BGH, Urteil vom 18.7.2012 – Volljährigenunterhalt
- Wird der Unterhaltspflichtige von seinem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbstständigkeit wieder verloren hat, auf Unterhalt in Anspruch genommen, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter ihm und seiner Ehefrau im Regelfall einen Familienselbstbehalt zubilligt, wie ihn die Düsseldorfer Tabelle und die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien für Elternunterhalt vorsehen.
- Der Familienselbstbehalt trägt bereits dem Umstand Rechnung, dass die Ehegatten durch ihr Zusammenleben Haushaltsersparnisse erzielen.
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Urteil
Gericht : BGH Datum : 18.07.2012 Aktenzeichen : XII ZR 91/10 Leitparagraph : BGB §1603 Quelle : FuR 2012, S. 591 Kommentiert von : RA Simon Heinzel
Inhalt:
Das Sozialamt gewährt einem 40-jährigen Sozialhilfe, weil dieser wegen Depressionen und einer Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig ist. Das Sozialamt begehrt vom Vater des Hilfebedürftigen die gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt (monatlich 850 Euro) zurück, mit dem Argument, der Vater ist auch für seinen 40-jährigen Sohn unterhaltsverpflichtet und wäre leistungsfähig. Der Vater ist Rentner, erzielt ein Nettoeinkommen von monatlich 1603 Euro. Seine Ehefrau, die nicht die Mutter des Hilfebedürftigen ist, erzielt ein Nettoeinkommen von 485 Euro, die Eheleute bewohnen eine Eigentumswohnung mit einem Wohnwert von ca. 400 Euro, für die ca. 177 Euro an Kosten zu bezahlen sind. Das Amtsgericht hatte eine Leistungsfähigkeit von 70 Euro pro Monat angenommen, das OLG hat die Klage wegen Leistungsunfähigkeit des Vaters abgewiesen, der BGH hat die Revision des Sozialamtes zurückgewiesen.
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Verliert ein erwachsenes Kind seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbstständigkeit, besteht grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch des auch erwachsenen Kindes gegenüber seinen Eltern. Die Eltern können in der Regel davon ausgehen, dass die Kinder diese Unabhängigkeit von den Eltern auch beibehalten. Aufgrund der Vergleichbarkeit der Interessenlage kann wegen der Unterhaltspflicht des Vaters (Rentner) gegenüber seiner jetzigen Ehefrau auf den in den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Ehegatten bestimmten Selbstbehalt (hier 1050 Euro) zurückgegriffen werden. Ebenso gilt in diesen Fällen der gleiche Selbstbehalt wie beim Elternunterhalt, im Jahr 2011 1400 Euro, zzgl. 50 % des darüber hinaus gehenden bereinigten Einkommens (BGH, FamRZ 2012, S. 530). In jedem Fall gilt hier ein Gesamtselbstbehalt (Sockelbetrag) von 1400 Euro + 1050 Euro = 2450 Euro. Der Haushaltsersparnis durch das Zusammenleben vom Vater und seiner Ehefrau ist bereits durch die unterschiedlichen Selbstbehaltssätze Rechnung getragen. Auf der Grundlage dessen errechnete sich mit Wohnvorteil etc. ein Einkommen, welches unter 2450 Euro liegt, weshalb keine Leistungsfähigkeit mehr gegeben war.
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Die derzeit geltenden Selbstbehaltssätze zum Elternunterhalt gelten somit sowohl für den sogenannten Enkelunterhalt (FamRZ 2077, S. 375) als auch für den hier „unverhofft“ auftretenden Volljährigenunterhalt. Wer nicht damit rechnen muss, auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden, dem muss letztendlich soviel zum Leben und Verleben bleiben, dass keine spürbare und dauerhafte Senkung seiner Lebensverhältnisse durch den Unterhalt eintritt. Diese Lebensstandardgarantie gilt für das sogenannte „unverhoffte Unterhaltsrecht“, immer dann, wenn ein Unterhalt im Raum steht mit dem man grundsätzlich nicht zu rechnen braucht (wobei Elternunterhalt immer häufiger auftritt). Aus der Lebensstandardgarantie folgt auch, dass auch Vermögen nur in eingeschränktem Maße für den Unterhalt einzusetzen ist. So darf man Altersvorsorgeschonvermögen aufbauen (5 % vom sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommen, gerechnet ab dem 18. Lebensjahr bzw. 25 % vom nicht sozialversicherungspflichtigen Einkommen – BGH, FamRZ 2006, S. 1511). Daneben kann kein Unterhaltsschuldner gezwungen sein eine selbst genutzte Immobilie, solange es sich nicht um ein Luxusobjekt handelt, für unverhofft auftretende Unterhaltsansprüche aufzugeben. Dies haben zuletzt zum Elternunterhalt auch so entschieden: OLG Nürnberg, FF 2012, S. 314, OLG Düsseldorf, FamRZ 2012, S. 1651, siehe nachfolgend.
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Nicht zu entscheiden hatte der BGH im hiesigen Fall darüber, ob der alkoholkranke Sohn als „behindert“ oder „pflegebedürftig“ einzustufen gewesen wäre, da dann ohnehin nur in Höhe von ca. 26 Euro monatlich ein Unterhaltsanspruch auf den Sozialhilfeträge übergegangen wäre (§ 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Die Frage einer Behinderung gemäß § 53 SGB XII stellte sich deshalb nicht, weil der BGH ohnehin eine vollständige Leistungsunfähigkeit des Vaters festgehalt