BGH, Urteil v. 06.10.2010 - Ehegattenunterhalt

a)  Bei der Billigkeitsprüfung nach § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB ist vorrangig zu berücksichtigen, ob ehebedingte Nachteile eingetreten sind, die schon deswegen regelmäßig einer Befristung des nachehelichen Unterhalts entgegenstehen, weil der Unterhaltsberechtigte dann seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht selbst erzielen kann.

 

b)  Ob bei fehlenden ehebedingten Nachteilen eine Herabsetzung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) auf den angemessenen Lebensbedarf (§ 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB) in Betracht kommt, ist gemäß § 1578 b BGB im Wege einer umfassenden Billigkeitsabwägung zu bestimmen, die dem Tatrichter obliegt. Dabei ist auch eine über die Kompensation ehebedingter Nachteile hinausgehende nach-eheliche Solidarität zu berücksichtigen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 17. Februar 2010 - XII ZR 140/08 - FamRZ 2010, 629).

 

c)  Die Ehedauer gewinnt durch eine wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht, die insbesondere durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung eintritt (im Anschluss an das Senatsurteil vom 11. August 2010 - XII ZR 102/09 - zur Veröffentlichung bestimmt).

 

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Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 06.10.2010
Aktenzeichen    : XII ZR 202/2008
Leitparagraph   : BGB §1578b
Quelle          : FamRZ 2010, S. 1971
Kommentiert von : RA Simon Heinzel


Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Die Parteien streiten um nachehelichen Aufstockungsunterhalt. Die Antragstellerin (geboren 1952) und der Antragsgegner (geboren 1949) haben im Jahr 1980 die Ehe geschlossen, aus welcher ein Sohn (geboren 1982) hervorgegangen ist. Die Trennung erfolgte im Januar 2003, aus einer neuen Partnerschaft des Antragsgegners ist eine Tochter (geboren 2003) hervorgegangen.

Der Antragsgegner hat ein unterhaltsrechtliche relevantes Einkommen in Höhe von ca. 3.500 Euro, die Antragstellerin erzielt aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit als Motopädin zzgl. Zinseinkünften ein Einkommen in Höhe von monatlich ca. 1.000 Euro. Sie ist gelernte Gymnastiklehrerin und war vorn 1971 bis 1973 als Sportlehrerin tätig. Bis 1977 arbeitete sie als Fachlehrerin für Sport. Danach zog sie mit dem Antragsgegner in dessen Elternhaus und war zunächst arbeitslos. In der Folgezeit erfolgte dann die Ausbildung zur Motopädin. Ab der Heirat war sie mit 12 Stunden wöchentlich in diesem Beruf tätig. Nach der Geburt des Sohnes (1982) war sie zunächst nicht erwerbstätig, ab Oktober 1987 arbeitete sie bis zur Scheidung mit reduzierter Stundenzahl und seit August 2008 vollschichtig als Motopädin. Ende des Jahres 2003 wurde der Scheidungsantrag zugestellt, das AG hat die Ehe rechtskräftig geschieden (24. Juli 2008), der Versorgungsausgleich wurde durchgeführt, die Antragstellerin erhielt einen Zugewinnausgleich in Höhe von ca. 33000 Euro. Hinsichtlich des nachehelichen Unterhaltes hat dann das OLG den Unterhalt, den das AG ausgeurteilt hatte, herabgesetzt auf monatlich 1272 Euro, befristet bis zum 31. Juli 2012.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Befristung des Unterhalts, die Revision war vom OLG zugelassen.

 

Die Entscheidung des BGH:Die Revision hat Erfolg und führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung an das OLG.

 

Nach dem BGH kommt eine Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts auf den angemessenen Lebensbedarf dann in Betracht, wenn der volle Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen unbillig wäre. Entscheidend hierbei ist, ob durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Die Kriterien ergeben sich aus § 1578 b BGB. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben. Hieraus leitet der BGH ab, dass bei Eintreten ehebedingter Nachteile der Unterhalt in dieser Höhe regelmäßig nicht begrenzt werden kann. Ein ehebedingter Nachteil ergibt sich in der Regel daraus, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die einkünfte erzielt, die er ohne die Ehe und Kindererziehung erzielen würde.

 

Wenn ehebedingte Nachteile nicht gegeben sind, kommt eine Unterhaltsbegrenzung bzw. eine Herabsetzung auf den angemessenen Lebensbedarf jedoch nicht zwangsläufig in Betracht, denn § 1578 b BGB beschränkt sich nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Die Ehedauer ist dabei kein entscheidendes Kriterium, wenn beide Ehegatten vollschichtig erwerbstätig waren und die Einkommensdifferenz lediglich auf dem unterschiedlichen Qualifikationsniveau beruht. Die Ehedauer gewinnt jedoch dann durch eine wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte entweder seine Ausbildung oder seine Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung aufgegeben hat (so schon BGH vom 17.2.2010, FamRZ 2010, S. 629, ebenso BGH, FamRZ 2010, S. 1637).

 

Im hier zu entscheidenden Fall stellt der BGH fest, dass die Antragstellerin keine ehebedingten Nachteile erlitten hat, da die Tätigkeit als Fachlehrerin 3 Jahre vor der Eheschließung aufgegeben wurde. Mag dies auch durch das voreheliche Zusammenleben veranlasst worden sein, keinesfalls jedoch wurde ein Vertrauen in den Bestand einer Ehe gesetzt. Die Ehe wurde geschlossen, als die Antragstellerin bereits ihren neuen Beruf erlernt und ausgeübt hatte (so auch BGH, FamRZ 2010, S. 1238). Auch die vorübergehende Aufgabe der Erwerbstätigkeit während der Ehe ist kein ehebedingter Nachteil, etwaige Nachteile in der Altersversorgung sind durch den Versorgungsaugleich ausgeglichen (BGH, FamRZ 2008, S. 1325 und 1508). Anderes könnte nur gelten, wenn der Ehegatte während der Ehezeit als Rentner oder Selbständiger keine eigene Altersversorgung aufgebaut hat. Zwar ist der Antragsgegner selbständig, durch den Aufbau privaten Vermögens, an dem die Antragstellerin durch den Zugewinn partizipiert hat, ist jedoch auch eine ausreichende Kompensation geschaffen.

 

Entgegen des OLG geht jedoch der BGH davon aus, dass das OLG nicht alle Billigkeitskriterien berücksichtigt hat, insbesondere nicht die Ehedauer von 23 Jahren (Zeit zwischen Eheschließung und Zustellung des Scheidungsantrags), wobei Ehekrisen in dieser Zeit keine Rolle spielen. Auch kritisiert der BGH, dass das OLG die wirtschaftliche Verflechtung der Eheleute nicht ausreichend gewichtet hat. Die Ehedauer erlangt dann ein besonderes Gewicht, wenn die Erziehung des Kindes überwiegend durch den Unterhaltsberechtigten erzogen wird und von diesem auch der Haushalt geführt wird. Weiterhin hebt der BGH hervor, dass die gesamten finanziellen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, nach der Entscheidung des OLG liegt die Antragstellerin gerade einmal über ihrem Mindestbedarf, während dem Antragsgegner ein deutlich höherer Betrag verbleibt. Ferner führt der BGH aus, dass das OLG nicht geprüft hat, ob besondere Umstände des vorliegenden Falles einer Befristung entgegenstehen, da hier die Zusammenschau der langen Ehe, der Kindererziehung durch die Antragstellerin und der nur teilweisen Erwerbstätigkeit neben der Haushaltsführung dies gebietet.

 

Aus den genannten Gründen hat der BGH die Sache an das OLG zurückverwiesen.

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FazitDieses Urteil des BGH zu § 1578 b BGB stellt zwar nicht eine Kehrtwende zur Frage der Beschränkung und Befristung eines nachehelichen Unterhaltes dar, relativiert jedoch die zunehmende „Euphorie“, wonach dann, wenn keine ehebedingten Nachteile vorliegen, in jedem Fall zu beschränken und zu befristen wäre. Eine Reihe von OLGs haben sich nahezu nur noch auf die Frage der ehebedingten Nachteile beschränkt, ohne auch die anderen Abwägungskriterien zu berücksichtigen, bzw. diese sogar (z. B. Ehedauer) in den Hintergrund gedrängt (zur OLG-Rechtsprechung siehe ISUV-Report Nr. 126, S. 18/19). Der BGH hat bereits mit Urteil vom 4.8.2010 (FamRZ 2010. S. 1633) darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass ehebedingte Nachteile nicht gegeben sind, eine umfassende Billigkeitsabwägung zu erfolgen hat. Die Kriterien sind insoweit die Einkommensverhältnisse der Parteien, die Ehedauer, die Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe, die während der Ehe erbrachte Lebensleistung, sowie Umfang und Dauer des vom Unterhaltspflichtigen bis zur Scheidung erbrachte Unterhalt.

Das hiesige Urteil trägt mit Sicherheit nicht zur Rechtsklarheit bei. Bis zu diesem Urteil konnte und musst man davon ausgehen, dass, wenn keine ehebedingten Nachteile gegeben sind, eine Unterhaltsbegrenzung eigentlich ohne besondere Prüfung von weiteren Billigkeitserwägungen durchzuführen ist, sodass man davon ausgehen musste, dass ein unbegrenzter Unterhalt die Ausnahme ist. Dies dreht der BGH nunmehr wieder um, indem er letztendlich ausdrückt, dass die Unterhaltsbegrenzung nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Nunmehr weist der BGH darauf hin, dass wenn ehebedingte Nachteile eingetreten sind, regelmäßig eine Befristung nicht in Betracht kommt und selbst dann, wenn keine ehebedingten Nachteile eingetreten sind, die anderweitigen Kriterien weit mehr zu beachten sind. Insbesondere bezüglich der Ehedauer, die in der Dogmatik zu § 1578 b BGB in den Hintergrund gedrängt erschien, weist der BGH nunmehr darauf hin, dass die wirtschaftliche Verflechtung bei der Billigkeitsabwägung an Gewicht gewinnt, wenn (wie fast immer) ein Ehegatte während der Ehe wegen Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung seine Erwerbstätigkeit aufgegeben oder teilweise aufgegeben hat. Zwar ist mit einer solchen Lebensführung später kein ehebedingter Nachteil zu erkennen, dann, wenn später wieder vollschichtig gearbeitet wird. Eine wirtschaftliche Verflechtung liegt jedoch immer vor, sodass damit nach dem BGH eine Unterhaltsbefristung zumindest erschwert wird. Das Stichwort der nacheheliche Solidarität ist damit wieder mehr in den Vordergrund gerückt worden, mit der Folge, dass Unterhaltsbeschränkungen/-Befristungen einer noch kritischeren Abwägung unterzogen werden müssen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass selbst bei fehlenden ehebedingten Nachteilen Unterhaltsbeschränkungen/-Befristungen dann zumindest schwierig durchsetzbar sind, wenn aufgrund der Ehedauer und der Gestaltung des ehelichen Lebens wirtschaftliche Verflechtungen nicht von der Hand zu weisen sind und somit dem Vertrauensschutz (nacheheliche Solidarität) wieder mehr Bedeutung zukommt. Nachdem jedoch der BGH in den letzten 3 Jahren nach der Unterhaltsrechtsreform auch teilweise „neue Interpretationen“ zulässt, ist nicht gesagt, dass nicht in Zukunft wieder die Auslegung des § 1578 b BGB vom BGH anders vorgenommen wird oder zumindest relativiert wird.