BGH, Urteil vom 30.07.2008 - Unterhaltsrecht

Schuldet der Unterhaltspflichtige sowohl einem geschiedenen als auch einem neuen Ehegatten Unterhalt, so ist der nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) zu bemessende Unterhaltsbedarf jedes Berechtigten im Wege der Dreiteilung des Gesamteinkommens des Unterhaltspflichtigen und beider Unterhaltsberechtigter zu ermitteln.

Ausnahmen von dieser Dreiteilung ergeben sich bei unterschiedlicher Rangfolge der Ansprüche (§ 1609 Nr. 2, 3 BGB) nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit, wenn ein Mangelfall vorliegt (§ 1581 BGB).

Ist der Unterhaltsbedarf eines geschiedenen Ehegatten durch den hinzugekommenen Unterhaltsbedarf eines neuen Ehegatten herabgesetzt, ist im Rahmen der dann gebotenen Dreiteilung das Gesamteinkommen einschließlich des Splittingvorteils aus der neuen Ehe zugrunde zu legen (Aufgabe der Senatsrechtsprechung BGHZ 163, S. 84, 90 f. = FamRZ 2005, S. 1817 ff.).

Das gilt ebenso für einen Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 BBesG (Aufgabe der Senatsrechtsprechung BGHZ 171, S. 206, 223 f. = FamRZ 2007, S. 793, 797 f.).

Der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach geschiedenen Ehe ist nur dann mit dem Anspruch eines neuen Ehegatten auf Betreuungsunterhalt gleichrangig, wenn nach langer Ehedauer auch ehebedingte Nachteile i. S. des § 1578 b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB vorliegen (§ 1609 Nr. 2 BGB). Auch insoweit ist darauf abzustellen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen.

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Urteil

Gericht         : BGH
Datum           : 30.07.2008 Aktenzeichen    
Aktenzeichen    : XII ZR 177/06
Leitparagraph   : BGB §1578, BGB §1609
Quelle          : FamRZ 2008, Seite 1911ff
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zu Grunde

 

Die Parteien haben 1978 die Ehe geschlossen, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Die Ehe wurde im Jahr 2005 (Trennung 2002) rechtskräftig geschieden. Der Ehegatte hatte sich in einem Vergleich verpflichtet 600 Euro zu bezahlen. Grundlage war beim Ehemann ein Nettoeinkommen nach Abzug von KV und berufsbedingter Aufwendungen in Höhe von 2583 Euro. Bei der Ehefrau wurden bereinigte Einkünfte von 1175 Euro zugrunde gelegt. Hieraus resultierte eine Einkommensdifferenz von 1408 Euro, hiervon 3/7 ergaben gerundet 600 Euro. Zum Zeitpunkt der Entscheidung ist der Kläger nach wie vor als Lehrer berufstätig (A 12), die Beklagte ist weiterhin als Verkäuferin tätig mit gleich gebliebenem Einkommen. Im Oktober 2005 hat der Kläger erneut geheiratet und erbringt Unterhaltsleistungen für die Tochter aus dieser Beziehung. Der Kläger beantragt im Wege der Abänderungsklage den Wegfall seiner Unterhaltspflicht ab Oktober 2005 (und gleichzeitig Rückzahlung der seit Rechtshängigkeit der Abänderungsklage gezahlten Unterhaltsbeträge).

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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG der Klage teilweise stattgegeben. Das OLG hat die Unterhaltsverpflichtung auf zuletzt 200 Euro herabgesetzt (und Rückzahlung von 2800 Euro). Die Beklagte hat Revision beim BGH eingelegt, der BGH hat das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

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Die Entscheidung des BGH:

1. Zur Bedarfsbemessung

Der BGH bestätigt zunächst die Ansicht des OLG wonach eine Abänderungsklage zulässig ist, wenn weitere Unterhaltspflichten hinzugetreten sind. Da die Zeitschranke (erst ab Klageeinreichung) für Vergleiche nicht gilt (§ 323 Abs. 3 ZPO), hat das OLG auch berechtigterweise rückwirkend für die Zeit ab Änderung der maßgeblichen Umstände (Oktober 2005) der Klage teilweise stattgegeben. Das OLG hat jedoch den Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau nicht zutreffend ermittelt. Nach der neuen Rechtsprechung des BGH zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen (BGH, FamRZ 2008, S. 968 ff.) sind spätere Änderungen des verfügbaren Einkommens schon bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs zu berücksichtigen. Treten weitere Unterhaltsberechtigte hinzu, wirkt sich das auf den Bedarf der geschiedenen Ehefrau aus, ohne dass es insoweit auf den Rang der Unterhaltsansprüche ankommt (Grenzen: unterhaltsrechtlich vorwerfbares, unterhaltsbezogenes Verhalten), insbesondere ist das Gründen einer neuen Familie nicht vorwerfbar. Die neue Ehefrau stellt einen weiteren Unterhaltsberechtigten dar, auch wenn der Anspruch der neuen Ehefrau auf Familienunterhalt nicht ohne weiteres nach den zum Trennungsunterhalt oder Nachehelichenunterhalt entwickelnden Grundsätzen zu bemessen ist. Bei den Ansprüchen des Geschiedenen und des neuen Ehegatten ist der Halbteilungsgrundsatz zu beachten. Diesem Grundsatz kann jedoch nicht entnommen werden, dass dem Unterhaltsschuldner stets die Hälfte seines eigenen Einkommens verbleiben muss, während sich die beiden Unterhaltsberechtigten die weitere Hälfte teilen müssen. Vielmehr ist die Anzahl der Unterhaltsberechtigten von Bedeutung. Nach Abzug des Kindesunterhaltes führt der Halbteilungsgrundsatz bei einem unterhaltsberechtigten früheren Ehegatten und einem unterhaltsberechtigten neuen Ehegatten dazu, dass dem Schuldner ein Drittel seines Einkommens verbleiben muss, während sich der Bedarf beider unterhaltsberechtigter Ehegatten ebenfalls mit einem Drittel bemisst. Diese Drittelteilung ist auch dann geboten, wenn einer oder beide Unterhaltsberechtigten Eigeneinkünfte erzielen, diese sind dann in die Gesamtberechnung mit einzubeziehen. Ausnahmen von dieser Dreiteilung sind bei unterschiedlicher Rangfolge der Ansprüche nicht im Rahmen der Bedarfsbemessung sondern erst bei der Leistungsfähigkeit zu beachten und wirken sich nur dann aus, wenn ein Mangelfall vorliegt.

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Der BGH hat diesen Fall zugleich zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Behandlung des steuerlichen Splittingvorteils aus der neuen Ehe zu ändern. Nach dem früheren Recht musste der Splittingvorteil stets der neuen Ehe verbleiben, da diese auch der Erstfrau zumeist nachrangig war. Nachdem sich jedoch nunmehr der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau wechselseitig beeinflussen, ist in Fällen des Gleichrangs die alte Rechtsprechung aufzugeben. Allerdings darf ein geschiedener Ehegatte nicht mehr Unterhalt erhalten als ihm ohne Einbeziehung des Splittingvorteils zustünde, wenn er allein unterhaltsberechtigt wäre. Wenn der Splittingvorteil aus der neuen Ehe bei der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen ist, gilt dies auch für den Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 BBesG.

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2. Zum Rang der Unterhaltsansprüche

Das OLG hatte die geschiedene und die neue Ehefrau schon nach altem Recht als gleichrangig angesehen. Dies hat der BGH als rechtsfehlerhaft gerügt. Für die zukünftige Entscheidung gibt der BGH vor, dass bis Ende 2007 auch im vorliegenden Fall von einem Vorrang der geschiedenen Ehefrau auszugehen ist.

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Für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 gilt durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz eine neue Rangfolge. Im ersten Rang stehen alle minderjährigen Kinder. Im Zweiten Rang stehen die Ansprüche Kinder betreuender Eltern auf Betreuungsunterhalt. Bei der geschiedenen Ehefrau liegt zwar eine lange Ehedauer vor, es ist jedoch nicht nur hierauf abzustellen, vielmehr auch darauf, ob die geschiedenen Ehefrau ehebedingte Nachteile erlitten hat. Nur dann würde sie sich auch im zweiten Unterhaltsrang befinden, wie die ein minderjähriges Kind betreuende neue Ehefrau. Solche ehebedingten Nachteile müssen positiv festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast für solche Tatsachen trägt zwar der Unterhaltsschuldner, hat dieser jedoch Tatsachen vorgetragen, die einen Wegfall ehebedingter Nachteile nahe legen (hier: der Umstand, dass die geschiedenen Ehefrau in ihrer 24-jährigen kinderlosen Ehe seit 1992 durchgehend vollschichtig berufstätig war und daher ehebedingte Nachteile nicht erkennbar sind), obliegt es dem Unterhaltsberechtigten, Umstände darzulegen und zu beweisen, die für fortdauernde ehebedingte Nachteile sprechen. Nach den Feststellungen des OLG ist hierzu nichts vorgetragen worden, sodass es einer Zurückverweisung bedarf. Die Zurückverweisung gibt den Parteien Gelegenheit insoweit mit Blick auf den Rang des Unterhaltsanspruchs der Beklagten und auf die Möglichkeit zur Befristung des Aufstockungsunterhalts ergänzend vorzutragen.

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Fazit

 

Die hiesige Entscheidung ist von großer praktischer Bedeutung, denn erstmals hatte der BGH über die Berechnung des Unterhaltsbedarfs zweier gleichrangiger Ehefrauen zu entscheiden. Der BGH hat zunächst auf der Grundlage der jüngsten Rechtsprechung zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen folgerichtig das Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter in die Unterhaltsbedarfsberechnung mit aufgenommen und ausdrücklich darauf hingewiesen, das derartig hinzugetretene Unterhaltspflichten auch die ehelichen Lebensverhältnisse der früheren Ehe „prägen“. Daneben hat der BGH die Dreiteilung des Gesamteinkommens in solchen Fällen als die richtige Berechnungsmethode festgeschrieben. Anzuwenden ist die sog. Additionsmethode mit entsprechender Drittelteilung (so schon Wendl/Gutdeutsch, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Auflage, § 4, Rdn. 390 ff., Gerhardt/Gutdeutsch, FamRZ 2007, S. 278 ff., OLG Düsseldorf, FamRZ 2008, S. 1254 und Nr. 15.5 Leitlinien OLG Frankfurt vom 19.5.2008 u. a., ISUV/VDU-Merkblatt Nr. 24, S. 4 ff.). Im ISUV/VDU-Merkblatt Nr. 24 findet sich auch eine Berechnungsformel, wie sie auch der BGH in seinen Urteilsgründen angewandt hat.

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Die Änderung der Rechtsprechung zum Splittingvorteil ist konsequent, nachdem in solchen Fällen sämtliche Einkünfte in die Bedarfsbemessung einbezogen werden und der BGH eine Begrenzung mit festgeschrieben hat.

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Für die Praxis weiterhin von Bedeutung sind die Ausführungen des BGH im Rahmen der Rangverhältnisse zur Frage der ehebedingten Nachteile. So wird sich zukünftig keine geschiedene Ehefrau nur auf eine lange Ehedauer berufen können, sondern in jedem Fall sind ehebedingte Nachteile letztendlich nachzuweisen und von einem Gericht positiv festzustellen, wenn diese Geschiedene im gleichen Rang sein möchte, wie eine Kinder betreuende Zweitehefrau.