Muss ich mich vom Partner, von der Partnerin trennen?

Elke Naters und Sven Lager sind seit mehr als 25 Jahren ein Paar, schreiben Romane und Sachbücher, sie beraten Paare in ihrer „School of Love“ in Berlin.  Sie veröffentlichten in der WELT einen Artikel, der im Folgenden rezipiert und kommentiert wird. Es geht um die entscheidende Frage: „Muss ich mich trennen oder ist meine Beziehung noch zu retten?“

„Warum klammern sich Paare an unheilbare Beziehungen, während andere sich trennen, obwohl sie zusammenbleiben könnten? Oft, weil Hinweise falsch verstanden werden. Ein Text darüber, wie man es besser macht. In Deutschland liegt die Scheidungsrate bei rund 40 bis 50 Prozent, und da sind die Nichtverheirateten gar nicht mitgezählt, all die Beziehungen, die unnötig zerbrechen. Über 90 Prozent aller Beziehungen könnten erfüllend sein, gut, liebevoll, spannend, glauben wir als Paarmentoren. Perfekt ist keine Liebesbeziehung oder Ehe.

„Selten sollten sich Paare wirklich trennen“

Die Kernthese von Lager & Naters lautet: „Selten sollten sich Paare wirklich trennen.“ Aber manchmal geht es nicht anders, als Beispiel wird eine Janina genannt:  „Spätestens als er ihr die Schuld dafür gibt, dass er fremdgegangen ist. Sie ist an einen Narzissten geraten und hat es – wie viele – Jahre zu spät gemerkt. Liebe oder Empathie kann sie von ihm nicht erwarten.“ – Narzisst ist zu einem Narrativ geworden: Immer wenn die Beziehung scheitert, bekommt einer vom anderen – oder eben vom Teacher of Love - das Schild Narzisst umgehängt und somit die Legitimation die Beziehung zu beenden, möglichst mit gutem Gewissen: Der andere ist schuld.

Aber so einfach ist es nicht. Nobelpreisträger Herrmann Hesse, weltweit der am meisten gelesene deutsche Autor hat in seinem Roman „Narziß und Goldmund“, der in 33 Sprachen übersetzt wurde, zwei konträre Lebensentwürfe dargestellt, die Hesse als gleichberechtigt sehen will. Der eine – im Roman Narziß mit Namen, möglicherweise ironisch benannt - ist fromm und strebsam, der andere – im Roman Goldmund – ist sinnlich und voller Lebenslust. Wer von den Beiden ist nun der Narzisst? Hesses Motto lautet: „Sei du selbst!“ Ist das ein Motto des launisch-egoistischen Narzissten das Partnerschaft verhindert? Oder ist gerade dieses Motto förderlich für eine Partnerschaft? Im Kern des zeitlosen, tief bewegenden Romans steht die Suche nach dem Sinn des Lebens, dem wahren „Ich“, das Streben nach  Selbstverwirklichung.

Trotz aller Unterschiede sind Narziss und Goldmund miteinander ein Leben lang in Freundschaft verbunden. Im Roman veranschaulicht Hesse ohne moralischen Zeigefinger anhand der beiden Figuren die charakterlichen Gegensätze zwischen Geist und Sinnlichkeit, Fantasie und Verstand, zwischen Verzicht, Selbstbeschränkung und Lebenslust. Der Roman wurde gerade jetzt verfilmt, zufällig? Im Film wird – oberflächlich und nur ästhetizistisch – die unvergleichliche Schönheit von zwei Lebensentwürfen gezeigt. In Zeiten von Corona sicher zufällig, im Buch spielt die Pest eine große Rolle.-

Was würde Hesse den „Love-Teachers Lager & Naters“ auf die folgende Frage antworten? „Warum fällt es manchen so schwer, wirklich unheilbare Beziehungen abzubrechen, während Menschen aus absolut machbaren und fähigen Liebesbeziehungen getrennte Wege gehen und danach so lange darunter leiden?“ Ja, ja, wer entscheidet, ob es sich um eine „unheilbare Beziehung“ handelt? Ein Partner, beide Partner, der Psychologe auf der Reha, der Kurschatten, Laune, Lust, …? „Warum quälen sich manche Paare jahrelang mit Trennungsgedanken, die nicht nur unnötig, sondern auch zerstörerisch sind?“ Unnötige Trennungsgedanken, gibt es das, erwachsen Trennungsgedanken nicht aus der unbefriedigenden Realität? -
„Liebe ist kein Handel, sondern jede Beziehung beruht darauf, dass sich zwei Menschen möglichst lange auf ihrem Lebensweg begleiten, gegenseitig fördern, unterstützen und ergänzen. Klappt das trotz aller Hilfe nicht, kann Trennung eine gesunde Lösung sein.“ Das klingt sehr rational, sehr platonisch, abgeklärt. Ist es denn so, steckt hinter einer Trennung nicht mehr, treffen nicht oft unterschiedliche Charaktere – ein Narziß und ein Goldmund aufeinander, zwei unterschiedliche Charaktere mit entsprechenden Lebensentwürfen. Dabei ist der Ausgangspunkt der Beziehung Bewunderung für das Anderssein, was aber nicht Liebe ist, wie sich oft im gelebten und erlebten Alltag erst herausstellt. Und wer von den Beiden ist dann der beziehungsunfähige Narzisst?

"Ein starkes Team sein"

Love Teachers: „Meist brechen Beziehungen aber auseinander, weil da nicht genug Liebe ist, er mir nicht genug Liebe gibt, sie mir nie zuhört, wir keine Nähe mehr haben, wir zu verschieden sind, der andere mir nicht mehr gibt, was ich brauche. Bullshit! Wir treffen Paare, die so stark und gut zusammen in vielen Bereichen sind, aber wie Stiere ihre Hörner ineinander verkeilt haben wegen einiger Schwächen. Und weil sich diese Schwächen und Unfähigkeiten so groß und schmerzhaft anfühlen. Die Liebe zweier Menschen ruht auf zwei Beinen: der bestmöglichen, persönlichen Entwicklung und ein gutes Team zu sein.“ Aber, aber, wie hört sich das denn an? Vati und Mutti auf dem Tandem, mit Helm, immer die Hand an der Handbremse, wie langweilig, wie Kopf gesteuert, wie Endstation teurer Rotwein.

„Wir sind auch durch die Popkultur romantisch verblendet und denken, Liebe sei ja so mysteriös, weil wir diese transzendente Sehnsucht haben nach einer höheren Macht. Und das ist die Liebe auch, aber eben keine mit Nebelmaschine mit Diskolichtern und Schmetterlingen überall. Wir können lernen, ihre Kraft zu nutzen wie ein Segler den Wind.“ – Wie langweilig, wieder lernen, statt spontan erleben. -

„Gerade junge Paare mit kleinen Kindern sehnen sich danach, wieder ein starkes Team zu sein, also nicht nur für die Kinder, die Arbeit und den Alltag zu funktionieren, sondern sich nah zu sein, stark zusammen. Und das geht mit etwas Hilfe und Disziplin.“ Sicher sind Kinder ein Knackpunkt in einer Beziehung. Es geht weniger ums „Team“, sondern um die Liebebeziehung, insbesondere um Leidenschaft und um Sex.- „Geht“ es in der neuen Situation so einfach mit  „etwas Hilfe und Disziplin“?

„Ein guter Grund, sich zu trennen, ist neben emotionaler oder physischer Gewalt und Narzissmus, wenn man es wirklich nicht mehr hinbekommt, ein gutes Team zu sein.“ Ja, emotionale und physische Gewalt sind unbestritten ein Trennungsgrund. Wenn die Rede von Narzissmus ist, so ist das – wie gezeigt – ein Narrativ.

„Sex spielt eine untergeordnete Rolle“

„Sex spielt da eher eine untergeordnete Rolle“, sagen die Love Teachers. Nein, nein, Sex spielt eine zentrale Rolle, bricht sich je nach Paartypus schnell Bahn, manchmal erst nach Jahren, auch wenn man nach außen als gutes Team erscheint.

„Entfremdet hat sich ein Paar, wenn der Respekt und die Achtung füreinander flöten gegangen sind, das Begehren und Bewundern. Wenn sich beide oder einer einfach nicht mehr annähern, öffnen, zuhören und weiterentwickeln will. Was äußerst selten ist“, sagen die Teachers. Ist es nicht genau umgekehrt, ohne Sex gehen Respekt, …. verloren? Apropos „Weiterentwickeln“, ist das eine Frage des Willens oder nicht vielmehr des „Könnens“? Bremsen nicht Stress im Beruf, Frust im Alltag, Ausgepowert sein, Gesundheitsdefizite, … aus? -

„Die meisten Trennungen geschehen aus Unkenntnis und Unverständnis. Oder einfach: aus Blödheit, und das ist auch gar nicht unsere „Schuld“, weil uns niemand beigebracht hat, richtig zu lieben.“ – Sorry, bräuchten also alle Paare Love Teachers, die ihnen beibringen „richtig zu lieben“?  So, so, gab es das nicht schon einmal die Schule für die „richtige Liebe“ im Poona Ashram?

„Meist finden uns Frauen online, weil sie wissen, dass sich etwas in ihrer Ehe oder Beziehung ändern muss. Sie spüren die Dringlichkeit eher, die Männer folgen ihnen, und die Reise kann beginnen. Trennung ist dann schnell keine Bedrohung mehr, vor allem keine persönliche Drohung oder der Höhepunkt unbeholfener Streitdramen.“ Fakt ist, Dating Plattformen, Handy, Soziale Medien haben Fremdgehen leichtgemacht. Wer es darauf anlegt, fällt nicht mehr ins tiefe Loch, sondern rettet sich nahtlos von einer Beziehung in die andere.

So liest sich Werbung oder beschönigende Information: „In Gesprächen mit uns verschwindet das Gespenst der Trennung schnell wieder, weil sich die Beziehung, so anstrengend, schwer und hoffnungslos sie sich auch angefühlt hatte, mit einem Perspektivwechsel, den richtigen Erkenntnissen, Einsichten, Übungen und dem Etablieren neuer, gesunder Gewohnheiten, die zu anderen Haltungen führen, schnell verbessern konnte. Empfanden sich Paare eben noch als fremd, zu verschieden, einsam, blöd, beschämt, verloren und ungesehen, werden sie nach einigen Wochen wieder ein besseres Team und fühlen sich wohl miteinander. So hat ihre Beziehung schließlich auch angefangen. Alles ist da. Was einmal da war, kann auch wieder aktiviert werden.“ – Die Scheidungsrate lässt sich also senken mit bundesweit möglichst vielen „Schools of Love“ mit dem Label „Lager & Naters“.

„Wirklich trennen sollte man sich in extremen Fällen"

„Wirklich trennen sollte man sich in extremen Fällen wie Missbrauch, sowohl psychischem als auch körperlichem. Jede Form von Gewalt gegen einen Partner weist auf eine Menge verschleppter, persönlicher Probleme. Und vor allem der oder die Leidtragende sollte sich schnell verabschieden. Es ist keine Liebe zu jemandem, zu ertragen und auszugleichen, der sich selbst nicht ändern und helfen will.“ – Es gibt tatsächlich diese Konstellationen, in denen die Trennung der einzig richtige Weg ist, um nicht selbst krank zu werden.

„Das ist eher der klassische Helfer-Egoismus, der dem Kranken so wenig hilft wie dem Helfer. Wahre Liebe ist in diesem Fall: die unerschütterliche Härte, den anderen die Konsequenzen seiner schlechten und selbstbezogenen Entscheidungen spüren zu lassen. Das sind die harten Fälle, und leider gibt es davon noch zu viele, bei denen man „Run, Baby, run“ rufen möchte.“ -

"Wenn es zu langweilig wird"

„Und dann gibt es noch einen guten Grund, sich zu trennen: wenn es zu langweilig wird. Sagt meine Frau immer gerne.“ – Ja, ja Langeweile ist ein ganz weites Feld, was nämlich für den einen Langweile ist, kann für den anderen Kurzweil sein. Bei Lauter & Naters scheint das Problem schon „klassisch“ gelöst zu sein:  Die Frau gibt vor, was langweilig ist und der Mann schweigt und schon ist das Problem gelöst? Gibt es die Konstellation nicht oft umgekehrt, der Mann gibt vor… ?

„Langweile ist der Killer jeder Liebesbeziehung, denn das Leben ist ein Abenteuer, das wir als Paar zusammen bestehen. Langweilig wird es, wenn einer der beiden sich einfach nicht mehr weiterentwickelt, stehen geblieben ist wie ein störrischer Esel auf einem Gebirgspfad. Das kommt für kurze Zeit in den besten Liebesbeziehungen vor, und genau deswegen beginnt meistens einer der beiden, sich um Hilfe und Unterstützung zu kümmern.

Bei fast allen Paaren ist das so. Einer der beiden will sich entwickeln, wachsen, next level gehen, und der andere, meist der Mann, würde es auch noch ein wenig ohne Weiterentwicklung und Wachstum aushalten. Aber dann zieht er oder sie nach, denn in jeder Liebesbeziehung entwickeln sich beide meist asynchron. Das ist auch gut, denn vielleicht will der eine sich gerade beruflich verändern, ausbilden, einiges im Leben ändern und braucht die Unterstützung des anderen. Bis der auch wachsen will und Unterstützung braucht.

Wachsen? In der Natur bleibt nichts stehen. Transformation ist der natürliche Ist-Zustand. Darum ist es tödlich, wenn sich einer in der Liebe mit Händen und Füßen gegen das persönliche Wachstum wehrt, und damit gegen das gemeinsame. So einen Langweiler, so eine Schnarchnase, sollte man oder frau schleunigst verlassen. Nicht einfach so, indem man mal eben Zigaretten holen geht. Sondern natürlich erst, wenn jede Hilfe abgelehnt wurde und der bockige Partner nicht mehr über den eigenen Schatten springen will.“ – Ist das nicht sehr wohl und sehr weitläufig gesprochen? Oder ist es tatsächlich so einfach: Never ending love through the lessons in the love school.

Kommentiert von Josef Linsler