BVerfG, Beschluss vom 05.12.2008 - Umgangsrecht

  1. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Ausschluss des Umgangsrechts für die Dauer eines Jahres.
  2. Auch wenn das BVerfG über die eingelegte Verfassungsbeschwerde erst nach Ablauf der Frist für den Umgangsausschluss entscheiden kann, kann es gleichwohl die Verletzung des Elternrechts gem. Art. 6 II GG u.a. dann feststellen, wenn diese Verletzung schwerwiegend war.
  3. Bei der Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag hat eine Beurteilung der Erfolgsaussichten zu Beginn des Verfahrens zu erfolgen und nicht erst im Nachhinein.

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Urteil

 

Gericht         : BVerfG
Datum           : 05.12.2008
Aktenzeichen    : 1 BvR 746/08   
Leitparagraph   : GG Art. 3, GG Art. 6, GG Art. 20, BGB §1648, FGG §50b
Quelle          : FamRZ 2009, S. 399
Kommentiert von : RA Georg Rixe

Inhalt:

Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

 

Der Beschwerdeführer (Bf.) wandte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Ausschluss des Umgangs mit seiner 1999 geborenen Tochter für die Dauer eines Jahres. Nach Ablauf des Umgangsausschlusses begehrte er die Feststellung einer schwerwiegenden Grundrechtsverletzung. Darüber hinaus wandte er sich gegen die Zurückweisung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem OLG. Das BVerfG gab der vom Verfasser für den Bf. eingelegten Verfassungsbeschwerde in allen Punkten statt.

Das BVerfG begründet seine Entscheidung wie folgt

  1. Die Verfassungsbeschwerde sei auch nach Ablauf der Frist für den Ausschluss des Umgangs zulässig, da der Bf. ein Interesse an der Feststellung der schwerwiegenden Verletzung seines Elternrechts gem. Art. 6 II GG durch das BVerfG habe. Die erfolgte Grundrechtsverletzung betreffe den Bf. existentiell, da mit dem Umgangsausschluss die Gefahr der Entfremdung von seinem Kind verbunden sei
  2. Das BVerfG sieht die Verfassungsbeschwerde auch als begründet an. Es wiederholt seine ständige Rechtsprechung, wonach das Umgangsrecht des Nichtsorgeberechtigten ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Elternrechts des Art. 6 II GG stehen. Könnten sich die Eltern nicht über die Ausübung des Umgangsrechts einigen, hätten die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Danach muss der Sorgeberechtigte den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zulassen und ermöglichen. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangsrechts ist nur zulässig, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren.

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Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist der Grundrechtsschutz auch durch die Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen. Die Gerichte müssen deshalb ihr Verfahren so ausgestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage an einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können. Die Gerichte haben deshalb Kinder grundsätzlich ab dem 3. Lebensjahr persönlich anzuhören, um sich einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen. Wollen die Gerichte von fachkundigen Feststellungen und fachlichen Wertungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen abweichen, müssen sie anderweitig über eine zuverlässige Grundlage für die am Kindeswohl orientierte Entscheidung verfügen.

Diese Maßstäbe hatten die Gerichte im vorliegenden Fall schwerwiegend verletzt. Das BVerfG beanstandete insbesondere, dass die Gerichte von einem Sachverständigengutachten aus 2004 abgewichen sind, ohne ein neues Gutachten einzuholen, um sich damit eine zuverlässige Grundlage für die Notwendigkeit eines Umgangsausschlusses zu verschaffen. Des Weiteren hätten die Gerichte aus verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen eine Kindesanhörung unterlassen, die es ihnen ermöglicht hätte, sich einen persönlichen Eindruck von den Bindungen des Kindes zu verschaffen. Hinzu komme, dass die Gerichte es in unvertretbarer Weise unterlassen hätten, eine begleitete Umgangsanbahnung und die Einrichtung einer Umgangspflegschaft zu prüfen, bevor sie den Umgang völlig ausschlossen. Schließlich falle ins Gewicht, dass das OLG die Eltern nicht persönlich angehört habe, um die Möglichkeit eines – ggf. betreuten – Umgangs vor der Möglichkeit des Umgangsausschlusses zu ermitteln.

3. Die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe verstieß nach Auffassung des BVerfG darüber hinaus gegen Art. 3 I GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, weil das Gericht die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht zu Beginn des Verfahrens bewertet hatte, sondern die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ohne nähere Begründung zusammen mit der Hauptsacheentscheidung erfolgte.

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Fazit

 

Die Entscheidung des BVerfG betont erneut, dass ein Umgangsausschluss einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Elternrecht sowie das Kindesrecht darstellt, sodass die Prüfung milderer Maßnahmen und die Einhaltung der Verfahrensvorschriften besonders strikt zu erfolgen hat. Vor diesem Hintergrund erweiterte das BVerfG seine Prüfungsbefugnis auch auf Fallgestaltungen, in denen vor Ergehen seiner Entscheidung die Frist für den Umgangsausschluss bereits abgelaufen war. Das BVerfG billigte schließlich auch nicht die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, die zu einer Verkürzung des Anspruchs der Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz führte. Insgesamt ist festzustellen, dass das BVerfG auf Grund seiner Prüfungstiefe in Sorge- und Umgangssachen wirkungsvollen Rechtsschutz gewährt. Es ist Aufgabe der Fachgerichte, die vom BVerfG herausgearbeiteten differenzierten Anforderungen an das Verfahren und die Entscheidung zu beachten.