Volljährigenunterhalt - BGH - 01.03.2006

Urteil 108 b
Voljährigenunterhalt
BGH, Urteil vom 1.3.2006, Az. XII ZR 230/04 - §§ 1602 Abs. 1, 1610, 1612 b Abs. 3 BGB
mitgeteilt von RA Simon Heinzel, Fachanwalt für Familienrecht, Nürnberg
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Suchworte: Unterhalt - Kindesunterhalt - Volljährigenunterhalt - Kindergeldanrechnung
:: Leitsatz ::
Das staatliche Kindergeld wird bei jedem volljährigen Kind in voller Höhe angerechnet.
I. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Die Parteien streiten um die Abänderung eines Unterhaltsvergleichs. Der Vater hatte sich im Jahr 2002 dazu verpflichtet, an seine minderjährige Tochter einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 269 Euro zu bezahlen. Mit der Abänderungsklage begehrt der Vater den Wegfall der gesamten Unterhaltsverpflichtung ab Volljährigkeit der Tochter, weil diese abzüglich einer Ausbildungspauschale eine Ausbildungsvergütung erhält, die den Unterhaltsbedarf bis auf 147,31 Euro deckt. Nach Auffassung des Vaters ist das gesamte Kindergeld anzurechnen (154 Euro), so dass kein Unterhaltsanspruch mehr besteht.
Die Tochter hat anerkannt, dass der Unterhalt zu beziffern ist auf 147,31 Euro abzüglich hälftiges Kindergeld 77,00 Euro.
Die volljährige Tochter lebt im Haushalt der Mutter, diese ist mangels Leistungsfähigkeit nicht verpflichtet, sich am Barunterhalt zu beteiligen, auch nicht mit einer Quote.
Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben, wonach kein Unterhalt mehr geschuldet ist. Auf die Berufung der Tochter hat das OLG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage lediglich in dem von der Tochter anerkannten Umfang stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Vaters.
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils, wonach der Vater keinen Unterhalt mehr schuldet.
II. Der BGH begründet seine Entscheidung wie folgt:
#Rechtsauffassung des OLG:
+Nach Auffassung des OLG (OLG Nürnberg) sei die hälftige Aufteilung des Kindergeldes auf beide Elternteile auch dann gerechtfertigt, wenn ein Elternteil zwar keinen Barunterhalt leiste, das unterhaltsbedürftige volljährige Kind aber bei ihm wohne. Dies sei jedenfalls dann sachgerecht, wenn der Unterhaltspflichtige wegen des eigenen Einkommens des unterhaltsberechtigten Kindes nur noch einen geringen Teil des Unterhaltsbedarfes decken muss. In diesen Fällen unterscheide sich die Leistung des allein barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht mehr wesentlich von der des anderen Elternteils, bei dem zwar die Betreuungspflicht weggefallen ist, die bisherige Versorgung jedoch tatsächlich weiterhin erbringt.
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#Entscheidung und Begründung des BGH:
+Diese Ausführungen des OLG halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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+Der BGH hat bereits €“ nach Verkündung des Urteils des OLG €“ entschieden, dass ein für ein volljähriges Kind gezahltes Kindergeld auch dann in voller Höhe auf dessen Unterhaltsbedarf anzurechnen ist, wenn das Kind bei dem, mangels Leistungsfähigkeit, nicht barunterhaltspflichtigen anderen Elternteil wohnt (BGH, Urteil v. 26.10.2005, FamRZ 2006, Seite 99, siehe ISUV-Report März 2006 = Nr. 107, Seite 14 ff.).
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+Mit den Unterhaltsleistungen des allein (bar-)unterhaltspflichtigen Elternteils ist der gesamte Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes gedeckt. Daneben ist kein Raum für weitere Unterhaltsansprüche gegen den nicht leistungsfähigen anderen Elternteil. Erbringt dieser nicht leistungsfähige Elternteil gleichwohl Naturalleistungen durch Wohnungsgewährung oder im Rahmen der gemeinsamen Haushaltsführung dem volljährigen Kind, ist dies nicht als unentgeltlich anzusehen. Das Kind kann ein Entgelt für diese Leistungen aus dem €“ voll bedarfsdeckenden €“ Barunterhalt des anderen Elternteils erbringen. Es kann im Umfang der Leistungen aber auch auf die Auskehr des ihm zustehenden Kindergeldes verzichten (vgl. § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 82 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Ob das Kind dem nicht barunterhaltspflichtigen Elternteil das ausgezahlte Kindergeld belässt, oder ob es Naturalleistungen mit dem vom Vater erhaltenen übrigen Barunterhalt bezahlt, ist letztlich unerheblich. Nur soweit der nicht barunterhaltspflichtige Elternteil Naturalleistungen erbringt, die das an ihn gezahlte Kindergeld übersteigen, leistet er über den voll abgedeckten Unterhaltsbedarf hinaus. Wenn er jedoch hierfür keinen weiteren Ausgleich (früher genannt Kostgeld) von dem volljährigen Kind verlangt, handelt es sich um freiwillige Leistung, die auf die Unterhaltslast des anderen Elternteils keinen Einfluss haben (BGH, FamRZ 2006, Seite 99). Hieran hält der Senat fest.
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+Der Unterhaltsbedarf der volljährigen Tochter (Ausbildungsvergütung abzüglich Ausbildungspauschale) beträgt 147,31 Euro, nach Auffassung des BGH ist das volle Kindergeld in Höhe von 154 Euro hierauf anzurechnen, sodass kein Unterhaltsanspruch mehr verbleibt. Das erstinstanzliche AmtsG hat deshalb der Klage auf Wegfall der Unterhaltspflicht zurecht stattgegeben, sodass das Urteil des OLG Nürnberg aufzuheben und das amtsgerichtliche Urteil wiederherzustellen war.
III. Fazit:
Die Problematik der Anrechnung des Kindergeldes bei volljährigen Kindern hat der BGH grundsätzlich mit Urteil vom 26.10.2005, Az. XII ZR 34/03, FamRZ 2006, Seite 99, ISUV-Report März 2006, Seite 14 ff., entschieden. Ungeachtet dessen entbrannte Diskussion darüber, ob dieses Urteil auf alle volljährigen Kinder anzuwenden ist, egal, ob diese bei einem Elternteil leben oder nicht, egal, ob sie bereits eigene Einkünfte erzielen oder nicht, ob das volljährige Kind ein sogenanntes privilegiertes volljähriges Kind im Alter zwischen 18 und 21 Jahren und in allgemeiner Schulausbildung befindlich ist oder nicht. Der Verfasser war bereits mit der Entscheidung des BGH vom 26.10.2005 der wohl nunmehr mit dem hier besprochenen Urteil bestätigten Auffassung, dass die Vollanrechnung des Kindergeldes auf den Bedarf für alle volljährigen Kinder zu gelten hat (siehe hierzu ISUV-Report, März 2006 = Nr. 107, unter Ziff. III: Fazit). Es gilt zu bedenken, dass die zweite Instanz (OLG Nürnberg) bereits am 8. November 2004 geurteilt hat, somit lange vor dem Urteil des BGH vom 16.10.2005. Das hiesige BGH Urteil erscheint daher als Bestärkung und Manifestierung des vorausgegangenen BGH-Urteils vom 26.10.2005.
Auch andere OLG haben vor dem 26.10.2005 noch andere Entscheidungen gefällt, insbesondere bei privilegierten volljährigen Kindern, die im Haushalt eines Elternteils leben, welcher aber nicht zur Zahlung von Barunterhalt leistungsfähig ist (OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2005, Az. 11 WF 257/05, FuR, 2006, Seite 186). Die Entscheidung des OLG Hamm widerspricht ebenso der Grundsatzentscheidung des BGH vom 26.10.2005, nach Auffassung des Kommentators in der FuR 2006, Seite 186 soll jedoch der Rechtsauffassung des OLG Hamm der Vorzug vor der BGH-Entscheidung zu geben sein (siehe auch Scholtz, FamRZ 2006, Seite 106 ff. bzw. FuR 2006, Seite 76 ff. insbesondere Seite 80). Hieran erkennt man, wie kontrovers die Grundsatzentscheidung des BGH, vom 26.10.2005 gesehen wird, das neuere Urteil des BGH nunmehr vom 1.3.2006, Az. XII ZR 230/04, ist jedoch in seiner Deutlichkeit nicht zu überbieten, sodass es zwar auch in Zukunft Kritiker dieser Rechtsprechung geben wird, die Instanzgerichte jedoch sich die höchstrichterliche Rechtsprechung wohl zu eigen machen. Die Kritiker sind der Auffassung, dass sich der BGH gegen den Willen des Gesetzgebers stelle, der die Halbanrechnung des Kindergeldes auch bei unterschiedlichen Haftungsanteilen vorgesehen hat, um dem steuerlichen Halbteilungsgrundsatz Rechnung zu tragen. Dem Argument begegnet jedoch nunmehr der BGH damit, nach Auffassung des Verfassers auch völlig zurecht, dass das Kind sich entscheiden kann zwischen dem Belassen des Kindergeldes bei dem nicht barunterhaltsfähigen Elternteil oder ob das Kind dann eben an denjenigen Elternteil, bei dem es lebt, Teile seiner Ausbildungsvergütung zu bezahlen hat für €žKost und Logis€œ. Anderes kann auch nicht gelten für volljährige Kinder, die noch zur Schule gehen, in diesem Fall ist ebenso der ermittelte Unterhaltsbedarf (selbstverständlich ohne Ausbildungsvergütung, da eine solche nicht bezahlt wird) um das volle Kindergeld zu kürzen, da es letztendlich die Entscheidung des Kindes ist, dem Elternteil, bei dem es wohnt, das Kindergeld zu belassen.
Mit der Entscheidung des BGH vom 01.03.2006 hat der BGH nochmals deutlich zu verstehen gegeben, dass bei jedwedem Volljährigenunterhalt das gesamte Kindergeld auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen ist.