Wechselmodell | Gerichtliche Umgangsregelung setzt eine Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus - BGH - 01.02.2017

  1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.
  2. Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 15. Juni 2016 XII ZB 419/15 FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen.
  3. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.
  4. Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 XII ZB 419/15 FamRZ 2016, 1439).

Beschluss:
Gericht: BGH
Datum: 01.02.2017
Aktenzeichen: XII ZB 601/15
Leitparagraph: BGB §§ 1684, 1697a
Quelle: NZFam 2017, Seite 2016 | FamRZ 2017, Seite 532

Kommentierung:

Die Betreuung von Kindern im Wechselmodell wird immer häufiger bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern. Nachdem die Instanzgerichte (siehe ISUV-Report Nr. 151, Seite 20) zur Frage der rechtlichen Einordnung und zur Frage, ob gegen die Willen eines Elternteils ein Wechselmodell durch ein Gericht „installiert“ werden kann, noch eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten haben, hat der BGH in seiner bedeutsamen Entscheidung festgehalten, dass auch in Umgangsverfahren (Hauptsacheverfahren oder einstweilige Anordnungen) ein Wechselmodell angeordnet werden kann – auch gegen den Willen eines Elternteiles – wenn es dem Kindeswohl entspricht. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2015 (NZFam 2015, Seite 755) entschieden, dass es für den Gesetzgeber keine Pflicht gäbe, das Wechselmodell als Regelfall einzuführen. Der BGH hat nunmehr letztendlich gegen die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung, entschieden, dass das Wechselmodell als Umgangsregelung zwischen den Eltern durch Gerichte angeordnet werden kann. Ausdrücklich ist formuliert, dass ein Wechselmodell nicht bereits bei entgegenstehendem Willen eines Elternteils scheitert (Gleichlauf mit der Rechtsprechung zur gemeinsamen elterlichen Sorge), sondern kindswohlabhängig ist. Unter Verweis auf die Rechtsprechung zur elterlichen Sorge widerspricht es jedoch dem Kindeswohl, wenn tiefgreifende Kommunikationsschwierigkeiten der Eltern vorliegen, ein Wechselmodell erfordert auch unter dem Blickwinkel des Kindeswohls eine enge Abstimmung der Eltern. Es soll und muss geprüft werden, ob die Eltern im Einzelfall in der Lage sind, ihren persönlichen Konflikt von der gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Elternrolle gegenüber dem Kind zu trennen und dieses von ihrem Streit zu verschonen. Auch nach Auffassung des BGH ist die Anordnung des Wechselmodells nicht geeignet, konfliktbehaftete Eltern durch ein Wechselmodell zu harmonischen Zusammenwirken in der Betreuung und Erziehung des Kindes zu veranlassen. Trotzdem wird in einem Halbsatz erwähnt, dass auch „zunächst versuchsweise“ das Wechselmodell angeordnet werden kann – insbesondere kurz nach der Trennung der Eltern – um die Bindung des Kindes an beide Eltern zu gewährleisten und die Belastung der Elterntrennung abzumildern. Darüber hinaus weist der BGH auf weitere wesentliche Kriterien bei der Kindeswohlprüfung hin, wie z. B. auf sichere Bindungen des Kindes, den geäußerten Kindeswillen und äußere Rahmenbedingungen, etwa eine gewisse Nähe der elterlichen Haushalte und die Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen. Deshalb ist auch die Anhörung des Kindes zwingend geboten.

Die Entscheidung des BGH ist sehr differenzierend und wird nur im Einzelfall umzusetzen sein. Eine gesetzliche Regelung für das Wechselmodell erscheint jedoch nicht mehr notwendig. Der BGH bietet praktisch für alle bisherigen Streitfälle einen rechtlich gangbaren Weg über das Umgangsrecht, was nicht ausschließt auch über das Sorgerecht zum Wechselmodell zu gelangen. Auf der anderen Seite stellt der BGH aber auch in streitigen Fällen – diese landen vor Gericht – hohe Hürden bei der Kindswohlprüfung auf. Der Verfasser glaubt nicht, dass durch diese BGH-Entscheidung in kürzester Zeit eine Vielzahl von Wechselmodellen in streitigen Angelegenheiten angeordnet werden – das wird jedoch die Handhabe der Instanzgerichte zeigen – aber das Thema des Wechselmodells kommt verschärft in den Focus und wird in den Instanzgerichten zumindest für weitere Überlegungen sorgen, nachdem in der Vergangenheit es sich die Instanzgerichte schon einfach gemacht haben, bei Ablehnung eines Elternteils das Wechselmodell von vornherein auszuschließen. Das wird es in Zukunft nicht mehr geben. Die bisherig ablehnende Haltung zum Wechselmodell wird hoffentlich in den Hintergrund gedrängt, da auch das Wissen der Eltern, es könnte von einem Gericht „verordnet“ werden, darauf hoffen lässt, dass der Blick auf die Bedürfnisse der Kinder mehr in den Vordergrund rückt.

Im Zusammenhang mit dem Grundsatzbeschluss des BGH vom 11.01.2017 (NZFam 2017, Seite 171, siehe nachfolgende Urteilskommentierung) zum Unterhalt bei Wechselmodell liegt zumindest nunmehr auch ein rechtliches Instrumentarium vor, bei dem sich in geeigneten Fällen die paritätische Betreuung bewältigen lässt. Ob mit den beiden wichtigen Entscheidungen des BGH zum Wechselmodell auch die Tür geöffnet ist in Fällen einer umfangreichen Mitbetreuung der der Kinder, die jedoch nicht die 50 : 50-Grenze für das paritätische Wechselmodell erreichen, um ggf. zu quotalen Unterhaltsberechnungen zu gelangen, bleibt abzuwarten. Auf der einen Seite wäre dies begrüßenswert, auf der anderen Seite droht die Gefahr, dass Umgangsverfahren noch häufiger von unterhaltsrechtlichen Interessen beeinflusst werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Entscheidung des BGH zum Wechselmodell im Rahmen einer gerichtlichen Umgangsregelung zwar ein weiterer Schritt in Richtung, zumindest „möglichem“ Wechselmodell ist, aber wohl nicht zu einem Regelfall führt. Die Hürden im Rahmen der Kindeswohlprüfung bleiben hoch, können natürlich auch von dem das Wechselmodell ablehnenden Elternteil provoziert werden (Streitsüchtigkeit/Kommunikationsunwilligkeit/Kooperationsunwilligkeit), um das Gericht dazu zu bringen, eine Kooperationsunfähigkeit/Kommunikationsunfähigkeit – welche gegen das Kindeswohl spricht – festzustellen und damit ein Wechselmodell nicht anzuordnen. Auch da werden Gerichte genau prüfen müssen, ob solche dem Kindeswohl widersprechenden Punkte nur vorgeschoben sind bzw. bewusst eingefädelt sind (wie etwa bei negativer Kindesbeeinflussung zum anderen Elternteil), oder tatsächlich vorliegen. Damit werden die Gerichte weiterhin ihre Schwierigkeit haben, sodass man die Entscheidung des BGH nicht zu „euphorisch“ bewerten darf (weiteres zu dieser Thematik in den Merkblättern Nr. 79 / 80 – Sorgerecht/Umgangsrecht – des Verbandes ISUV). Der DFGT (Deutscher Familiengerichtstag) hat am 09.03.2017 eine kritische Stellungnahme zu dieser Entscheidung des BGH verfasst, und sieht hohe Hürden für eine gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells (FamRZ 2017, Seite 584).