Elternunterhalt - BGH - 09.03.2016

 

1. Bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit für die Zahlung von Elternunterhalt ist ein von dem Unterhaltspflichtigen zusätzlich geschuldeter Betreuungsunterhalt nach § 1615 l BGB (gegenüber der nichtehelichen Lebensgefährtin mit der er ein Kind hat) eine vorrangige sonstige Verpflichtung i. S. d. 1603 BGB und somit von dessen Einkommen abzuziehen. Auf einen Familienselbstbehalt – wie bei Ehegatten – kann sich der Unterhaltspflichtige, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebt, nicht berufen.

2. Ein elternbezogener Grund zur Verlängerung des Betreuungsunterhaltes gegenüber der nichtehelichen Lebensgefährtin kann auch darin liegen, dass ein Elternteil – nichteheliche Lebensgefährtin – das gemeinsame Kind im weiterhin fortdauernden Einvernehmen mit dem anderen Elternteil persönlich betreut und deshalb voll oder teilweise an einer Erwerbstätigkeit gehindert ist. Dem unterhaltspflichtigen Kind (gegenüber seinem Elternteil) ist eine Mitwirkung an einer solchen Gestaltung der nichtehelichen Gemeinschaft nach den Grundätzen von Treu und Glauben nur dann verwehrt, wenn sie rechtsmissbräuchlich erscheint (BGH~ FamRZ 2007, Seite 1081).

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 09.03.2016
Aktenzeichen: XII ZB 693/14
Leitparagraph: BGB §§ 1603, 1609, 1615 l
Quelle: www.bundesgerichtshof.de

Kommentierung:

Der im Jahr 1941 geborene Vater des evtl. unterhaltspflichtigen Kindes wird von einem Pflegedienst betreut. Die Kosten trägt zunächst der Sozialhilfeträger und verlangt von dem Sohn Elternunterhalt. Dieser lebt in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, aus der eine im Dezember 2008 geborene Tochter hervorgegangen ist. Die Lebensgefährtin ist geschieden, hat zwei Kinder aus erster Ehe, die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt leben. Die Lebensgefährtin betreut im Einvernehmen mit ihrem Lebensgefährten alle drei Kinder – einschließlich des jüngsten gemeinsamen Kindes.

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner zur Unterhaltszahlung gegenüber seinem Vater verpflichtet. Dabei könne sich der Antragsgegner nicht – wie ein verheirateter Unterhaltsschuldner – auf einen sogenannten erhöhten Familienselbstbehalt entsprechend der gefestigten Rechtsprechung des BGH bei Eheleuten berufen, weil er seiner Lebensgefährtin gegenüber nicht zum Familienunterhalt verpflichtet sei (Einzelheiten der Unterhaltshöhe und der Berechnung sind an dieser Stelle nicht von Bedeutung, jedenfalls nicht für die grundsätzlichen Erwägungen des BGH). Das Oberlandesgericht hat die Entscheidung des Amtsgerichtes im Wesentlichen bestätigt und die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

Der BGH hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der BGH bestätigt zwar, dass bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine Berufung auf einen erhöhten Familienselbstbehalt nicht möglich ist, schreibt jedoch dem OLG ins Stammbuch, dass bei der Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Elternunterhalt – auch über das dritte Lebensjahr eines nichtehelichen gemeinsamen Kindes hinaus – ein Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1615 l BGB bestehen kann, was von den Vorinstanzen jedoch gänzlich übersehen wurde. Ein solcher Betreuungsunterhaltsanspruch der nichtehelichen Lebensgefährtin gegenüber ihrem Lebensgefährten würde bei der Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens zu berücksichtigen sein, sich wohl leistungsmindernd auswirken und somit möglicherweise sogar zur Leistungsunfähigkeit führen. Da das OLG diesen Gesichtspunkt überhaupt nicht bedacht hatte, war die Angelegenheit zurückzuverweisen.

Im Gegensatz zum OLG ist ein etwaiger Betreuungsunterhaltsanspruch der kinderbetreuenden Mutter des nichtehelichen Kindes zu beachten und mindert die Leistungsfähigkeit des zum Elternunterhalt verpflichteten. Der BGH führt aus, dass grundsätzlich ein Betreuungsunterhaltsanspruch der Mutter eines nichtehelichen Kindes mit dem dritten Lebensjahr des Kindes endet, es sei denn kindsbezogene oder elternbezogenen Gründe liegen vor. Zwar sind keine kindsbezogenen Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhaltsanspruches ersichtlich bzw. dargelegt, aber die Tatsache, dass die zusammenlebenden Eltern entschieden haben, dass die Mutter des nichtehelichen Kindes die Betreuung übernimmt, stellt einen elternbezogenen Grund dar einen monetären Unterhaltsanspruch anzunehmen. Allein die Betreuung eines gemeinsamen Kindes – unabhängig von der Betreuung der Kinder aus erster Ehe – ist anzuerkennen, mit der Folge, dass eine Erwerbsobliegenheit der Kindsmutter nicht besteht. Auch liegt hierin kein Missbrauch gegenüber dem Sozialhilfeträger, da in den Vorinstanzen nicht ausreichend der Betreuungsumfang des gemeinsamen Kindes ermittelt wurde. Um den etwaigen Betreuungsunterhaltsanspruch – als Abzugsposten beim Elternunterhaltsanspruch – ermitteln zu können, bedarf es noch weiterer Erhebungen, die nicht vom BGH vorzunehmen sind.

Das OLG wird nunmehr auf Hinweis des BGH den Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1615 l BGB ermitteln müssen. Dazu hat der Antragsgegner zum Einkommen, zu etwaigen Kapitaleinkünften und zum Bedarf seiner Lebensgefährtin substantiiert vorzutragen, wobei der vom Antragsgegner seiner Lebensgefährtin gewährte Naturalunterhalt zu monetarisieren – in Geld auszudrücken – ist. Der Betreuungsanteil für die beiden ehelichen Kinder ist nicht zu berücksichtigen. Zusätzliche Altersvorsorge in Höhe von 5 % des Bruttoeinkommens ist nur zu berücksichtigen, wenn auch tatsächlich eine solche Altersvorsorge betrieben wird. Abschließend weist der BGH noch darauf hin, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG auch für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft mit Kindern eröffnet ist. Art. 6 GG ist jedoch nicht dadurch verletzt, dass ein Familienselbstbehalt nicht zu gewähren ist, der Schutzbereich wird gewahrt durch die Berücksichtigung eines etwaigen Betreuungsunterhaltes. Wegen des verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderungsauftrages ist der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Die Ehe darf insoweit besser gestellt werden als eine nichteheliche Lebensgemeinschaft (BVerfG, FamRZ 2013, Seite 1103). Zwar dürfen nichteheliche Kinder grundsätzlich nicht schlechter gestellt sein als eheliche Kinder, in der rechtlichen Ausprägung der Eltern untereinander kann und darf es jedoch auch unterschiedliche Ausprägungen geben.

An dieser Stelle auch der Hinweis: Der Unterhaltsanspruch nach § 1615 l BGB und der des § 1570 BGB bei ehelicher Betreuung sind gerade nicht identisch, es gibt weiterhin Unterschiede, die nach der Auffassung des BGH auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.