Abstammung und Anfechtung der Abstammung - BGH - 11.12.2013

Der Umstand, dass beim Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann als dem rechtlichen Vater (z. B. dem mit der Frau verheirateten Ehemann) Kondome benutzt wurden, schließt die Kenntnis von der Möglichkeit der Abstammung des Kindes von diesem anderen Mann nicht aus, d. h. man muss damit rechnen.

Urteil:
Gericht: BGH
Datum: 11.12.2013
Aktenzeichen: XII ZR 58/12
Leitparagraph: § 1600 b BGB
Quelle: www.bundesgerichtshof.de

Abstammung:

Nach § 1600 b Abs. 1. Satz 1 BGB kann die Vaterschaft nur binnen 2 Jahren gerichtlich angefochten werden. Die 2-Jahres-Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen (aber nicht vor der Geburt des Kindes). Zu den Umständen, die diese Anfechtungsfrist in Lauf setzt gehört regelmäßig bereits ein einmaliger außerehelicher Geschlechtsverkehr der Kindesmutter während der gesetzlichen Empfängniszeit, und zwar auch dann, wenn der Ehemann innerhalb dieser Zeit der Kindesmutter ebenfalls beigewohnt hat und es den Umständen nach nicht ausgeschlossen erscheint, dass das Kind aus der außerehelichen Beiwohnung stammt. Insbesondere setzt der Beginn der 2-Jahres-Frist nicht voraus, dass aufgrund der dem Anfechtenden bekannten Umstände die Vaterschaft eines Dritten wahrscheinlicher ist als die des Ehemannes (BGH, FamRZ 2006, Seite 771). Diese Regel (einmaliger außerehelicher Geschlechtsverkehr während der Empfängniszeit) gilt zwar nicht uneingeschränkt. Aber nur dann, wenn eine ganz fernliegende Abstammungsmöglichkeit des Dritten vorliegt (Einzelfall), könnte diese Regel durchbrochen werden, was im hier vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben ist.

Hier hatte die Mutter während der Empfängniszeit noch vor der Hochzeit mit ihrem späteren Ehemann Geschlechtsverkehr sowohl mit diesem, als auch mit einem Dritten. Im März 2004 heiratete sie, im April 2004 kam der Sohn zur Welt, damit war der Ehemann der rechtliche Vater. Nach Trennung und Scheidung hat die Ehefrau die Vaterschaft angefochten, ein Gutachten hat ergeben, dass der Ehemann nicht der Vater des Sohnes ist. Sowohl Amtsgericht als auch OLG haben die Anfechtungsklage zurückgewiesen, weil die Anfechtung nicht innerhalb von 2 Jahren nach der Geburt des Kindes erhoben wurde, denn die Mutter (Anfechtende) hatte aufgrund des Geschlechtsverkehrs die Kenntnis von der nicht ganz fernliegenden Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann als ihren späteren Ehemann. Auch aufgrund der Tatsache, dass beim Geschlechtsverkehr mit dem Dritten Kondome verwendet wurden, hat die Ehefrau sich nicht sicher sein können, dass der Dritte als Erzeuger ausscheidet. Dies ergibt sich aus der recht hohen Versagensquote bei einer Verhütung mit Kondomen. Das hat der BGH bestätigt, da es allgemein bekannt ist, dass die Zuverlässigkeit der Empfängnisverhütung mit Kondomen deutlich geringer ist als mit anderen Verhütungsmitteln (Pille). Die Vorstellung von diesem Risiko ist zum Allgemeinwissen zu zählen und daher ist der Ehefrau eine Kenntnis von entsprechenden Umständen, dass der Andere der Vater ist, zuzurechnen. Es ist auf eine objektive verständige Beurteilung abzustellen, diese Kenntnis kann auch von einem verständigen Laien in der Regel erwartet werden, auf den individuellen Bildungsstand des Anfechtungsberechtigten kommt es nicht entscheidend an.

Die hier entscheidende 2-Jahres-Frist führt letztendlich in vielen Fällen dazu, dass trotz feststehender anderweitiger biologischer Vaterschaft die einmal begründete rechtliche Vaterschaft nicht mehr aufgehoben werden kann und letztendlich lebenslang die wahre biologische Vaterschaft und die rechtliche Vaterschaft auseinanderfallen. Dies ist dem Rechtsgedanken der Rechtssicherheit geschuldet. Dies mag zu akzeptieren sein bei gewachsenen soziökonomischen Beziehungen zwischen Kind und nur rechtlichem Vater, wenn das nicht vorliegt, führt die 2-Jahres-Frist zu rechtlichen Konstellationen wie Unterhaltspflicht, Erbrecht etc. die mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun haben. Im hier vorliegenden Fall könnte ggf. der rechtliche Vater (Ehemann) noch anfechten, wenn noch keine 2 Jahre vergangen sind zwischen der Kenntnis seinerseits vom weiteren Geschlechtsverkehr der Ehefrau. Nachdem beim Amtsgericht das Verfahren 2009 eingeleitet wurde und der Ehemann ab diesem Zeitpunkt Kenntnis hatte, wäre für ihn die 2-Jahres-Frist ebenso abgelaufen. Das Kind selbst könnte ab Volljährigkeit ebenso 2 Jahre lang eine Anfechtung betreiben, muss aber nicht. Besonders krass sind die Fälle, in denen keine Ehe bestand, ein Mann die Vaterschaft eines Kindes anerkannt hat, zwar von der Kindesmutter erfahren hat, dass es da noch einen anderen gegeben hat, sich aber sicher war, dass er der Vater ist und später sicher herausstellt, dass er es gar nicht sein kann (z. B. Zeugungsunfähigkeit). Dieser Vater, der auch nach der Geburt keinen Kontakt zu Mutter und Kind hat, ist letztendlich nur der Zahlvater, die Anfechtung der Vaterschaft ist ebenso wenig erfolgreich, da eben der mehrfache Geschlechtsverkehr während der Empfängniszeit bekannt war. Dieser Vater hat keine soziökonomische Beziehung zu seinem Kind und bleibt sein Leben lang rechtlicher Vater obwohl zu 100 % feststeht, dass er nicht der biologische Vater ist, es bestehen weiterhin Kindesunterhaltsansprüche und selbstverständlich erbrechtliche Beziehungen. Diese der Biologie widerstrebende Situation kann in diesem Fall nur das Kind ab dem 18. Lebensjahr (für 2 Jahre) ändern, wird es aber dann nicht, wenn der rechtliche Vater im Vergleich zum biologischen Vater vermögend ist.

Die 2-Jahres-Frist der Anfechtung einer Vaterschaft nach Kenntnis von Umständen, die die Möglichkeit der Abstammung eines Anderen nicht fern liegen lassen, erscheint in diesen Fällen praxisfremd, der Gesetzgeber hält jedoch die Rechtssicherheit für vorrangig, dies kann jeder für sich ggf. auch anders sehen.