Namensrecht - BGH - 25.01.2023

  1. Wird die Beschwerde in einer Familiensache beim nicht empfangszuständigen Oberlandesgericht eingelegt und entscheidet dieses trotz Unzulässigkeit der Beschwerde in der Sache, so kann das Rechtsbeschwerdegericht wegen der versäumten Beschwerdeeinlegungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, wenn das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers offenkundig ist und die zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung ausreichende Übersendung der Akten an das Amtsgericht von Amts wegen zu erfolgen hatte. Das Rechtsbeschwerdegericht kann in diesem Fall die Aktenübersendung selbst veranlassen.
  2. Die Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung ist nur dann für das Kindeswohl erforderlich, wenn gewichtige, über die mit der Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundene typische Interessenlage hinausgehende Gründe hierfür vorliegen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 24. Oktober 2001 - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94). Von einer ohne Einbenennung entstehenden Gefährdung des Kindeswohls ist die Ersetzung der Einwilligung hingegen nicht abhängig (teilweise Aufgabe der Senatsbeschlüsse vom 10. März 2005 - XII ZB 153/03 - FamRZ 2005, 889 und vom 9. Januar 2002 - XII ZB 166/99 - FamRZ 2002, 1330).

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 25.01.2023
Aktenzeichen: XII ZB 29/20
Leitparagraph: § 1618 BGB
Quelle: www.bundesgerichtshof.de

Kommentierung:

Ein 2008 ehelich geborenes Kind, welches den Nachnamen des Vaters trägt, wollte (in Vertretung die Kindsmutter) nach der Scheidung im Jahr 2010 und der Wiederverheiratung der Kindsmutter den Namen des neuen Ehemannes annehmen und wollte hierzu die Einwilligung des Kindsvaters (§ 1618 BGB). Das Kind war zu diesem Zeitpunkt 11 Jahre alt.

Das OLG Frankfurt a.M. (FamRZ 2020, Seite 591) hat die Namensänderung zum Wohl des Kindes gemäß § 1618 Abs. 4 BGB für erforderlich gehalten und die fehlende Einwilligung des Kindsvaters ersetzt. Nach Auffassung des OLG reiche eine „Erforderlichkeit“, es bedarf keiner „Gefährdung“ des Kindeswohles. Auch zur Erforderlichkeit bedarf es außerordentlicher Belastungen des Kindes im Einzelfall. Diese ist gegeben, wenn eine Namensänderung des Kindes solche Vorteile mit sich bringt, dass die Aufrechterhaltung des Namensbandes zum anderen Elternteil nicht zumutbar erscheint. In diese Abwägung hat das OLG miteinbezogen, dass das Kind seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zum Vater hatte, was dem Willen des Kindes entsprach. Zudem seien die Belastungen des Kindes durch die Namensverschiedenheit schwerwiegend, diese gingen über bloße Unannehmlichkeiten hinaus. Das Kind war auch in der Anhörung, wenn es um die Namensfrage ging, stetig den Tränen nahe. Es gab auch ein Geschwisterkind aus der neuen Ehe eben mit anderem Namen. Auch der Kindeswille mit 11 Jahren war zu berücksichtigen. Insoweit hat sich das OLG auf die Anhörung in erster Instanz gestützt und keine eigene Anhörung durchgeführt.

Der BGH stellt fest, dass die Entscheidung des OLG auf Ersetzung der Zustimmung des Vaters rechtlicher Nachprüfung nicht standhält, verweist darauf, dass offensichtlich Überlegungen zum „Doppelnamen“ gemäß § 1618 Satz 2 Halbsatz 1 BGB nicht angestellt wurden und auch eine Anhörung des Kindes in 2. Instanz unerlässlich gewesen ist. Der BGH stellt mit seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass durch die Namensdifferenz außerordentliche Belastungen des Kindes notwendig sind, um die Erforderlichkeit der Einbenennung zu bejahen. Als für das Kindeswohl erforderlich ist eine Einbenennung danach zur anzusehen, wenn andernfalls schwerwiegende Nachteile für das Kind zu befürchten wären oder die Einbenennung zumindest einen so erheblichen Vorteil für das Kind darstellen würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Einhaltung des Namensbandes nicht bestehen würde (BGH, FamRZ 2002, Seite 94,95). Eine „wünschenswerte“ Namensänderung reicht hierzu nicht. Dies wird schon daraus deutlich, dass im Jahr 1998 in § 1618 der Wortlaut von „Kindswohldienlichkeit“ auf „Kindswohlerforderlichkeit“ verschärft wurde. Die Namensverschiedenheit in einer Stieffamilie ist eine typische Interessenlage, die nicht ausreichend sein kann. Soweit der BGH über die genannten Notwendigkeiten hinaus erst dann es als erforderlich gesehen hat, wenn konkrete Umstände vorliegen, die das Kindeswohl gefährden, und wenn die Einbenennung daher unerlässlich ist, um Schaden von dem Kind abzuwenden, hält hieran der BGH nicht mehr fest (so noch BGH, FamRZ 2005, Seite 889 und FamRZ 2002, Seite 1330 und auch zuletzt OLG Saarbrücken, FamRZ 2022, Seite 1196), wie auch schon OLG Frankfurt, FamRZ 2022, Seite 264 ff.. Dies begründet der BGB nunmehr damit, dass eine Kindswohlgefährdung, welche z. B. bei schwerwiegenden Eingriffen in das Elternrecht nach § 1666 BGB die Eingriffsschwelle darstellt, in § 1618 BGB so nicht normiert ist, obgleich in anderen Normen gerade diese Entscheidung getroffen wird. Neben diesen Vorgaben hätte das OLG zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch die Möglichkeit des Doppelnamens als mildere Maßnahme prüfen müssen, denn so darf die Einwilligung nicht ersetzt werden, wenn durch einen Doppelnamen (additive Einbenennung) ebenso die berechtigten Interessen des Kindes gewahrt werden.

Weil das OLG insoweit keine ausreichende Sachaufklärung durchgeführt hat (Anhörung des Kindes) und auch unabhängig vom langen fehlenden Kontakt des Kindes zum Vater die Aufrechterhaltung des Bandes zum Vater auch durch das Namensrecht gefördert wird, und die Möglichkeit des Doppelnamens nicht in Betracht gezogen hat, verweist der BGH an das OLG zurück. Es durfte vom OLG auch nicht offengelassen werden, warum das Kind den Kontakt zum Vater ablehnt, ein durch ein Elternteil maßgeblich beeinflusster Kindeswille ist grundsätzlich nicht beachtlich (BGH, FamRZ 2010, Seite 1060). Auch das wird das OLG zu klären haben. Auch muss sich das OLG hinsichtlich der entscheidungserheblichen außerordentlichen Belastungen des Kindes durch die Namensverschiedenheit ein persönliches Bild machen und daher eine eigene Kindswohlanhörung durchführen (BGH FamRZ 2017, Seit 1668).

Auch wenn der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung ohne Einschränkung (Hilfsantrag auf Doppelname) gestellt wurde, muss das Gericht auf die Möglichkeit eines solchen Hilfsantrages hinweisen, was nicht erfolgt ist.

Mit dieser Entscheidung stellt der BGH klar, dass für die Umbenennung entgegen bisheriger Entscheidungen keine Kindswohlgefährdung vorliegen muss, jedoch die gesetzlich vorgeschriebene Erforderlichkeit im Einzelfall sehr genau geprüft werden muss, dies unter Einbezug aller Einzelfallumstände. Siehe hierzu auch Merkblatt Nr. 84 des Verbandes ISUV.