Schmerzensgeld - OLG - 25.01.2022
§ 207 BGB soll den Familienfrieden vor Störungen durch klageweise Geltendmachung von Ansprüchen schützen. Dazu stünde im Widerspruch, wenn der geschädigte Ehegatte nach einem erfolgten Versöhnungsversuch mit dem anderen Ehegatten zur Vermeidung des Eintritts von Verwirkung zur zeitnahen Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen nach einer häuslichen Auseinandersetzung angehalten wäre.
Beschluss:
Gericht: OLG Nürnberg
Datum: 25.01.2022
Aktenzeichen: 11 UF 801/21
Leitparagraph: § 207 BGB
Quelle:NZFam 2022, Seite 475
Kommentierung:
Der Ehemann hat im Februar des Jahres 2017 der Ehefrau anlässlich eines Streites eine Nasenbeinfraktur zugefügt. Nachdem der Ehefrau zunächst nach dem Gewaltschutzgesetz die gemeinsame Wohnung zugewiesen war, haben sich die Eheleute versöhnt, der Ehemann ist im Mai 2017 wieder eingezogen. Die endgültige Trennung der Eheleute erfolgte dann Mitte 2020, die Ehefrau hat wegen der Verletzungshandlung im Jahr 2017 Schmerzensgeld geltend gemacht sowie den Ersatz von Behandlungs- und Anwaltskosten. Der Ehemann hat sich auf Verwirkung berufen und zusätzlich eingewandt, er habe in Notwehr gehandelt. Das Amtsgericht – Familiengericht – hat den Antrag der Ehefrau abgewiesen. Hiergegen hat die Ehefrau Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt.
Das OLG hat entschieden, dass der Ehemann das Vorliegen einer Notwehrsituation nicht hat beweisen können. Das OLG hat auch eine Verwirkung wegen des Zeitabstandes von mehr als 3 Jahren zwischen Verletzungshandlung und Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs nicht bestätigt. Verwirkung setzt voraus, dass man sich wegen Untätigkeit des Anderen bei objektiver Betrachtung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Allein das erneute Zusammenleben stellt keinen Verzicht auf bereits entstandene Schmerzensgeldansprüche dar, auch kann der Versöhnungsversuch für sich genommen nicht dazu führen, dass der Ehemann dauerhaft davon ausgehen konnte und durfte, dass die Ehefrau ihre Schmerzensgeldansprüche nicht weiterverfolgt. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber in § 207 BGB eine Hemmung der Verjährung von Ansprüchen zwischen Eheleuten gesetzlich normiert. Eine Verwirkung ist zwar während der Verjährungshemmung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, die Norm wäre jedoch sinnentleert, wenn schon bei Vorliegen eines Versöhnungsversuchs Verwirkung einträte. Durch die Verjährungshemmung soll der Familienfrieden geschützt werden. Würde jetzt die Ehefrau aufgrund einer Gefahr der Verwirkung gehalten sein, ihre Ansprüche geltend zu machen, würde dieser Rechtsgedanke unterlaufen werden. Es bedürfe weiterer, aus dem Verhalten der Ehefrau abgeleitete Umstände, um beim Ehemann ein schutzwürdiges Vertrauen auszulösen. Der reine Zeitablauf seit der Versöhnung reicht hierfür nicht.
Das OLG hat dann noch die Schmerzensgeldhöhe reduziert (unterhalb der für Nasenbeinfrakturen üblichen Schmerzensgeldbeträge), dies im Hinblick auch darauf, dass der sogenannte Genugtuungsgedanke aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr so stark wirkt, wie wenn der Anspruch zeitnah geltend gemacht worden wäre.
Die Kürzung des Schmerzensgeldanspruchs durch das OLG erscheint fragwürdig, da ja hierüber wiederum dem Geschädigten letztendlich auferlegt wird – auch und insbesondere während der Verjährungshemmung bei einer Ehe und bei Versöhnungsversuchen – derartige Schmerzensgeldansprüche zeitnah weiterzuverfolgen. Dies widerspricht auch dem Rechtsgedanken des BGB, wonach gerade im ersten Trennungsjahr Eheleuten Versöhnungsversuche ermöglicht werden sollen. Wenn dann aber parallel gerichtliche Verfahren wegen Schmerzensgeld geführt werden, um nicht eine Kürzung des Schmerzensgeldes befürchten zu müssen, erscheint dies kontraproduktiv. Richtigerweise hat das OLG eine Verwirkung des Schmerzensgeldanspruches abgelehnt, aber nach diesseitiger Auffassung durch die Kürzung des Schmerzensgeldes seine vorherige Linie verlassen. Ob andere Gerichte in diesen Fällen eine Kürzung des Schmerzensgeldes vornehmen, bleibt abzuwarten, nach diesseitiger Auffassung ist eine solche Kürzung nicht gerechtfertigt.