Amtshaftung - BGH - 20.10.2016

 

Schadensersatz für Verdienstausfall von Eltern wegen schuldhaft nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellter Kinderbetreuungsplätze für Kinder im Alter zwischen dem 1. und dem 3. Lebensjahr.

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 20.10.2016
Aktenzeichen: III ZR 278/15, 302/15, 303/15
Leitparagraph: BGB § 839 i.V.m. GG Art. 34 Satz 1~ SGB VIII § 24 Abs. 2
Quelle: www.bundesgerichtshof.de

Kommentierung:

Die Mütter in den 3 Verfahren wollten nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre (Vollzeit-)Berufstätigkeit wieder aufnehmen. Wenige Monate nach der Geburt haben sie bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab Vollendung des 1. Lebensjahres des Kindes angemeldet. Ein Betreuungsplatz wurde jedoch nicht zugewiesen – mangels ausreichender Betreuungsplätze. Die Mütter (Klägerinnen) haben den ihnen entstandenen Verdienstausfallschaden unter Anrechnung von anderweitigen Zuwendungen und ersparten Kosten geltend gemacht.

Das erstinstanzliche Landegericht Leipzig hat den Klagen stattgegeben, das OLG Dresden hat die Klagen abgewiesen. Zwar hat auch das OLG geurteilt, dass die beklagte Stadt ihre aus § 24 Abs. 2 SBG VIII folgende Amtspflicht verletzt hat, diese Amtspflicht jedoch angeblich nur gegenüber den Kindern bestünde, die Erwerbsinteressen (letztendlich Verdienstausfall) der Mütter von dieser Amtspflicht nicht geschützt seien. In § 24 Abs. 2 SGB VIII heißt es: „Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege.“ In § 22 SGB VIII ist dann ausgeführt, was derartige Betreuungsplätze bewirken sollen:

die Förderung der Kindesentwicklung, die Unterstützung der Familie bei der Erziehung/Bildung und Hilfe für die, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander zu vereinbaren.

Der BGH hat wie die beiden Vorinstanzen eine Amtspflichtverletzung bejaht, da das anspruchsberechtigte Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung keinen Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt bekommen hat. Die Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Der öffentliche Träger der Jugendhilfe ist gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen zur Verfügung zu stellen, ggf. selbst zu schaffen. Der BGH widerspricht dem OLG, wonach eben auch diese Amtspflicht dem Schutz der Interessen der Eltern dient, hierzu gehört auch der Verdienstausfallschaden der dadurch entsteht, dass die Kinder keinen Betreuungsplatz erhalten. Der BGH begründet dies insbesondere auch damit, dass in den gesetzlich normierten Förderungsgrundsätzen in § 22 SGB VIII ausdrücklich steht, dass man auch den Eltern zu helfen hat bei Erwerbstätigkeit. Daher hat der BGH die Urteile des OLG aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da das OLG keine ausreichenden Erhebungen zum tatsächlichen Verdienstausfall und erstattungsfähigen Schaden vorgenommen hat. Auch müsse das OLG noch abschließend klären, ob das zuständige Amt ein Verschulden trifft. Hier gilt jedoch nach den Hinweisen des BGH der Beweis des ersten Anscheins: wird ein Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt, so besteht hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins, dass den Amtsträger ein Verschulden trifft. Allgemeine finanzielle Engpässe führen nicht zu einer Entlastung, da der Gesetzgeber entschieden hat, dass eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen uneingeschränkt – insbesondere ohne „Kapazitätsvorbehalt“ – vorhanden sein muss.

Diese Entscheidung führt dazu, dass Eltern bei nachgewiesener rechtzeitiger Beantragung eines Betreuungsplatzes für ihre Kinder zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr Schadensersatz verlangen können, wenn sie keinen solchen Betreuungsplatz erhalten. Schadensersatz kann der Verdienstausfall sein aber auch die Kosten für eine Betreuungsperson, um die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Die Berufstätigkeit beider Elternteile ist auch vom Gesetzgeber „gewollt“, was sich in der Gesetzeslage widerspiegelt. Auch im Unterhaltsrecht wird ab dem 3. Lebensjahr – auch wenn da kein gesetzlicher Anspruch auf einen Kindergartenplatz normiert ist – grundsätzlich eine Erwerbsobliegenheit festgeschrieben. Sowohl der BGH mit dieser Entscheidung als auch der Gesetzgeber gehen von dem Leitbild aus, dass Eltern so schnell als möglich und ohne Nachteile in der Arbeitswelt wieder „ankommen“. Berufstätigkeit beider Elternteile verhindert auch bei Trennung und Scheidung zumeist „Scheidungsarmut“ und „Kinderarmut“. Wenn das das Leitbild des Gesetzgebers und der Gesellschaft ist, müssen eben auch die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen werden.