafür zu erbringenden Leistungen sind durch einen Höchstbetrag begrenzt (§ 11 Entwurf). Dieser setzt sich zusammen aus dem altersabhängig gestuften Regelbedarf des Kindes zuzüglich einer Pauschale für Wohnen und Heizung in der durch den jeweiligen Existenzminimumbericht vorgegebenen Höhe. Abzüglich des dem Kind als Einkommen zuzurechnende Garantiebetrags ergibt sich die Höchstgrenze für den Zusatzbetrag.

Bezogen auf das Jahr 2024 ergäben sich die folgenden Beträge:

Die Leistungen für Bildung und Teilhabe sowie etwaige Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung sollen als „weitere Leistungen“ (§§ 20 ff Entwurf) erbracht werden. Hierdurch erhöhen sich die laufenden Leistungen pauschal um 15 Euro/Monat und weitere, individuell zu beziffernde, Positionen, während die Leistungen für den persönlichen Schulbedarf im August und Februar jeweils als Einmalzahlungen zu erbringen sind.

Für 2025 geht das Familienministerium von einer Fortschreibung der Regelbedarfe um ca. 3% für den allgemeinen Lebensunterhalt sowie ca. 10% bei den Wohnkosten aus und schätzt die Höchstbeträge auf 530 bis 636 Euro.

Realistischer Kindesbedarf?

Darüber, ob die Regelbedarfe den Kindesbedarf realistisch abbilden, gehen die Meinungen weit auseinander. Nach dem Gesetzesentwurf werden die meisten Beträge aus dem Regelbedarfsermittlungsgesetz übernommen; bei zwei Positionen soll eine Neubewertung erfolgen, deren Ergebnis noch aussteht. Wesentliche Änderungen bei der Bemessung sind jedoch nicht zu erwarten. Auffällig ist in jedem Fall, dass der Regelbedarf volljähriger Kinder (Regelbedarfsstufe 3) seit 2021 geringer ausfällt als der entsprechende Bedarf der Stufe 4. Dies beruht auf der bedenklichen Methode, den Bedarf weiterer Haushaltsangehöriger durch eine Kürzung des Regelbedarfs der Stufe 1 zu ermitteln. Es ist jedenfalls unerfindlich, weshalb der allgemeine Lebensbedarf eines 18-jährigen Schülers um mehr als 4% geringer ausfallen soll, als der seiner 17-jährigen Mitschüler.
Positiv anzumerken ist, dass bei zur Bemessung des Höchstbetrags die anteilig beim Kind zu berücksichtigenden Wohnkosten über alle Altersstufen als einheitliche Pauschale mit dem niedrigen Wert aus dem Existenzminimumbericht angesetzt werden. Die Differenz zu den tatsächlichen Wohnkosten ist dem Wohnbedarf der übrigen Haushaltsmitgliedern zuzurechnen. Die Bemessung mit einem Festbetrag ist methodisch sachgerecht, weil die regional stark abweichenden Wohnkosten, die zudem noch durch die elterlichen Präferenzen beeinflusst werden, ansonsten jeder Pauschalierung entzogen wären.

Minimalleistung für alle Kinder

2. Im „Kindergarantiebetrag“ geht das bisherige Kindergeld auf – ohne das sich damit sachliche Unterschiede verbinden. Die entsprechenden Regelungen im Einkommensteuerrecht und Bundeskindergeldgesetz werden lediglich sprachlich angepasst. Die Chance, die vielfach kritisierte Verknüpfung zwischen Einkommensteuerrecht und dem Kindergeld als Sozialzwecknorm außerhalb des Steuerrechts aufzulösen, blieb ungenutzt. Unüberwindbare rechtliche Schwierigkeiten dürfte es dabei jedoch nicht geben. Der Begriff „Garantiebetrag“ wirkt in diesem Kontext übertrieben. Es handelt sich nicht um eine besondere Gewährleistung, sondern um die einkommensunabhängige und für alle Kinder gleiche Minimalleistung. Wenn zur Abgrenzung der Begriff „Kindergeld“ vermieden werden soll, wäre seine Funktion als „Sockelbetrag“ oder „Grundbetrag“ treffender beschrieben.

Einkommensabhängiger Betrag

3. Der Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag ist einkommensabhängig und folgt den bisherigen Regeln in § 6a BKGG. Der Höchstbetrag ergibt sich aus der Summe des altersabhängig gestuften Regelbedarfs eines Kindes zuzüglich eines pauschalierten Bedarfs für Wohnen und Heizung, vermindert um den Kindergarantiebetrag. Es ist allerdings mehr als nur ein Schönheitsfehler, dass die Altersstufen des RBEG unverändert beibehalten und in die Kindergrundsicherung übernommen werden. Dies führt zu einer unterschiedlichen Bemessung des Mindestbedarfs zwischen Sozial- und Privatrecht, die sich über das Unterhaltsrecht und beim Unterhaltsvorschuss unmittelbar auch auf die Leistungen der Grundsicherung auswirken. Es geht schlicht um den existenznotwendigen Bedarf. Dabei ist es weder für Fachleute noch für die unmittelbar Betroffenen nachvollziehbar, weshalb in den beiden Systemen für das Alter zwischen 12 und 14 Jahren unterschiedlich hohe Bedarfe zugrunde gelegt werden. Sachlich begründen lässt sich dies nicht; dass sich dieser Systemfehler über Jahrzehnte behaupten konnte, ist kein Grund, daran weiterhin festzuhalten

4. Garantie- und Zusatzbetrag umfassen nur einen Teil des existenznotwendigen Bedarfs. Die Leistungen werden ergänzt durch die in einem besonderen Abschnitt geregelten Leistungen für Bildung und Teilhabe. Diese Vorschriften entsprechen den Bestimmungen im SGB II; auch an den erweiterten Bezugsvoraussetzungen hat sich nichts geändert. Nach der Grundidee einer Kindergrundsicherung wäre es indes sachgerecht, alle pauschalierbaren Leistungen in den allgemeinen Lebensbedarf zu integrieren. Zudem erschließt sich nicht, weshalb zusätzliche Bedarfe nicht durch eine entsprechende Erhöhung des Zusatzbetrages bewilligt werden können. Da es sich bei diesem um eine einkommensabhängige Leistung handelt, werden die dafür erforderlichen Grunddaten ohnehin zur Verfügung stehen.

II. Kritik: „aufgespaltene Bezugsberechtigung“

Die Anspruchsberechtigung fallen beim Kindergarantiebetrag und beim Kinderzusatzbetrag auseinander. Der Kindergarantiebetrag gehört wie das bisherige Kindergeld als Sozialleistung zum Einkommen der jeweils bezugsberechtigten Person und wird erst über eine zusätzliche Norm dem Kind als Einkommen zugerechnet. Hingegen ist das Kind beim Kinderzusatzbetrag, bei etwaigen Mehrbedarfen und den Leistungen für Bildung und Teilhabe selbst Inhaber des Anspruchs. Eine solch aufgespaltene Bezugsberechtigung passt nicht zum Wesen einer Kindergrundsicherung, deren Ziel es ist, alle zur Deckung des kindlichen Lebensbedarfs erforderlichen Leistungen abzudecken. Dass der Garantiebetrag über § 31 EStG mit der steuerlichen Entlastung durch den Kinderfreibetrag verknüpft ist, erfordert diese Aufteilung nicht, wie bereits die heute bestehenden Anrechnungsvorschriften zeigen. In der Praxis kann sich hingegen eine einheitliche Bezugsberechtigung als vorteilhaft erweisen, wenn bei getrenntlebenden Eltern die Hauptbezugsperson wechselt – eine Veränderung, die gar nicht so selten ist.

Immerhin ist es ein Fortschritt, dass der Garantiebetrag nach der jetzt verabschiedeten Entwurfsfassung ungeschmälert dem Kind als Einkommen zuzurechnen ist. Die sich aus § 11 Abs. 1. SGB II ergebende Einschränkung soll entfallen, so dass es künftig keine Verwerfungen mehr aus der Zurechnung eines „Kindergeldüberhangs“ zum Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils mehr geben kann. Allerdings fehlt im Gesetzesentwurf noch die Folgeänderung in § 33 Abs. 1. S. 2 SGB II-(Art. 7 Nr. 10 Entwurf).

III. „Sprachliche Ausgrenzung des nicht mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils“ –„Babylonische Sprachverwirrung“

Mit der Familiengemeinschaft führt der Gesetzesentwurf ohne Not eine neue Kategorie ein. Nach der gesetzlichen Definition handelt es sich hierbei um die einer Bedarfs- und Einstandsgemeinschaft zugeordneten Personen – also nicht notwendig um die Mitglieder einer Familie. Der Begriff der „Familie“ lässt sich allerdings nicht beliebig ausweiten; er wird in einer unübersehbaren Vielzahl von Normen verwendet – und zwar durchweg im Sinn der durch Verwandtschaft und/oder Ehe verbundenen Angehörigen. Bereits bei den Stiefeltern wird zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren differenziert. Nach allgemeinem Sprachgebrauch werden Partner und auch Stiefelternteile nicht der engeren Familie – insbesondere einer Eltern-Kind-Beziehung – zugeordnet.

Ist eine Einstands- oder Haushaltsgemeinschaft gemeint, sollte sie auch als eine solche bezeichnet werden (vgl. Änderungsfassung des § 29 SGB XII). Dafür gibt es gewichtige Gründe. Nicht alle Beziehungen, die getrenntlebende Eltern eingehen, erweisen sich als so stabil, dass diese als Familienverband in Erscheinung treten. Nicht umsonst enthält § 7 Abs. 3 SGB II sehr differenzierte Beschreiung der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft und knüpft die Vermutung einer verfestigten Lebensgemeinschaft u.a. an eine einjährige „Bewährungszeit“. Kinder, die den neuen Partner eines Elternteils nicht akzeptieren, werden diese Gemeinschaft auch nicht als vollwertige Familie akzeptieren. Wichtigster Gesichtspunkt ist jedoch die sprachliche Ausgrenzung des nicht mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils. Diesem signalisiert die Formulierung des Entwurfs, dass sich nunmehr eine neue Gemeinschaft als Familie etabliert habe, an der er keinen Anteil hat. Dies kontrastiert zu der auch nach einer Trennung fortbestehenden elterlichen Verantwortung sowie der gesellschaftlichen Entwicklung, die der Fortsetzung einer engen Eltern-Kind-Beziehung auch nach einer Trennung eine immer größere Bedeutung beimisst.

Noch problematischer ist es, dass mit Ausnahme der Kinder auch noch alle Mitglieder der Familiengemeinschaft als „Eltern“ bezeichnet werden (§ 13 Abs. 1 S. 2 Entwurf). Dieser Begriff ist gesetzlich eindeutig besetzt und kennzeichnet den rechtlichen Status der Eltern-Kind-Beziehung (§§ 1591ff; 1754 BGB). Die Folge ist, dass zum einen nicht verwandte Mitglieder einer Bedarfs- oder Einstandsgemeinschaft mit einem sachlich unzutreffenden Begriff belegt werden und derselbe Begriff im Gesetz mit einer unterschiedlichen Bedeutung verwendet wird (als Statusbeziehung in §§ 3 Abs. 2, 5 Abs. 1, 9, 20 Entwurf). Dies grenzt an eine babylonische Sprachverwirrung. Zum anderen führt dies ebenso wie der Begriff der Familiengemeinschaft zu einer sprachlichen Ausgrenzung des nicht mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils.

IV. Einseitige Belastung von Unterhaltspflichtigen

Der Kinderzusatzbetrag wird einkommensabhängig gewährt. Er vermindert sich um das einzusetzende Einkommen und Vermögen des Kindes (§ 12-Entwurf) sowie das seiner Eltern einschließlich der weiteren mit diesen in einer Einsatzgemeinschaft lebenden Haushaltsangehörigen (s. dazu unter III). Auch insoweit übernimmt die Kindergrundsicherung die Regeln aus dem Kinderzuschlag. Abweichend von der sonst üblichen Systematik bei den Hilfen zum Lebensunterhalt ist das Einkommen nicht in voller Höhe, sondern nur zu einem Bruchteil bedürftigkeitsmindernd anzurechnen.

Der Kinderzuschlag wurde 2005 zusammen mit dem SGB II eingeführt, um nach Möglichkeit den Bezug von Sozialgeld in den Fällen zu vermeiden, in denen Eltern aus dem Einkommen zwar den eigenen Bedarf decken können und allein aufgrund der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder hilfebedürftig würden. Im Laufe der Zeit wurde die Vorschrift wiederholt geändert bis sie durch das „Starke-Familiengesetz“ ab 2019 ihre jetzige Struktur erhielt. Während die Anrechnung des Elterneinkommens wiederholt eingeschränkt wurde, um Fehlanreizen durch den Wegfall der Leistung bei nur geringen Einkommensverbesserungen („Fallbeileffekt“) entgegenzuwirken, soll die Teilanrechnung des Kindeseinkommens einer Verringerung des Haushaltseinkommens bei gleichzeitigem Bezug von Wohngeld vermeiden. Diese Erwägung liegt auch den Anrechnungsvorschriften beim Kindeseinkommen zugrunde.

Es bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, eine soziale Unterstützung so zu gestalten, dass sie zu einer deutlichen Verbesserung des Haushaltseinkommens führt. Geschieht dies durch die teilweise Nichtanrechnung von Einkommen bewirkt dies fraglos eine finanzielle Verbesserung, die zudem geeignet ist, die vielfach beklagten Mängel bei der Bemessung der Regelbedarfe abzufedern. Jedoch sollten bei solch unspezifisch wirkenden Regeln auch die weiteren Folgen bedacht werden. Es ist zweifelhaft, ob dies mit dem vorgelegten Entwurf gelungen ist.

So wird die volle Anrechnung von BAföG und AFBG damit begründet, dass es sich um Leistungen zur Sicherung des Unterhaltsbedarfs handelt. Dies gilt jedoch in gleicher Weise für alle Unterhaltszahlungen, die ein von der Familie getrenntlebender Elternteil an das Kind erbringt und die im Idealfall eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln überflüssig machen sollen. Warum im Zusammenhang mit der Kindergrundsicherung nur eine Teilanrechnung sachgerecht sein soll, erschließt sich aus der Begründung nicht. Unerwünschte Auswirkungen auf andere Sozialleistungen sollten in den entsprechenden Gesetzen geregelt werden und sind kein überzeugender Grund, die einem bestimmten Zweck dienende Leistung Dritter von der Berücksichtigung als Einkommens auszunehmen.

Für einen zum Kindesunterhalt verpflichteten Elternteil ist es nicht mehr verständlich, dass er bis zu den Grenzen seines eigenen notwendigen Bedarfs – nach derzeitiger Rechtspraxis möglicherweise auch noch aufgrund eines fiktiven Nebenverdienstes – auf die Leistung von Kindesunterhalt in Anspruch genommen werden kann, dann aber erfahren muss, dass seine Unterhaltszahlung und das Einkommen des anderen Elternteils doch nur teilweise beim notwendigen Kindesbedarf berücksichtigt werden, und ihm wiederum jegliche Entlastung versagt wird. Diese Folgen sind unmittelbar sichtbar; sie können zu erheblichem Unmut bei den Betroffenen führen und sich nachteilig auf deren Leistungsbereitschaft auswirken.

Die für Unterhaltszahlungen abweichenden Prozentsätze sind willkürlich gewählt. Als Unterhalt ist in der Regel der um den halben Garantiebetrag verminderte Bedarf zu zahlen (§ 1612b BGB). Gegenwärtig bedarf es eines Unterhaltsbedarfs der Einkommensgruppe 6, um eine Unterhaltsleistung von mehr als 500 Euro aufzubringen, für den 1,5-fachen Mindestbedarf wird die Unterhaltsleistung von rund 750 Euro ab der Einkommensgruppe 12 erreicht und Unterhaltsleistungen in Höhe des doppelten Mindestbedarfs liegen außerhalb des Anwendungsbereichs der Düsseldorfer Tabelle. Daran wird sich bei einem steigenden Mindestunterhalt nichts ändern.

Die Maßstäbe zur Anrechnung von Unterhalt entsprechen nicht der Struktur der Düsseldorfer Tabelle. Die diesbezüglichen Vorschriften berücksichtigen auch nicht die Verteilungswirkung von Unterhaltszahlungen beim jeweiligen Haushaltseinkommen mit den aus Sicht der Verpflichteten unmittelbar erfahrenen Konsequenzen. Vor dem Einsatz unspezifisch wirkender An- und Verrechnungsmethoden sollte deren Verteilungswirkung zunächst einmal anhand von Simulationsberechnungen auf realitätsgerechter Grundlage mit unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnissen nachvollzogen werden.

V. Trennungsfamilien werden nicht berücksichtigt

Der vorliegende Entwurf orientiert sich ausschließlich am Bedarf der Haushaltsfamilie, während die hiervon abweichenden Lebensverhältnisse getrenntlebender Familien nicht einmal ansatzweise berücksichtigt werden. Die Begründung benennt zwar vielfach die besondere Lebenssituation Alleinerziehender, blendet aber aus, dass sich damit gleichzeitig der Kindesbedarf verändert, wenn Kinder – in unterschiedlicher Häufigkeit – in den Haushalt des anderen Elternteils wechseln. Jährlich sind mehr als 100.000 Kinder von der Trennung ihrer Eltern betroffen. Schon längst gehört es zum anerkannten Standard, dass deren Kontakte zu dem anderen Elternteil im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung möglichst ungestört aufrechterhalten werden sollen. Das Leben in zwei Haushalten verändert den kindlichen Bedarf; angesichts der großen Zahl der hiervon betroffenen Kinder muss sich eine Kindergrundsicherung auch hierzu verhalten und darf die Lösung der von vornherein absehbaren Konflikte nicht allein der Rechtsprechung überantworten.

Ungeklärt: Anteil am Regelbedarf, wenn ein Kind in zwei Haushalten lebt

Die Begründung befasst sich an keiner Stelle explizit mit den durch einen regelmäßigen Umgang verbundenen Kosten, sondern verweist lediglich darauf, dass bei einem Wechsel zwischen zwei Haushalten ein Anspruch auf den Zusatzbetrag auch dann bestehen kann, wenn der andere Elternteil nicht den Garantiebetrag bezieht. Bei einer „temporären Bedarfsgemeinschaft“ sei der Kinderzusatzbetrag im Verhältnis der elterlichen Betreuungsanteile aufzuteilen, so wie es bisher schon im Leistungssystem des SGB II gehandhabt werde. Die Begründung spricht von einer Aufteilung „zwischen den Elternteilen“, was bei einem dem Kind zustehenden Anspruch nicht zulässig wäre. In der Sache geht es um den Anteil am Regelbedarf, der für den Lebensbedarf im Haushalt des anderen Elternteils einzusetzen wäre. Es bleibt indes ungeklärt, wie eine solche Aufteilung umgesetzt werden soll, wenn der einmal in voller Höhe bewilligte Zusatzbetrag während des Bewilligungszeitraums von 6 Monaten (§ 15 Entwurf) nicht abgeändert werden kann. Ist das Kind darauf zu verweisen, sich einen Teil des Zusatzbetrages auszahlen zu lassen, um damit seinen Lebensunterhalt im Haushalt des anderen Elternteils zu bestreiten?

Immerhin greift der Entwurf in seiner Begründung den Ansatz aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf, dass an den Tagen, an denen sich ein Kind mehr als 12 Stunden im Haushalt des anderen Elternteils aufhält, in dessen Haushalt eine Bedarfsgemeinschaft besteht und in dieser der Kindesunterhalt in zumindest existenzsichernder Höhe zu decken ist. Der Entwurf erkennt also einen entsprechenden Bedarf an. Nur greifen die Überlegungen zu kurz, dass in solchen Fällen lediglich der Kinderzusatzbetrag geteilt werden soll. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der im Haushalt des anderen Elternteils aufzubringende Kindesunterhalt mit einem Tagessatz von 1/30 des vollen Regelbedarfs zu bemessen; der Kinderzusatzbetrag bleibt selbst mit seinem Höchstbetrag hinter diesem Bedarf zurück. Eine Aufteilung des Zusatzbetrags nach Tagen kann daher nicht den notwendigen Unterhalt erreichen – erst recht nicht, wenn – insbesondere aufgrund des gezahlten Unterhalts – nur ein gekürzter Zusatzbetrag bewilligt wurde.

Dabei hat sich das Modell der temporären Bedarfsgemeinschaft längst als unzulänglich erwiesen, um den besonderen Umständen eines Lebens in zwei Haushalten gerecht zu werden. Auf die Notwendigkeit, die mit dem als Notbehelf entwickelten Modell der temporären Bedarfsgemeinschaft verbundenen Probleme gesetzlich zu regeln, hat das Bundessozialgericht bereits in seiner Stellungnahme zur Einführung des Bürgergeldes hingewiesen. Die Sozialgerichte sind inzwischen mit den Verwerfungen konfrontiert, die sich aus der Kürzung des Regelbedarfs in der Stammbedarfsgemeinschaft ergeben. Der zuständige Senat sieht in diesem Zusammenhang als weiteren Ausweg einen Mehrbedarf nach § 21 SGB II, wenn der verbleibende Betrag nicht mehr zur Deckung des laufenden Bedarfs genüge. Unabhängig davon, wie dieses Problem künftig bewältigt werden wird, belegt bereits dieser Hinweis, dass der auf das Leben in einem Haushalt zugeschnittene Regelbedarf nicht genügt, um den durch das Leben in zwei Haushalten anfallenden Bedarf zu decken.

Der in dem zweiten Haushalt anfallende Bedarf ist höher als die Ersparnis im ersten Haushalt. Damit ist bei einer Betreuung in zwei Haushalten die Summe der Bedarfe in jedem Fall größer als „1“. Dies gilt bereits bei einem üblichen Umgang und erst recht bei einer erweiterten Mitbetreuung. Hieraus folgt aber noch kein Mehrbedarf iSv. § 21 SGB II, der nach der Intention des Gesetzes nur die nicht vom Regelbedarf erfassten Bedarfe umfassen soll. Es geht um den laufenden Kindesunterhalt von Kindern in einer Lebensform, die die Regelbedarfe nicht abbildet.

VI. Was am Ende bleibt ist ein Flickwerk: Trennungseltern und ihre Bedarfe wurden bei der Kindergrundsicherung ausgeschlossen

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich gegenüber dem Kinderzuschlag als Ausgangspunkt aus der Entwurfsfassung zur Kindergrundsicherung nur geringfügige Veränderungen ergeben. Hierbei ist als positiver Effekt die strukturelle Veränderung durch den Wegfall des Kindergeldüberhangs hervorzuheben. Diese verhindert, dass Leistungen an das Kind nicht in einer Kürzung von Ansprüchen anderer Haushaltsangehöriger aufgehen und dann ihren Zweck nicht mehr erreichen könnten. Auf der Habenseite ist zudem die überzeugende Bemessung des Grundbedarfs mit einer Abgeltungspauschale beim Wohnbedarf zu verbuchen.

Ansonsten sind gegenüber dem bisherigen Leistungsniveau keine substantiellen Änderungen zu erwarten, da die Sätze aus dem Regelbedarfsermittlungsgesetz ungeprüft auf ihre inhaltliche Stimmigkeit fortgeschrieben werden. Alle vom Grundbedarf nicht erfassten Mehrbedarfe werden nicht als weitere Bestandteile in die Kindergrundsicherung integriert, sondern unverändert dem SGB II zugewiesen. Was bleibt sind damit zahlreiche Schnittstellen zum SGB II, SGB XII, Wohngeld, Bafög, Unterhaltsvorschuss und Einkommensteuerecht, die erfahrungsgemäß immer wieder zu Problemen bei der Umsetzung führen werden.

Bereits vor mehr als 10 Jahren wurde als Ergebnis aus der Evaluation familienbezogener Leistungen die Beseitigung solcher Systembrüche angemahnt. Es ist zu befürchten, dass diese nicht kleiner, sondern durch die Verzahnung der Kindergrundsicherung mit dem SGB II noch größer werden.

Das größte Manko ist jedoch die Beschränkung des Leistungssystems auf die jeweilige Haushaltsgemeinschaft. Die überaus große Gruppe getrenntlebender Familien mit ihren abweichenden Bedarfen wurde in dem Entwurf schlichtweg ausgeblendet.

Das Gesetz regelt nur, dass Unterhaltsansprüche von den Leistungen nicht berührt werden. Dies besagt aber lediglich, dass diese auf Verwandtschaft beruhenden Ansprüche vorrangig vor den Leistungen des Zusatzbetrages zu erfüllen sind.

Auf der anderen Seite hebt die Begründung wiederholt die Verbesserungen für Alleinerziehende hervor. Diese beiden Elemente lassen sich jedoch nicht voneinander trennen. Sobald die von der Trennung ihrer Eltern betroffenen Kinder wechselnd auch von dem anderen Elternteil betreut werden – dies reicht vom regelmäßigen „Umgang“ bis zum paritätischen „Wechselmodell“ – verändern sich die Bedarfslage und die Zahl der Haushalte, in denen der Kindesunterhalt aufzubringen ist.

Die Probleme sind aus der sozialgerichtlichen Rechtsprechung seit 2006 bekannt und der entwickelte Notbehelf galt von Anfang an als eine „nicht verwaltungsfreundliche“ Lösung. Dass Veränderungen des sozialrechtlichen Rahmens zugleich auf die privatrechtlichen Beziehungen ausstrahlen, ist nicht neu und erfordert von vornherein eine ganzheitliche Betrachtung der Rechtslage.

Von einem Gesetz, dass darauf angelegt ist, die meisten kindbezogenen Leistungen zusammen zu führen, ist zu erwarten, dass es mit seinen Regeln auch für diesen Personenkreis systemgerechte und praktikable Vorgaben bietet. Ohne diese ist es unvollständig.

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