BGH, Urteil vom 26.11.2008 - Unterhaltsrecht

Kindergartenbeiträge bzw. vergleichbare Aufwendungen für die Betreuung eines Kindes in einer kindergerechten Einrichtung sind in den Unterhaltsbeträgen, die in den Unterhaltstabellen ausgewiesen sind, unabhängig von der sich im Einzelfall ergebenden Höhe nicht enthalten. Das gilt sowohl für die Zeit vor dem 31.12.2007 als auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten den Unterhaltsänderungsgesetzes 2007 am 01.01.2008 (Aufgabe der Senatsurteile vom 14.03.2007 – XII ZR 158/04 - , FamRZ 2007, S. 882 (886), und vom 05.03.2008 – XII ZR 150/05 -, FamRZ 2008, S. 1152). Die in einer Kindereinrichtung anfallenden Verpflegungskosten sind dagegen mit dem Tabellenunterhalt abgegolten.

 

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Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 26.11.2008
Aktenzeichen    : XII ZR 65/07 
Leitparagraph   : BGB §1610
Quelle          : FamRZ 2009, S. 962 ff. 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Ein unterhaltsberechtigtes minderjähriges Kind aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft seiner Eltern macht nach Trennung der Eltern Unterhaltsansprüche gegen den Vater geltend. Der Vater hat Unterhalt nach der höchsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer- bzw. Berliner Tabelle, abzüglich hälftiges Kindergeld bezahlt. Das Kind hat darüber hinaus monatliche Kosten für den Besuch einer Kindertagesstätte geltend gemacht, wobei ein Anteil hiervon Verpflegungskosten waren.

 

Das Amtsgericht hat einen Anspruch wegen der Kosten der Kindertagesstätte abgelehnt. Das Oberlandesgericht hat hingegen die Kosten zuerkannt. Der Vater hat wegen der Verurteilung zu den Kosten der Kindertagesstätte Revision zum BGH eingelegt, diese war im OLG-Urteil auch zugelassen worden.

 

Die Entscheidung des BGH:

 

Der BGH hält die Revision für grundsätzlich begründet, hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache zurück an das Oberlandesgericht (hier Kammergericht Berlin).

 

Das Berufungsgericht hat dem Kind die vollen Kosten in der Kindertagesstätte zugesprochen, dies als sog. Mehrbedarf über die Tabellenbeträge hinaus. Derartige Kosten sind in den Regelbeträgen der Düsseldorfer Tabelle nicht enthalten. Die Kindsmutter habe sich im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse der Eltern auch nicht an diesen Kosten zu beteiligen. Diese Einschätzung des Berufungsgerichtes teilt der BGH nicht in vollem Umfang:

 

  • zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt, wonach die Kosten für den Kindergartenbesuch zum Bedarf des Kindes zu rechnen sind, egal ob halb- oder ganztags (BGH, Az. XII ZR 150/05 – FamRZ 2008, S. 1152). Die Kosten und der Aufwand dienen in erster Linie erzieherischen Zwecken und sind daher dem Kindesunterhalt zuzuordnen, insbesondere da dadurch gewährleistet ist, dass der betreuende Elternteil für einen solchen Mehrbedarf nicht aufzukommen braucht, weil er im Einzelfall keinen eigenen Unterhaltsanspruch hat und bei Berücksichtigung als Abzugsposten beim Ehegatten-Mutter-Unterhalt „leer“ ausginge.
  • zutreffend ist es, dass derartige Kindergartenbeiträge Mehrbedarf und keinen Sonderbedarf darstellen. Sie sind kalkulierbar und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts zu berücksichtigen. Der BGH ist jedoch bislang davon ausgegangen, dass der Beitrag für den halbtägigen Kindergartenbesuch keinen Mehrbedarf darstellt, diese seien durch die Tabellenbeträge abgegolten. Für die Zeit vor dem 31.12.2007 wurde dem Rechnung getragen, indem nur anteiliges Kindergeld vom Tabellenunterhalt in unteren Einkommensgruppen abgezogen wurde. An dieser Rechtsauffassung hält der BGH nicht mehr fest. Nachdem zum 01.01.2008 der Mindestunterhalt eingeführt wurde und dieser sich am Steuerrecht orientiert, ist für die Einordnung von Kindergartenkosten maßgeblich, was zum notwendigen Lebensbedarf nach § 27 Abs. 1 SGB XII zählt. Hierin sind grundsätzlich Kindergartenkosten nicht enthalten und sind nach § 90 SGB VIII auf gesonderten Antrag hin im Sozialhilferecht zusätzlich verlangbar. Da somit im Mindestbedarf des Kindes keine Kosten für den Kindergartenbesuch beinhaltet sind, stellen sie im Unterhaltsrecht in voller Höhe (auch der Halbtagskindergarten) Mehrbedarf dar. Das gilt auch für die Zeit bis zum 31.12.2007, da auch dort das Existenzminimum des Kindes nicht gedeckt war.
  • Bei der Berechnung ist zu berücksichtigen, dass Kosten der Verpflegung mit dem Tabellenbetrag abgegolten sind
  • Für das weitere Verfahren (Zurückweisung) hat der BGH darauf hingewiesen, dass beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen aufzukommen haben, die Quotenberechnung erfolgt entsprechend der Berechnung eines Volljährigenunterhalts unter Berücksichtigung eines Sockelbetrages (angemessener Selbstbehalt).

Fazit

 

Der BGH hat mit dieser Entscheidung innerhalb kürzester Zeit seine Rechtsprechung zu den Kosten eines Kindergartens grundlegend abgeändert. Im Jahr 2007 (BGH, FamRZ 2007, S. 882) hat der BGH den Kindergartenbeitrag nicht als Mehrbedarf des Kindes qualifiziert sondern als Betreuungsaufwand des betreuenden Elternteils und bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts vom Einkommen der betreuenden Ehefrau abgezogen, mit der Folge, dass durch den sog. Halbteilungsgrundsatz beim Ehegattenunterhalt beide Eheleute diese Kosten zur Hälfte getragen haben.

 

Im Jahr 2008 (BGH, FamRZ 2008, S. 1152) hat der BGH die Kindergartenkosten eines nichtehelichen Kindes zum Bedarf des Kindes gezählt (Kosten der Erziehung), jedoch für den halbtägigen Besuch keinen Mehrbedarf angenommen, da dies dem Regelfall entspreche und daher keinen Mehrbedarf darstellt.

 

Mit der jetzigen Entscheidung vertritt der BGH die Auffassung, dass der Kindergartenbeitrag in voller Höhe Mehrbedarf darstellt (mit Ausnahme abgrenzbarer Verpflegungskosten).

 

Es erscheint wohl richtig, Kindergartenkosten als Mehrbedarf einzustufen, wenn jedoch die Kosten der Halbtagsunterbringung auch wegen seiner erzieherischen Funktion, Mehrbedarf darstellen, wird dies zu einer höheren Belastung des Unterhaltsverpflichteten führen. Da die Tabellenbeträge durchaus nennenswerte Größenordnungen erreicht haben, auf der anderen Seite jedoch die Einkommensentwicklung eher stagniert, entstehen hierdurch in jedem Fall zusätzliche Belastungen (so auch Born, FamRZ 2009, S. 965 ff.). Nachdem auch private Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, oder bei Volljährigen Studiengebühren zusätzlich zum Tabellenbetrag zu bezahlen sind, entsteht eine erhöhte Belastung des Unterhaltsverpflichteten. Dies über die ansonsten möglichen Mehrbedarfszahlungen (Nachhilfeunterricht, Internatskosten, krankheitsbedingte Mehrkosten etc.) hinaus. Zwar hat der BGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Elternteile sich anteilig entsprechend ihres Einkommens an diesen Mehrbedarfskosten zu beteiligen haben, so führt dies wohl in den wenigsten Fällen zu einer Hälftetragung der Gesamtkosten. Nur wenn über den Halbteilungsgrundsatz bei Ehegattenunterhalt letztendlich beide getrennten/ geschiedenen Eheleute über gleich hohe Einkünfte (über Unterhaltszahlungen) verfügen, führt dies dazu, dass die Mehrbedarfskosten von beiden Elternteilen je zur Hälfte getragen werden. Auch wird zukünftig im Rahmen der Quotenberechnung die Frage etwaiger Erwerbsobliegenheiten zu beachten sein. Dass Kindergartenkosten nicht als Betreuungsaufwand eines Elternteils berücksichtigt werden (so noch der BGH im Jahr 2007) erscheint richtig, da in Fällen, in denen ein Ehegattenunterhaltsanspruch nicht bestand, der Aufwand für Kindergartenkosten keine Berücksichtigung gefunden hat. Nicht umsonst hat der BGH seine Rechtsprechung im Jahr 2008 bereits geändert im Falle der Berechnung des Kindesunterhalts eines nichtehelichen Kindes, da offensichtlich erst dort aufgefallen war, dass die Kindergartenkosten an anderer Stelle (Ehegattenunterhalt) keine Berücksichtigung finden, sodass erkannt wurde dass es sich um Bedarf des Kindes handeln muss. Die jetzige Ausweitung auch auf die Kosten eines Halbtagskindergartens wird zwar begründet mit dem „Sozialhilferecht“ und dem Existenzminimum (Steuerrecht), führt jedoch dazu, dass wohl eine Vielzahl von Erhöhungsverlangen gestellt werden.

 

Inwieweit anderweitige Kosten zu behandeln sind, die gebraucht werden, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist bislang nicht geklärt. Zu denken ist hier an Kosten für ein Au-pair-Mädchens oder Kosten für zusätzliche Haushaltshilfe um trotz Betreuung von jüngeren minderjährigen Kindern z. B. volltags arbeiten zu können. Hierbei handelt es sich nicht um „kindergerechte Einrichtungen“ im Sinne der neueren BGH-Entscheidung. Es wird wohl davon auszugehen sein, dass es sich hier um Betreuungsaufwand handelt, der (wie die Rechtsprechung aus dem Jahr 2007) ggf. als Abzugsposten beim Einkommen der Eltern bei Berechnung eines etwaigen Ehegattenunterhalts (oder des Unterhalts der Mutter eines nichtehelichen Kindes) zu berücksichtigen ist.